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Buchenwald-Gedenkstättenleiter wird massiv bedroht

Jens-Christian Wagner ist Leiter der Gedenkstätte Buchenwand und befindet sich im Dauerstreit mit AfD und Rechtsextremisten. Sein Bild auf einer KZ-Stele und Todeswünsche sind der vorläufige, traurige Höhepunkt.

Von Oliver Reinhard
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Mit ihrer Haltung und Aktionen gegen Rechtsextremismus machen sich die Gedenkstätte Buchenwald und Leiter Jens-Christian Wagner bei den Gemeinten unbeliebt.
Mit ihrer Haltung und Aktionen gegen Rechtsextremismus machen sich die Gedenkstätte Buchenwald und Leiter Jens-Christian Wagner bei den Gemeinten unbeliebt. © dpa

Der vergangene Dienstag hielt für Jens-Christian Wagner gleich zwei mehr als nur unangenehme Überraschungen bereit. Am Morgen erfuhr der Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, dass man ein Bild von ihm auf eine Stele zur Erinnerung an den Todesmarsch der Dora-Häftlinge geklebt hatte. Außerdem, so Wagner, habe ihm eine Weimarer „Montagsspaziergängerin“ geschrieben, nach dem Tod eines Thüringer SPD-Landtagsmitgliedes werde auch er seine Strafe erhalten; der Abgeordnete hatte sich stark gegen die AfD engagiert und diese „rechtsextreme Rassisten“ genannt. Wagner hat Anzeige erstattet, die Polizei ermittelt.

Beide Drohungen dürften Reaktionen sein auf einen Brief des Gedenkstättenleiters, den er, finanziert vom Campact-Verein, 350.000 Mal an Thüringer Bürger und Bürgerinnen verschickt hatte. Darin bittet Wagner die Adressaten, zur Thüringer Landtagswahl am 1. September nicht die AfD zu wählen. „Mit der AfD tritt eine Partei an, die das Leiden der Opfer des Nationalsozialismus auch in den Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora aus der Erinnerung tilgen will“, heißt es in dem Schreiben.

Verharmlosung, Verlachen und Leugnung der Verbrechen

Der Historiker Jens-Christian Wagner ist seit 2020 Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er bewertet den zunehmenden Einfluss nationalistischer Strömungen als einen "erinnerungspolitischen Klimawandel".
Der Historiker Jens-Christian Wagner ist seit 2020 Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er bewertet den zunehmenden Einfluss nationalistischer Strömungen als einen "erinnerungspolitischen Klimawandel". © dpa

Aktion und Reaktion sind der vorläufige Höhepunkt einer jahrelangen Auseinandersetzung der Gedenkstätten mit der AfD und anderen Rechtsextremisten. Immer wieder kommt es vor allem in Buchenwald zur Verharmlosung, Lächerlichmachung und Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus durch Besucherinnen und Besucher des früheren KZ, in dem allein während der NS-Zeit mindestens 56.000 Menschen ermordet wurden.

Besonders scharf verläuft der Konflikt zwischen der Gedenkstätte und der AfD. Nachdem Björn Höcke 2017 die Erinnerung an die NS-Verbrechen als „dämliche Bewältigungspolitik“ diffamiert hatte, wurde ihm der Zutritt zum Gelände verwehrt, als er am 27. Januar 2018 an der Kranzniederlegung zur Erinnerung an die Auschwitz-Befreiung teilnehmen wollte. Gleiches geschah mit drei weiteren AfD-Landtagsabgeordneten, als sie im Jahr darauf zu einer anderen Gedenkfeier erschienen.

Jeder zweite Thüringer Jugendliche neigt der AfD zu

In der Folge dieser und weiterer Vorfälle wurde die Besucherordnung des Erinnerungsortes erweitert um den Passus: „Die Gedenkstätte Buchenwald behält sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die Parteien oder Organisationen angehören, die durch antidemokratische, rassistische oder andere, dem Stiftungszweck widersprechende Äußerungen in Erscheinung getreten sind oder treten, den Zutritt zur Gedenkstätte zu verwehren oder sie von der Teilnahme an einer Veranstaltung auszuschließen.“

Ebenso wie in Sachsen und Sachsen-Anhalt wird auch die Thüringer AfD vom zuständigen Landesverfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Bei Jugendwahlen, die in Thüringen parallel zur Europawahl an den Schulen veranstaltet worden sind, hatte die AfD ein Ergebnis von 48 Prozent erzielt.

Es gibt viel mehr positive als negative Rückmeldungen

In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit sagt Jens-Christian Wagner am Donnerstag: „Wir kennen die AfD ja nicht erst seit gestern und wissen, wie diese Partei agiert.“ Was ihn dennoch überrasche, sei der „wirklich verrohte und bedrohliche Ton mancher E-Mails, die uns erreichen“.

Sein Eindruck sei, dass vor allem Menschen aus dem rechtsextremen Milieu für die zahlreichen bösen E-Mails und Anrufe verantwortlich sind, weil der Brief in ihren Social-Media-Gruppen mit hetzerischen Kommentaren geteilt wurde. „Es ist mir aber wichtig, festzuhalten, dass wir viel mehr positive als negative Rückmeldungen bekommen haben“, so der 58-jährige Historiker, der seit 2020 die Gedenkstätten Buchenwald und Dora leitet.

Besonders deutlicher Fall von Geschichtsrevisionismus

Anlass zur Sorge bereitet Wagner jedoch nicht nur das Treiben der AfD, deren Dresdner EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah in einem seiner Videos behauptet: „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher.“ Womit er sämtliche damals lebenden Deutsche von jeglicher Schuld oder Mitschuld an Nationalsozialismus, Zweitem Weltkrieg und Holocaust freispricht – ein besonders deutlicher Fall von Geschichtsrevisionismus.

Jens-Christian Wagner teilt die Einschätzung vieler Beobachter, dass in der deutschen Gesellschaft insgesamt das Bewusstsein dafür nachlässt, „wie grundlegend die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen für unsere demokratische Selbstverständigung ist. Das merken wir so massiv, dass ich bereits von einem erinnerungspolitischen Klimawandel gesprochen habe“, sagt er der Zeit.

Mehr Verschwörungslegenden seit der Corona-Zeit

Eine weitere Ursache für die Verwerfungen der Erinnerung sieht Wagner in der Digitalisierung, vor allem in den Sozialen Medien. "Noch vor 20 Jahren musste man sich Informationen zu Verschwörungstheorien wie der Auschwitz-Lüge in obskuren Verlagen mit Postfachadresse besorgen", sagt er. "Heutzutage habe ich so etwas in zwei Klicks. Und es verbreitet sich in den Social Media rasant, verbunden mit Verschwörungslegenden, die im Zuge der Coronapandemie noch mal deutlich zugenommen haben."