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Verfassungsschutz darf AfD als rechtsextremen Verdachtsfall führen: Kretschmer begrüßt Urteil

Seit Jahren wehrt sich die AfD gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Vor Gericht erleidet sie nun eine weitere Niederlage. Sachsens Ministerpräsident begrüßt das Urteil.

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Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD nach einem Urteil des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Für Michael Kretschmer ein richtiger Schritt.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD nach einem Urteil des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Für Michael Kretschmer ein richtiger Schritt. © Klaus-Dietmar Gabbert/Hendrik Schmidt/dpa

Dresden/Münster. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat das Urteil zur Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall begrüßt. "Ich bin froh darüber, dass dieses Urteil so klar und so eindeutig zeigt, wie diese Partei im Inneren wirklich aufgestellt ist", sagte der CDU-Politiker dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). "Es mag sein, dass nicht jeder Wähler und auch nicht jedes Mitglied rechtsextrem ist. Aber die Führung, der Geist, der ist es auf jeden Fall."

Aus gutem Grund habe sich unser Rechtsstaat Instrumente gegeben, "um festzustellen, ob es Feinde unserer Demokratie gibt", sagte Kretschmer weiter. "Wir sehen diese geistigen Brandstifter seit Jahren in den Parlamenten. Wir sehen, wie Menschen gegeneinandergehetzt und in Kategorien wie Volksverräter eingestuft werden." Das sei kein guter Weg, den unser Land nehme, warnte der Regierungschef.

Justizministerin fordert mögliches Verbotsverfahren

Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) sagte dem Tagesspiegel zudem, das Urteil stärke die wehrhafte Demokratie. Meier sprach sich dafür aus, dass die Innenministerkonferenz eine Task Force beauftragt, Material für einen möglichen Verbotsantrag zu sammeln. Sächsische Abgeordnete von Linken und Grünen begrüßten das Urteil und verknüpften es ebenfalls mit dem Thema AfD-Verbot. Die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Linke) schrieb auf X: "Ein wichtiger Schritt. Jetzt kann der nächste folgen." Köditz forderte "Druck" für ein AfD-Verbot.

Die Leipziger Bundestagsabgeordnete der Grünen, Paula Piechotta, bezeichnete die Münsteraner Entscheidung als "wegweisendes Urteil für die Frage, wie aussichtsreich ein AfD-Verbotsverfahren gegen die AfD sein könnte".

"Die wehrhafte Demokratie ist kein zahnloser Tiger"

Die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist nach einem Urteil des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts rechtens. Damit darf der Verfassungsschutz auch weiterhin nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung der Partei einsetzen. Das Gericht bestätigte am Montag in Münster ein Urteil aus der Vorinstanz. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Zwar ließ das OVG keine Revision zu, die AfD kündigte aber an, dagegen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzulegen.

Es gebe "hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte" für Bestrebungen der AfD, "die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind", sagte Gerald Buck, Vorsitzender Richter des 5. Senats. In der AfD würden "in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwendet". Eine solche Abwertung sei laut Grundgesetz eine "unzulässige Diskriminierung". Deshalb sei am Vorgehen der Verfassungsschützer nichts auszusetzen.

Die Befugnisse des Verfassungsschutzes bei der Beobachtung der AfD seien zwar "keineswegs grenzenlos", betonte Buck. Vor allem bei der Beobachtung einer besonders geschützten politischen Partei müsse der "hinreichend verdichtete Umstände" vorlegen können, dass eine Gruppierung möglicherweise gegen die freiheitliche Grundordnung arbeite.

"Die wehrhafte Demokratie ist kein zahnloser Tiger. Sie soll aufmerksam und durchsetzungsstark sein", betonte der Vorsitzende. "Aber sie beißt nur im nötigsten Fall zu und lässt sich auch nicht zu schnell provozieren." Bei der Einstufung der AfD als extremistischer Verdachtsfall habe das Bundesamt seine Einschätzung aber ausreichend belegen können, befanden die Richter. Deshalb habe die Behörde auch die Öffentlichkeit über ihre Einschätzung zur AfD informieren dürfen.

Der BfV-Präsident Thomas Haldenwang sagte nach der Urteilsverkündung: "In der wehrhaften Demokratie kommt dem Verfassungsschutz eine wichtige Frühwarnfunktion bezüglich der Entwicklung von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu. Dieser Aufgabe werden wir auch künftig weiter nachkommen."

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte die Entscheidung der Richter. "Das heutige Urteil zeigt, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind." Der deutsche Rechtsstaat habe Instrumente, um die Demokratie vor Bedrohungen von innen zu schützen. "Genau diese Instrumente werden auch eingesetzt – und sind jetzt erneut von einem unabhängigen Gericht bestätigt worden."

Die AfD gehöre zweifelsohne zu den "Feinden unserer liberalen Demokratie", sagte der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Dass sie beobachtet werden kann, ist insofern nur konsequent und Ausdruck der Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaats."

AfD-Vertreter sehen politisch motiviertes Urteil

Die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla haben das Urteil als politisch motiviert kritisiert und eine Unabhängigkeit des Gerichts angezweifelt. Man müsse den Zeitpunkt des Verfahrens und der Urteilsbekanntgabe berücksichtigen, sagte AfD-Chef Tino Chrupalla am Montag vor Journalisten in Berlin. "Wir befinden uns mitten im Europawahlkampf, auch das zeigt, dass hier eine politische Motivation dahintersteckt, ganz klar." Auf die Nachfrage eines Journalisten, ob das Gericht in Münster politisch unabhängig handele, sagte Chrupalla, "wenn natürlich Beweisanträge einfach so vom Tisch gewischt werden, kann durchaus Zweifel bestehen".

Weidel verteidigte Äußerungen von führenden Parteivertretern, wie etwa dem sachsen-anhaltischen AfD-Landeschef und Bundesvorstandsmitglied Martin Reichardt. Dieser hatte bei X nach dem Urteil von "dem Establishment hörige(n) Richter(n)" gesprochen. Sie würde diese Worte nicht wählen, könne den Frust aber verstehen, sagte Weidel. Das Establishment seien gewisse Institutionen in diesem Staate. "Dazu gehören die Gerichte, dazu gehört der Bundesverfassungsschutz", aber auch die Medien würden dazu missbraucht, die AfD strukturell vom Parteienwettbewerb auszuschließen.

AfD-Vizesprecher Peter Boehringer und Roman Reusch aus dem Bundesvorstand äußerten ebenfalls Kritik am OVG. Der 5. Senat habe zu wenig getan, um die Punkte des Verfassungsschutzes aufzuklären. Das Bundesamt sei damit nur durchgekommen, weil "sich das Gericht der Beweisaufnahme verweigert hat", sagte Reusch.

Auschwitz Komitee: Reise mit der AfD endet in Verschwörungswelt

Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, sprach von einem wichtigen Signal. "Die Richter haben der AfD erneut einen Spiegel vorgehalten und der Öffentlichkeit noch einmal deutlich gemacht, in welch rechtsextremer Ausgrenzungs-, Verrohungs- und Verschwörungswelt die Reise mit der AfD enden wird", sagte er. Die Linke bekräftigte ihre Forderung nach einem Parteiverbot der AfD. "Ein solcher Antrag ist die Selbstverteidigung der Demokratie gegen ihre Feinde", sagte die Innenpolitikerin Martina Renner dem Nachrichtenportal T-Online.

Richter bestätigten auch Beobachtung von Junger Alternative und "Flügel"

Bei dem mittlerweile aufgelösten AfD-"Flügel" hatten die Richter auch gegen die Hochstufung zur "erwiesen extremistischen Bestrebung" durch den Verfassungsschutz keine Einwände. Die Einschätzung, der Flügel richte sich gegen den Schutz der Menschenwürde von Deutschen mit Migrationshintergrund sowie Menschen islamischen Glaubens, sei gerechtfertigt, entschied der Senat.

Bei der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) ging es in dem Prozess zunächst nur um die frühere Einstufung als Verdachtsfall - dagegen hatten die Richter keine Einwände. Inzwischen hat der Verfassungsschutz die Junge Alternative aber ebenfalls zur erwiesen extremistischen Bestrebung hochgestuft - wogegen AfD und JA sich in einem noch laufenden Eilverfahren wehren.

AfD-Beobachtung durch Observationen und V-Leute möglich

Nach dem Urteil darf der Verfassungsschutz die Partei weiterhin mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten. Dazu zählen unter anderem die Observation und das Einholen von Auskünften über Informanten (V-Leute) aus der jeweiligen Szene. Ob und in welchem Umfang das Bundesamt von diesen Möglichkeiten bereits Gebrauch gemacht, ließ die Bundesregierung in einer Antwort auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion offen. Das Stufenmodell des BfV sieht zuerst den Prüf-, dann den Verdachtsfall und dann die Feststellung vor, dass das zu beobachtende Objekt eine gesichert extremistische Bestrebung ist. Die AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt werden von den dortigen Landesämtern für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. (dpa)