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Vor Landtagswahl: Sechs Szenarien, wer Sachsen künftig regieren könnte

Am 1. September wird in Sachsen gewählt. Ein denkbar knapper Wahlausgang steht bevor – und die Koalitionsoptionen sind begrenzt. Welche sind wahrscheinlich, welche nahezu ausgeschlossen? Die große Analyse.

Von Thilo Alexe
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Liegt laut aktuellen Umfragen knapp hinter der AfD, hat dennoch die meisten Koalitions-Optionen: Die CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer.
Liegt laut aktuellen Umfragen knapp hinter der AfD, hat dennoch die meisten Koalitions-Optionen: Die CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer. © dpa

Dresden. Bei dieser Landtagswahl schaut die ganze Bundesrepublik auf Sachsen: Am 1. September wird gewählt, wer im Freistaat künftig die politische Richtung vorgibt. Es zeichnet sich ein knapper Wahlausgang ab. Erstmals könnte die vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte AfD auf Landesebene stärkste Kraft werden. Die jüngste Insa-Umfrage sieht sie vor der CDU, die in Sachsen seit der Wiedervereinigung durchgehend den Ministerpräsidenten stellt.

In anderen Befragungen liegt die CDU knapp vorn. Zugleich ist unklar, welche kleineren Parteien die Fünf-Prozent-Hürde schaffen werden. Nach dem ZDF-Politbarometer würde die Linke nicht im Landtag sitzen, nach der Insa-Erhebung schon. Sicher scheint, dass das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) den Landtagseinzug schafft. Die Koalitionsparteien SPD und Grüne wären nach den jüngsten Umfragen ganz knapp mit dabei. Möglich sind aber auch andere Wahlausgänge.

Die Koalitionsbildung dürfte kompliziert werden. Wird Sachsen unregierbar? Könnten Neuwahlen notwendig sein? Und ist taktisches Wählen sinnvoll? Wir haben für Sie einige Optionen herausgegriffen, denkbar sind mehr als diese sechs. Grundlage der Analyse ist die aktuellste Insa-Umfrage sowie für einige der Möglichkeiten andere Umfragen der vergangenen Monate. In zwei Konstellationen sind die Linken dabei, in den anderen nicht. In den Grafiken ist die jeweilige Regierungsoption in satten Farben dargestellt.

Option 1: CDU-BSW

Die CDU regiert weiter, aber mit wem? Da eine Koalitionsmehrheit bereits ab etwa 44 Prozent der Zweitstimmen möglich sein kann, wäre ein Bündnis aus CDU und BSW womöglich drin. Schnittmengen gibt es: Wie CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer drängt auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht auf Diplomatie zur Beendigung des Ukrainekriegs. Auch in der Kritik an der Energie- und Wirtschaftspolitik der Ampel ähneln sich beide.

Differenzen lassen sich in der Finanzpolitik erkennen. So will die Landes-CDU die Schuldenbremse nicht lockern. Auch die Bürgerversicherung für die Pflege und Initiativen für eine Vermögenssteuer wären mit der CDU schwierig. Zudem weiß niemand, wie BSW-Politiker in Regierungsverantwortung agieren. Das sind aber keine Ausschlusskriterien. Zumal Wagenknecht die Strategie verfolgt, dass die CDU in Thüringen BSW-Frau Wolf zur Regierungschefin mitwählt – und das BSW in Sachsen Kretschmer..

Option 2: CDU-BSW-SPD

Ebenfalls nicht unwahrscheinlich: ein Dreierbündnis aus CDU, BSW und SPD. Öffentlich hört man von sächsischen Sozialdemokraten wenig zur Wagenknechtpartei. Der SPD ist klar, dass sie nach dem 1. September womöglich mit ihr verhandelt. Übereinstimmungen zwischen den beiden gibt es. Die SPD fordert einen Mindestlohn von 15 Euro, Das BSW will „mindestens“ 14 Euro.

Mit der CDU (und wohl auch den Sozialdemokraten) könnte der Ruf nach Begrenzung von unkontrollierter Migration angestimmt werden – ohnehin sind das vor allem bundespolitische Themen. Diplomatie mit Russland? Auch machbar. Schwieriger wäre das Nein zur Stationierung neuer US-Waffen. Sahra Wagenknecht selbst hat erkannt, dass bei einer Regierungsbeteiligung in den Ländern Erwartungen enttäuscht werden könnten – etwa in der vom Bund verantworteten Rentenpolitik. Daher der Satz, sie wolle nur regieren, wenn sich spürbar etwas ändere.

Option 3: CDU-Grüne-SPD

Kenia macht weiter: Nach einer ZDF-Umfrage vom 8. August ist das rechnerisch drin. Die CDU kommt bei der Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen auf 34 Prozent der Stimmen, SPD und Grüne erreichen jeweils sechs. Das könnte reichen. Doch ist es auch realistisch? Jein bis Nein. CDU-Regierungschef Michael Kretschmer betont regelmäßig, dass er künftig ohne die Grünen regieren wolle. Das ist angesichts der Stimmung in seiner Partei auch eine realistische Ansage. Doch in seiner letzten Regierungserklärung vor der Wahl konstatierte Kretschmer auch, die Koalition habe „enorm viel“ erreicht und „konstruktiv, professionell und ehrgeizig gearbeitet“.

Zur Wahrheit gehört, dass sie mit Corona und Krieg stark gefordert war. Auf den Weg gebracht wurden die Gemeinschaftsschule, ein Transparenzgesetz, die Landarztquote und mehr Polizei. Kenia ist eine Option, wenn andere Konstellationen scheitern.

Option 4: Minderheitsregierung CDU

CDU-Spitzenkandidat Michael Kretschmer will sie nicht – die Minderheitsregierung. Jedoch könnte das sogenannte Magdeburger Modell, bei dem in Sachsen-Anhalt ein SPD-Grünenbündnis sowie eine SPD-Alleinregierung durch die Linke toleriert wurde, abgewandelt auch in Sachsen eine Option sein. Denkbar ist, dass Kretschmer vom BSW, SPD oder Grünen „toleriert“ wird.

Gewählt wird der Ministerpräsident vom Landtag. Kommt die zunächst geforderte Mehrheit der Mitglieder des Parlaments nicht zustande, reicht im zweiten Durchgang die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. BSW, Grüne oder andere könnten sich also enthalten und auf späteres Entgegenkommen hoffen. Das Modell hat viele Fragezeichen, sehr riskant wäre es aus CDU-Sicht, wenn wie in der aktuellen Umfrage die AfD stärkste Kraft würde. Wird kein Regierungschef gewählt, stehen vier Monate später Neuwahlen an. Das dürfte die Koalitionsbildung beflügeln.

Option 5: AfD-CDU

CDU-Spitzenkandidat Michael Kretschmer schließt ein Bündnis mit der AfD kategorisch aus. Rechnerisch ist eine stabile Mehrheit möglich. Doch eine Koalition dürfte es nicht geben. Spannend ist die Frage, was passiert, wenn die CDU – wie in der aktuellen Umfrage – nur zweitstärkste Kraft wird. Bei Bundestags- und Europawahlen ist das bereits passiert. Was aber, wenn es auf Landesebene geschieht? Der CDU-Wahlkampf ist auf Kretschmer zugeschnitten.

Läge er knapp hinter der AfD, wäre das für die CDU nicht gut, hätte aber keine weiteren Folgen. Wäre der Abstand größer, fünf Prozentpunkte oder mehr, dürfte es eine Kurs- und Personaldebatte geben. Auf Landesebene ist derzeit eine Annäherung an die AfD nicht erkennbar. In Kommunen ist die Stärke der AfD eine Herausforderung für die anderen Parteien. Knapp die Hälfte der CDU-Mitglieder schließt einer Forsa-Umfrage zufolge eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht völlig aus.

Option 6: AfD-BSW

Rechnerisch möglich könnte auch eine Parlamentsmehrheit von BSW und AfD sein. Würden die beiden Parteien miteinander koalieren? Wohl kaum. Beim Landesparteitag in Dresden hatte Sahra Wagenknecht schon das Sondieren mit der sächsischen AfD ausgeschlossen. Begründung: In deren Reihen seien Rechtsextremisten aktiv. Auch für BSW-Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann gibt es mit der AfD „nichts zu reden“. Diese sei angesichts ihrer Rüstungs- und Rentenpolitik weder eine soziale noch eine Friedenspartei.

AfD-Landeschef Jörg Urban erteilte unlängst beim Sender Ntv einer Zusammenarbeit keine Absage: „Ich schließe das heute nicht aus, weil das heute noch eine Wundertüte ist.“ Schnittmengen gibt es bei der Russlandpolitik und bei der Kritik an der Energiewende. Doch eine Koalition ist praktisch ausgeschlossen. Allerdings hat Wagenknecht unlängst angekündigt, dass AfD-Anträge nicht reflexhaft abgelehnt werden sollen.

Grafiken: Maximilian Helm