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Politikforscher vermutet Koalitionspläne der CDU mit der AfD

Die AfD ist auf Bundesebene und in mehreren Bundesländern derzeit bei Umfragen im Höhenflug. Der Kooperations-Vorstoß von CDU-Chef Merz ist äußerst heikel, meint der Politologe Gideon Botsch.

Von Jan Kixmüller
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Björn Höcke, Vorsitzender der AfD Thüringen (l) und Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender (r) mit dem Sonneberger AfD-Landrat Robert Sesselmann.
Björn Höcke, Vorsitzender der AfD Thüringen (l) und Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender (r) mit dem Sonneberger AfD-Landrat Robert Sesselmann. © dpa

Herr Botsch, was bedeutet es, dass Friedrich Merz für die CDU kommunale Kooperationen mit der AfD nicht mehr ausschließt?

Nach den jüngsten Aussagen aus der Führungsspitze der CDU muss man leider annehmen, dass es dort gar keine Brandmauern mehr gibt. Hier werden wohl gerade Koalitionen mit der AfD vorbereitet, die wir – wenn die Union sich nicht auf ihre Grundlagen besinnt – vielleicht schon nächstes Jahr auf Landesebene erleben werden. Schauen wir uns in Europa um, so ist zu befürchten, dass es nicht dabei bleibt. Das kann zur Selbstzerstörung der CDU als demokratische Volkspartei führen.

Wäre ein Parteiverbot doch der bessere Weg?

Vor diesem Hintergrund benötigen wir tatsächlich eine Diskussion über ein Parteiverbot: Die AfD und ihre Anhänger agieren schon länger „aggressiv-kämpferisch“. Weil das Bundesverfassungsgericht 2017 im NPD-Urteil aber leider nichts dazu gesagt hat, ab wann ein solches Agieren zur verbotsrelevanten Gefährdung der Demokratie wird, steht zunächst eine ergebnisoffene juristische und politikwissenschaftliche Debatte an. Sie würde auch den rechtspopulistischen Parteien und ihren Wähler:innen helfen, die Grenzen verfassungsgemäßen Handelns zu verstehen. Dann können sich deren Führungen entscheiden, wie weit sie gehen möchten.

Hat Sie als Rechtsextremismus-Forscher überrascht, dass die AfD bundesweit in Umfragen zulegt?

Die Werte für Ostdeutschland sind nicht überraschend und waren generell zu erwarten, die für Westdeutschland fallen schon sehr hoch aus. Ernst zu nehmen ist vor allem die zunehmende Normalisierung einer Partei, die sich selbst konsequent immer weiter radikalisiert hat.

Zur Person

  • Gideon Botsch ist außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät sowie Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam.


Woher der plötzliche Aufwind?

Die AfD ist innerlich in keinem besonders guten Zustand, worüber das gegenwärtige Selbstbewusstsein nicht hinwegtäuschen sollte. Aber einige taktische und strategische Entscheidungen – beispielsweise bezüglich der Haltung zum Krieg in der Ukraine – waren durchaus geschickt.

Generell sind es aber meist die Gelegenheitsstrukturen, die der Partei von außen durch die Medien und die anderen Parteien geboten werden. Wir erleben derzeit gesamtgesellschaftlich einen sehr weit nach rechts radikalisierten öffentlichen Diskurs. Solange sich da keine Trendwende abzeichnet, wird die AfD stark bleiben.

Steht der Wahlerfolg von Sonneberg tatsächlich für den Beginn einer rassistischen Revolution, wie manche Medien titelten?

Der Begriff passt nicht gut. Mit einem kommunalen Wahlerfolg in den ostdeutschen Flächenländern haben wir seit einiger Zeit gerechnet. Das Alarmierende ist, dass die demokratischen Parteien darauf nicht vorbereitet sind. Was wird nun passieren, wo die AfD kommunale Spitzenbeamte stellt? Dafür gibt es keine Strategie.

Die AfD ist nur in einigen Bundesländern vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft, inwiefern ist die Sorge vor dieser Partei berechtigt?

Die AfD wird seit vielen Jahren von entschieden rechtsextremen Kräften – inzwischen auch mit einem deutlich neonazistischen Einschlag – kontrolliert. Wer jetzt noch in der Partei aktiv ist, ist bereit, diese Dominanz zu akzeptieren, hat also seinen Frieden mit diesen Kräften gemacht.

Also ist diese Partei andersherum vielleicht eher der Wolf im Schafspelz?

Was der AfD leider gelungen ist, ist, ihre – auch im europäischen Vergleich – sehr radikale Haltung zu „normalisieren“. Nicht nur ihre Themen, auch ihre Parolen sind weit in den Mainstream übernommen worden.

Inwiefern ist diese Verlagerung auch in Europa zu beobachten?

Sie können die europäischen Auswirkungen schon sehen: Jetzt, wo die EU ihre gefährliche, tödliche, aber auch dumme Abschottungspolitik mit den Autokraten in Nordafrika vertraglich vereinbart, fährt die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fast schon demonstrativ gemeinsam mit der bekennenden Mussolini-Bewunderin Giorgia Meloni zur Unterzeichnung. Hätten Sie sich das vor zwei Jahren vorstellen können?

Wäre unsere Demokratie stark genug für eine Regierungsbeteiligung der AfD – oder würde sie daran zerbrechen?

Wenn wir die Frage immer nur nach dem „Ende“ stellen, machen wir einen gedanklichen Fehler. Wir sind in Deutschland gewohnt, ein „1933“ zum Maßstab zu machen. Aber in der Gegenwart sterben die Demokratien viel langsamer, wie Sie in Ungarn, Polen und derzeit in Israel beobachten können. Der Staatsstreich bleibt aus, aber die demokratischen Institutionen werden dauerhaft zersetzt oder zerstört.

Ist die Entwicklung tatsächlich ein Erfolg der AfD – oder haben wir vielmehr eine tiefgreifende Krise der Demokratie?

Auf die Gefahr hin, als „Alarmist“ bezeichnet zu werden: Wir erleben seit Langem eine tiefgreifende, weltumspannende Krise der repräsentativen Demokratie, des demokratischen Verfassungsstaats, der zivilgesellschaftlichen Partizipation. Eingeleitet wurde dieser Prozess, davon bin ich überzeugt, mit der Zerstörung der Sozialen Demokratie vor ungefähr zwanzig bis dreißig Jahren.

© Jürgen Lösel

Viele Menschen artikulieren Unzufriedenheit, das wird mit den AfD-Erfolgen in Verbindung gebracht. Ist es so einfach?

Unsere Kenntnisse über die Wähler:innen der AfD sprechen dafür, dass Unzufriedenheit mit Überzeugung einhergeht. Bei Nachwahlbefragung sieht man häufig den Effekt, dass die AfD-Wähler:innen „Protest“ als zentrales Motiv angeben, und sie trauen der AfD ja auch nicht besonders große Lösungskompetenzen zu.

Auch die AfD-Spitzenpolitiker:innen sind nicht besonders beliebt. Wenn man tiefergehend fragt, bestätigt sich zugleich eine hohe ideologisch-weltanschauliche Übereinstimmung. Deswegen bin ich so pessimistisch, dass man die Kernwählerschaft kurzfristig zurückgewinnen kann, die – zumindest in Ostdeutschland – schon lange nicht mehr und teilweise auch noch nie demokratisch gewählt hat.

Wie geht es weiter, Ihre Prognose?

Wir diskutieren – leider selten gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse als vielmehr auf vorempirische Eindrücke – die Ursachen und Symptome der AfD-Erfolge. Was mir weithin fehlt, sind Überlegungen zur Abwehr der Gefahren und Strategien zur Eindämmung der AfD.

Die Linke ist weitgehend mit sich selbst beschäftigt, während die Union unbelehrbar scheint in ihrer Hoffnung, der AfD den Rang als bessere Populisten abzulaufen. Dabei könnte sie wissen und an den festgefahrenen Umfragewerten erkennen, dass ihr das nicht gelingen kann, und endlich wieder seriöse demokratische Oppositionsarbeit machen, die so nötig gebraucht wird. Inzwischen scheint sogar die brandenburgische Union diesem Trend nachzulaufen, die die Gefahr der AfD bislang vergleichsweise ernst genommen hat. Noch besorgniserregender finde ich das Verhalten der Parteien, die im Bund regieren.

Inwiefern?

Ich habe den Eindruck, dass die demokratischen Parteien keine tragfähigen Strategien zum Umgang mit der AfD entwickelt haben. Das gilt auch für die politisch Verantwortlichen, etwa in der Bundesregierung, und an erster Stelle für die SPD. Vor allem fehlt mir ein evidenzbasierter Ansatz, der Ergebnisse der intensiven Forschung zur AfD, ihren Wähler:innen und den Gelegenheitsstrukturen für ihre Erfolge zum Ausgangspunkt macht.

Was macht Ihnen besonders Sorgen?

Die Ignoranz und Ideenlosigkeit der Demokrat:innen. Als antiparlamentarische Fundamentalopposition behindert die AfD die Suche nach sozial und politisch ausgeglichen Lösungen für die Zukunft. Aber klima- und umweltpolitisch stehen unsere Gesellschaften vor unabweisbarem Zeit- und Handlungsdruck, schon aus Verantwortung für die Generation unserer Kinder.