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Erfolg mit Bauchschmerzen für Sachsens CDU

Michael Kretschmer hat es knapp geschafft: Wie 2019 spurtet er die CDU noch zum Sieg. Die eigentlichen Probleme der Wahl fangen für ihn aber jetzt erst an.

Von Gunnar Saft
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„Wir sind der Fels in der Brandung.“ Michael Kretschmer auf der Parteibühne, flankiert von zwei Reihen der sächsischen CDU-Elite.
„Wir sind der Fels in der Brandung.“ Michael Kretschmer auf der Parteibühne, flankiert von zwei Reihen der sächsischen CDU-Elite. © SZ/Veit Hengst

Er kann es noch. Wenn auch äußert knapp. Als sich Sachsens CDU-Spitzenkandidat Michael Kretschmer gegen 18.30 Uhr im Dresdner Landtag vor seine Parteianhänger stellt, darf er zunächst jubeln. Zu dem Zeitpunkt besagen die ersten Prognosen, dass er sich als Wahlsieger fühlen darf – mit einem hauchdünnen Vorsprung vor der AfD. So nutzt er die Zeit für Optimismus. „Liebe Freunde, wir haben allen Grund zum Feiern“, gibt er mit seinem ersten Satz die Stimmung vor. „Hinter uns liegen fünf harte Jahre. Wir alle wissen, wie enttäuscht die Menschen von dem sind, was in Berlin passiert.“ Und er zieht für sich ein persönliches Fazit: „Die Menschen in Sachsen haben uns vertraut.“

Zu mehr reicht es vorerst allerdings nicht, im Gegenteil. Jede neue Prognose, die via Großbildschirm in den Raum 600 eingespielt wird, lässt den hauchdünnen Vorsprung der CDU zur AfD noch einmal kleiner werden. Die Zitterpartie beginnt.

Was sich in diesen Minuten zeigt, dass sich sein verbissener Kampf bis zuletzt womöglich gelohnt hat. Um Wähler gerungen hat er selbst am Wahltag noch. Bei seiner Stimmabgabe am Vormittag appelliert der CDU-Politiker in die Richtung noch unentschlossener Wähler. Kretschmer spricht davon, dass es sich „um die wichtigste Wahl seit 34 Jahren handelt“, bei der es um die künftigen „Lebenchancen“ aller Bürger im Land gehe. Dann wirft er seinen Stimmzettel in die Box. Seine Sätze verbreiten sich unterdessen sofort über die sozialen Netzwerke und erreichen viele Empfänger noch auf dem Weg in Richtung Wahllokal.

Mit an seiner Seite Ehefrau Annett Hofmann in zünftiger sächsischer Nationaltracht: grüne Hose und weißes Shirt. Jedes Detail im Wahlkampf könnte tatsächlich das Entscheidende sein.

Am größten Problem seiner Partei ändert sich unterdessen nichts: Die sächsische CDU hat seit 1994 – damals erreichte man den historischen Rekordwert von 58,1 Prozent aller Zweitstimmen – bei jeder folgenden Landtagswahl kontinuierlich an Zustimmung verloren. Daran beteiligt sind sämtliche Vorgänger: Selbst bei Kurt Biedenkopfs letzten Sieg ging es leicht bergab. Bei Georg Milbradt und Stanislaw Tillich fehlten danach immer mehr Stimmen. Und auch 2024 droht ein neuer Minusrekord. Dennoch werden die Christdemokraten am Ende immer Wahlsieger, was dazu führt, dass sie bereits seit 34 Jahren lang ununterbrochen die Landesregierung im Freistaat Sachsen anführen. Und so soll es nun auch bei Michael Kretschmer bleiben. Die Hoffnung, dass der knappe Vorsprung reichen wird, wollen sich seine Anhänger und er am Wahlabend jedenfalls nicht nehmen lassen.

Annett Hofmann, die Frau von Michael Kretschmer, stand dieses mal nicht wie 2019 mit auf der Bühne.
Annett Hofmann, die Frau von Michael Kretschmer, stand dieses mal nicht wie 2019 mit auf der Bühne. © SZ/Veit Hengst

Der Wahlsieg, wenn er dann tatsächlich geschafft ist, bleibt dennoch einer, der für große Bauchschmerzen sorgen wird. Bereits vor der Abstimmung sagen Umfragen voraus, dass Kretschmer und Co. nach dem Votum damit konfrontiert sind, zwischen mehreren großen Übeln und sich für das vermeintlich kleinste zu entscheiden.

Und genau das tritt ein. Auf der offiziellen Wahlfete der CDU im Raum 600 des Landtages sieht man nach der ersten Prognose fast nur nachdenkliche Gesichter.

Fest steht, dass man mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sprechen muss, welches – erstmals angetreten – sofort souverän ins sächsische Parlament einzieht. Unklar bleibt, ob es auch eine Option zur Neuauflage der bisherigen sächsischen Kenia-Koalition gemeinsam mit der SPD und den Grünen geben wird. Im Verlauf des langen Wahlabends deutet sich aber auch diese Option an. Von beiden Varianten sind allerdings die wenigsten CDU-Politiker gleichermaßen überzeugt. Kultusminister Christian Piwarz, der sich zunächst freut, „dass die ganzen Auguren, die die CDU nur auf Platz zwei gesehen haben“, am Ende nicht recht behalten. Beim BSW sieht er „verschiedene Fragezeichen“. So habe das Bündnis sehr stark bundespolitische Punkte in den Vordergrund gerückt. „Sie sind daher schwer landespolitisch zu greifen. Aber das kann man sicher herausfinden in Gesprächen. Sofern es zu diesen Gesprächen kommt.“ Seine größte Sorge sei, so Piwarz, dass das BSW in kürzester Zeit entstanden sei und nur geringe Mitgliederzahlen habe „Da ist die Frage der Verlässlichkeit in der Arbeit tatsächlich gegeben.“

Viel Skepsis, aber auch keine entschiedene Absage. Damit trifft er das Gefühl vieler in seinem Landesverband. Auch der Görlitzer CDU-Landrat Stephan Meyer räumt offen ein: „Ich tue mich sehr schwer mit dem BSW, weil es ein Gemischtwarenladen ist – von ganz links bis fast ganz rechts. Und dem eine Regierungserfahrung völlig fehlt. Hier konkrete Punkte für ein gemeinsames Regierungsprogramm zu vereinbaren, dürfte sehr schwer werden. Wir müssen sehen, was geht.“

Weniger offen zeigen sich viele Christdemokraten, was die Zukunft des bisherigen schwarz-grün-roten Regierungsbündnisses betrifft – zumindest, wenn ein Mikrofon in der Nähe ist. Intern halten die meisten eine solche Option nur noch für eine einzige Sache als nützlich. Man könne über eine neue Kenia-Koalition gern sprechen, heißt es. Aber nur, um damit den politischen Preis bei den absehbaren Verhandlungen mit dem BSW zu drücken. „Niemals aber, um es tatsächlicher wieder auferstehen zu lassen.“

Die Wahlkampferklärung von Kretschmer, die Grünen möglichst nicht mehr ins Regierungsboot zu holen, ist für viele Christdemokraten in Sachsen längst bitterer Ernst. So mancher deutet an, dass die künftige Unterstützung für den eigenen Spitzenmann auch davon abhängt, ob er genau bei dem Punkt wirklich Wort hält.

Und so war es fast schon symbolisch, wie man Michael Kretschmer bei seiner Dankesrede auf dem Podium flankiert. Neben und hinter ihm präsentiert sich in zwei Reihen die Parteielite freundlich und wachsam. Vor fünf Jahren stand dort oben noch Annett Hofmann an der Seite des Wahlsiegers und bejubelte mit ihm, dass „das freundliche Sachsen“ gewonnen hat. Diesmal bleibt ihr nur ein Platz im Saal. Von dort hört sie ihren Mann davon sprechen, dass die CDU „der Fels in der Brandung ist“ und es auch mit dem Wahlergebnis die Möglichkeit für eine stabile Regierung gibt. Allerdings mit dem Zusatz: „Das wird alles nicht einfach. Das müssen wir alles auch nicht heute Abend diskutieren.“

Tatsächlich beginnt wenig später für ihn der Dauerlauf durch die TV-Studios und die sogenannten „Elefantenrunden“. Und dort immer die gleichen Fragen: Wieso, weshalb, warum? Während Michael Kretschmer darauf antwortet, dürfte er im Hinterkopf allerdings längst über die wohl wichtigste Frage nach dieser Landtagswahl grübeln: Was nun? Sicherlich hat er bereits einen Plan. Den wird er an diesem Montag aber gleich in mehreren Gremien begründen müssen. Zunächst früh in Berlin vor dem CDU-Bundesvorstand, am Abend dann beim Landesvorstand der Sächsischen Union in Dresden. Und überall braucht er wieder eine Mehrheit, um seinen knappen Sieg wirklich festhalten zu können.

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