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Politik

Ins Herz getroffen: Der Anschlag von Solingen und die offene Gesellschaft

Die nervösen Reaktionen auf den Messerangriff in Solingen zeigen, wie verwundbar die offene Gesellschaft ist. Ein Kommentar.

Von Marcus Thielking
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Nach dem Anschlag sind Debatten notwendig - aber bitte nicht so, mein Sächsische.de-Reporter Marcus Thielking.
Nach dem Anschlag sind Debatten notwendig - aber bitte nicht so, mein Sächsische.de-Reporter Marcus Thielking. © dpa

Halten wir nach diesem Wochenende noch mal für einen Moment inne und erinnern uns daran, was passiert ist: Drei Menschen sind ermordet worden, mitten in Solingen, mit einem Messer erstochen. Zwei Männer, 67 und 56 Jahre alt, und eine Frau von 56 Jahren wurden aus dem Leben gerissen, bei einem friedlichen Stadtfest. Es ist ein unvorstellbares Leid für die Angehörigen. Die Menschen in Solingen stehen unter Schock und trauern. Es gab dort eine Andacht, einen Trauergottesdienst, Hunderte Kerzen brennen. Und der Rest der Republik?

Kaum war die Nachricht in der Welt, überschlugen sich von allen Seiten die üblichen Reaktionen, die nach solchen Terroranschlägen immer kommen: Schuldzuweisungen, Beteuerungen, Abwiegeln, Forderungen aller Art. Die einen haben es immer schon gewusst und schämen sich nicht, Stunden nach dem Tod der Opfer mit Triumph-Rhetorik Wahlkampf zu machen. Den anderen fällt als erste Reaktion nichts Besseres ein als die Warnung davor, dass Rechtsextremisten von dieser Terror-Tat bei den Landtagswahlen profitieren könnten. Ist das in solchen Stunden wirklich der erste Grund zum Wehklagen?

Nicht nur Islamisten zielen auf das Herz

Es ist jedes Mal dasselbe: Einem kurzen Moment des Schocks und der Trauer folgen sofort hilflose, hektische und sich überbietende Debatten. Die Diskussion über strengere Regeln für Messer ist grundsätzlich richtig. Aber glaubt irgendjemand im Ernst, dass ein lebensmüder IS-Terrorist sich darum schert, ob hier Klingen von sechs oder zwölf Zentimetern zugelassen sind? In dieser Situation sind solche Diskussionen nur Ausdruck von purer Verzweiflung und Ratlosigkeit.

So gesehen, hat der Attentäter wirklich das Land „ins Herz getroffen“, wie es der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) pathetisch formuliert hat – ins Herz einer offenen Gesellschaft. Diese lebt von Vernunft, Abwägung und Besonnenheit, im Gegensatz zu autoritären Regimen, die ihre Macht auf Angst, Ideologie und Propaganda aufbauen. An diesem wunden Punkt wollen all jene uns treffen, die nur Verachtung übrig haben für die Werte der „westlichen Welt“: Demokratie, Freiheit, Menschenrechte. Nicht nur Islamisten zielen auf dieses Herz. Die Feinde der offenen Gesellschaft bilden längst eine Achse von Amerika über Europa bis nach Russland. Dagegen haben wir nur eine Chance, wenn es gelingt, statt hysterischen Reaktionen nachhaltige, schonungslose und vernünftige Debatten zu führen.