Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ + Sachsen

Die Wagenknecht-Fans aus Frankenberg

In der Garnisonsstadt Frankenberg ist das BSW besonders erfolgreich. Dort halten Unternehmerinnen zur früheren Linken-Ikone. Wie sie das erklären.

Von Gunnar Klehm
 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Mischen die Parteienlandschaft ordentlich auf. Die BSW-Kommunalpolitikerinnen Birgit Mohr (v.l.), Margret Witzschel-Weinhold und Romy Mühl im sächsischen Frankenberg.
Mischen die Parteienlandschaft ordentlich auf. Die BSW-Kommunalpolitikerinnen Birgit Mohr (v.l.), Margret Witzschel-Weinhold und Romy Mühl im sächsischen Frankenberg. © kairospress

Romy Mühl sitzt hinter ihrem massiven Schreibtisch und bittet den Besuch um etwas Geduld. Angestellte reichen ihr Zettel rein. Es wirkt dringend. Am ersten Montag des Monats sei immer besonders viel los, sagt die 55-Jährige. Sie setzt noch schnell drei Unterschriften unter Belege. "Damit die Mitarbeiter weiterarbeiten können." Dann nimmt sich die resolute Frau kurz Zeit für das Interview.

Als Unternehmerin führt sie im sächsischen Frankenberg einen Intensivpflegedienst und ein Sporttherapiezentrum. Im Juni hat sie sich auch noch im Ehrenamt in den Stadtrat wählen lassen und trat am Sonntag sogar noch als Kandidatin für den Landtag an. Auf der Landesliste des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).

Wie die Unternehmerin erklärt, dass sie einer früheren Kommunistin folgt, könnte Einiges über den Wahlerfolg erklären, den die Partei BSW in Sachsen erringen konnte. Mit 11,8 Prozent holte die erst im Januar gegründete Partei ein zweistelliges Ergebnis, zieht mit 15 Abgeordneten in den Landtag ein und will sogar mitregieren.

Bestwert zur Kommunalwahl

Überdurchschnittlich viele Stimmen erhielt das BSW in Frankenberg in Mittelsachsen mit 13,5 Prozent. Man hatte sich dort sogar noch mehr erhofft. Denn zur Kommunalwahl schaffte es die Partei im Juni sogar auf den Bestwert von 17,6 Prozent.

Birgit Mohr, Margret Witzschel-Weinhold und Romy Mühl sind Stadträtinnen für das BSW in Frankenberg. Mohr und Mühl wollten auch in den Landtag.
Birgit Mohr, Margret Witzschel-Weinhold und Romy Mühl sind Stadträtinnen für das BSW in Frankenberg. Mohr und Mühl wollten auch in den Landtag. © kairospress

Für dieses Ergebnis sorgten sechs umtriebige Kandidatinnen, von denen nun vier im Stadtrat sitzen. Alles Unternehmerinnen. Eine ist Romy Mühl. Im gesamten Stadtrat bekamen nur drei Kandidaten mehr Kreuzchen als sie. Bis zu ihrem Austritt 2022 war sie acht Jahre lang CDU-Mitglied.

Dabei habe es gar nicht das große Problem mit der Partei an sich gegeben, sagt Mühl. Am Ende seien es persönliche Konflikte vor Ort gewesen, die sie zu diesem Schlussstrich veranlassten. Sie hatte mit ihrem politischen Engagement schon fast abgeschlossen, als sie von der Neugründung einer Wagenknecht-Partei hörte.

Keine Vorwürfe für frühere Äußerungen

Die frühere Linken-Ikone Wagenknecht habe ihr schon immer mit ihren klaren Analysen und ihren schneidigen Ansagen imponiert. Seit ihrer Kandidatur fürs BSW musste Mühl aber mehrfach erklären, wie man es als Unternehmerin mit einer Frau wie Wagenknecht halten kann, die früher die Kommunistische Plattform in der Partei PDS anführte.

Mühl ist davon überzeugt, dass sich Wagenknecht von Ideologien gelöst habe und sich inzwischen auf reale Probleme konzentriere. Insbesondere habe sie beeindruckt, wie deutlich Wagenknecht die Migrationsfrage angesprochen habe. "Bis dahin wurde das Thema von linken Politikern nur ideologisch behandelt und nicht realistisch", sagt sie.

Den Kritikern hält sie gern ihren Wahlspruch vor: "Wer als junger Mensch nicht sozial denkt, hat kein Herz. Wer als Erwachsener nicht konservativ wird, hat keinen Verstand." Mühl würde Wagenknecht deshalb auch keine Vorwürfe mehr für Äußerungen aus frühen Politikjahren machen.

Über einen Bekannten bekam sie Kontakt zu Jörg Scheibe, einem der beiden Landesvorsitzenden des BSW in Sachsen. Der wohnt gleich im Nachbarort und führt als Unternehmer ein Planungsbüro. "Eine Stunde haben wir gesprochen. Dann war die Entscheidung zum Mitmachen klar", sagt Mühl.

Bundeswehr ist größter Arbeitgeber

Jetzt hängt sie sich ihre kleine elegante Handtasche um, greift nach dem Autoschlüssel für ihren schwarzen SUV und macht sich auf den Weg zum Treff mit zwei Mitstreiterinnen in Frankenberg auf einer Anhöhe am Rande der Kleinstadt. Mit ihrem Faible für schicke Mode passt sie zu Wagenknecht, die sich auch gern mal etwas Luxus gönnt.

Wie man sie in Frankenberg kennt, sind Birgit Mohr und Margret Witzschel-Weinhold spontan bereit, den Fototermin für Sächsische.de mit zu bestreiten. Mohr ist selbstständige Fotografin. Witzschel-Weinhold ist Inhaberin eines Geschäfts für Teppiche und Gardinen als Familienbetrieb. "Als Unternehmer sind wir in Frankenberg ganz gut vernetzt", sagt sie. Die knapp 14.000 Einwohner zählende Stadt liegt zwar nahe an der Autobahn A4, habe aber "keine Magnetwirkung von außen". Da müsse man sich als Einzelhändler selbst helfen und zusammenarbeiten.

Die Bundeswehr ist größter Arbeitgeber in der Garnisonsstadt Frankenberg.
Die Bundeswehr ist größter Arbeitgeber in der Garnisonsstadt Frankenberg. © kairospress

Die Häuser am Markt sind alle hübsch saniert. Kaum ein Laden steht leer. Was andere Kommunen neidisch machen dürfte, ist hier Normalität. Die Wettiner Kaserne ist der größte Arbeitgeber. Deshalb trägt Frankenberg den Titel Garnisonsstadt.

Keine Putin-Versteher

Auch Händlerin Witzschel-Weinhold sei Frau Wagenknecht schon immer sympathisch gewesen, weil sie den Mund aufmache und sich nichts gefallen ließe. Zudem habe die Frankenbergerin tatsächlich Angst, dass ihr Mann und ihr Sohn noch mal zum Kriegsdienst eingezogen werden könnten, wenn Deutschland sich immer weiter in den Krieg in der Ukraine ziehen lassen würde. Deshalb könne sie Wagenknechts Forderung nur unterstützen, dass es viel mehr diplomatische Bemühungen geben müsse, den Krieg schnellstmöglich zu beenden.

"Deswegen sind wir aber noch keine Putin-Versteher", sagt Mühl. "Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine. Genau so steht das auch in unserem Wahlprogramm", sagt Mühl. Und trotzdem dürfe es mit immer mehr Waffen nicht noch mehr Tote geben. Das fühle sich falsch an.

Benachteiligte Unternehmer

Als Unternehmerinnen gehen sie die Dinge eher pragmatisch an - auch die Forderung des BSW nach 14 Euro Mindestlohn. Mühl kann die Arbeit ihrer Beschäftigten nach Tarif bei Krankenkassen abrechnen. Fotografin Mohr hat keine Angestellten und im Familienbetrieb von Witzschel-Weinhold spiele das auch keine Rolle.

Was sie dagegen ständig beschäftige, ist die Gerechtigkeitsfrage. Das sei auch nicht nur Thema in Bezug auf Armut. Auch Unternehmer können sich benachteiligt fühlen, etwa wenn Einzelhändler Gewerbesteuer zahlen müssten und der Internet-Riese Amazon dagegen steuerlich begünstigt werde. Großunternehmen würden mit immensen Summen gefördert. Der Mittelstand dagegen mit immer mehr Bürokratie gegängelt. Deshalb seien den Frankenberger BSW-Frauen die Worte "für Vernunft und Gerechtigkeit" als Zusatz zum Parteinamen sehr wichtig.

© kairospress

Die sechs Frauen präsentierten sich im Wahlkampf auch anders als die männerdominierten Parteien. Ihren ersten Wahlstand auf dem Marktplatz im Frühjahr schmückten sie mit Tischdecke, Blumen und "ganz viel Rosa". Fünf Stunden lang standen sie Rede und Antwort und hätten kaum Zeit gehabt, mal etwas zu essen oder zu trinken. "Die Leute sind auf uns zu gekommen, als hätten sie nur auf uns und dieses Angebot gewartet", sagt Birgit Mohr begeistert wie ungläubig. "Von Kunden habe ich nur positive Resonanz bekommen", sagt Margret Witzschel-Weinhold.

Auch den Vorwurf, dass es sich schon im Parteinamen um Personenkult handelt, wollen sie nicht gelten lassen. "Das ist nun mal unser Zugpferd. Wir wären ja sehr schlecht beraten, wenn wir darauf verzichten würden", sagt die Einzelhändlerin. Mit erfolgreicher Werbung kennen sich die Unternehmerinnen aus.

Geschlossenheit propagiert

Der BSW-Landesvorstand offensichtlich auch. Mohr und Mühl wurden auf die Landesliste gesetzt. Allerdings so weit hinten, dass sie nicht zum Zuge kommen. Stattdessen gehören die frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann sowie die Ex-Linken Lutz Richter und Janina Pfau zur Landtagsfraktion. Konflikte aus Enttäuschung gebe es deshalb nicht, versichern die Frankenbergerinnen.

Interessant dürfte auch werden, wie Unternehmer wie Landeschef Jörg Scheibe und der Dresdner Ralf Böhme, der auch Vorstand beim Dresdner Sportverein Borea ist, mit Fraktionskollegen wie Ronny Kupke Kompromisse finden. Letzterer ist Vorsitzender des Gesamtpersonalrats der AOK Plus und vertritt Arbeitnehmerinteressen.

BSW-Generalsekretär Christian Leye bezeichnet solche Szenarien als Herbeireden von Konflikten innerhalb des BSW als Masche der Konkurrenz. "Es gibt in unserer Partei eine große Geschlossenheit. Andere wären glücklich, wenn sie das auch hätten", sagte er am Rande der Wahlparty am Sonntag in Dresden. Krisen hatte die junge Partei noch nicht zu meistern.

Die Frankenberger Unternehmerinnen gehören auch noch gar nicht zum erlesenen Kreis der rund 80 Mitglieder in Sachsen. Romy Mühl hat zwar einen Aufnahmeantrag gestellt. Entschieden ist der aber noch nicht. Über jeden einzelnen Antrag befindet immer noch die Zentrale in Berlin.

Die ist weit weg. Ebenso wie die Politik der Ampelparteien in den Köpfen der Frankenberger. SPD, Grüne und FDP kamen dort zur Landtagswahl gerade mal auf 8,1 Prozent - zusammen. Das ist eine enorme Repräsentationslücke, die es charismatischen Persönlichkeiten wie Populisten leicht macht, beachtliche Erfolge zu feiern.