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Wallensteins Burgherrin

Jana Pavlikova lüftet als Kastellanin von Frydlant Geheimnisse – auch um eine mittelalterliche Toilette.

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Von Katja Zimmermann

Es sind 30 Grad im Schatten und sie trägt eine Strickjacke. Für Jana Pavlikova ist das die normalste Sache der Welt. Die Sommerhitze dringt einfach nicht bis zu ihr durch – hinter die jahrhundertealten Mauern „ihres“ Schlosses Frydlant (Friedland) in Tschechien. Hier darf sie sich bereits seit 1990 als Burgherrin fühlen. Ihr Job ist für sie 24 Stunden am Tag Programm. Sie ist „Kastelanka“. Kastellanin. Burgherrin.

In Tschechien gibt es etwa 100 staatliche Schlösser und Burgen und noch mal rund 50 in Privatbesitz, schätzt Jana Pavlikova. Und so gut wie jedes dieser Gemäuer hat wohl einen weiblichen oder männlichen Kastellan als Verwalter. „Das hat Tradition in Tschechien“, erklärt die 58-Jährige. Eine Ursache liegt wohl sogar in „ihrer“ Burg begründet: Nach der Veröffentlichung von Friedrich Schillers „Wallenstein“ 1799 war Albrecht Valdstejn, wie dieser berühmteste Friedländer Burgherr auf Tschechisch heißt, plötzlich in ganz Europa bekannt.

Besucher des von ihm gegründeten Kurorts Lazne Libverda (Bad Liebwerda), rund sechs Kilometer südöstlich von Frydlant gelegen, interessierten sich auch für den Wohnsitz dieses wohl berühmtesten Opfers des Dreißigjährigen Krieges. „Schon 1801 machten die Schlossherren des Geschlechtes Clam-Gallas ihre Friedländer Burg für den Besucherverkehr zugänglich“, erzählt die studierte Kunsthistorikerin, „landesweit als Erste“. Bald schlossen sich weitere Gemäuer an. Somit war die Kultur der Schlossbesichtigungen geboren. Schlossverwalter wurden einfach als logische Folge gebraucht.

1990 war die Stelle als Kastellan auf der in ein Renaissance-Schloss integrierten Burg Frydlant neu zu besetzten. Jana Pavlikova, die bis dahin für den Denkmalschutz in Pardubice (Pardubitz) gearbeitet hatte, bewarb sich und hatte Erfolg. Das war wohl die beste Entscheidung ihres Lebens, denn hier erlebte sie nicht nur die große Erfüllung durch ihre Aufgabe. „Ich lernte auch meinen Mann kennen und lieben, der hier als Sohn einer nicht ausgewiesenen Deutschen aufgewachsen ist“, erzählt sie mit strahlenden Augen. Ihre gemeinsame Tochter ist mittlerweile schon 20 und studiert in Brno (Brünn) Tschechische Sprache und Literatur.

Regenrinne für die Klospülung

Ihre Worte sprühen vor Lebensfreude. Optimistisch hat sie auch alle Verwaltungsaufgaben in den letzten Jahrzehnten gemeistert. Ein harter Brocken war zum Beispiel die Erkenntnis, dass anfangs fast die gesamte Burg bei jedem Wolkenbruch unter Wasser stand. Sie schlussfolgerte: Irgendwo mussten die Bauherren doch ein Abflusssystem installiert haben. Nach einigen Fehlversuchen fand ihr Team das tatsächlich. Es konnte gereinigt und wieder in Betrieb genommen werden. Darüber hinaus fanden sie ein Rohr vom Dach, dessen Zweck sich nicht gleich erschloss. Die Antwort war so einfach wie genial: Die Schlossbauer hatten eine Regenrinne vom Dach als eine Art Wasserspülung für ein Trockenklo angelegt.

„Im 19. Jahrhundert sind die Menschen gereist“, erzählt die Dame des Hauses. Burgen und Schlösser bekamen viel Aufmerksamkeit. Auch in der Ersten Republik, also nach 1918, gehörte es zum guten Ton, in seiner Freizeit Schlösser zu besichtigen. „Tremping“ wurde zu einem beliebten Hobby für Arm und Reich: Man las Bücher über den Wilden Westen und zog am Wochenende einfach selbst hinaus in die wilde, freie Natur. Jana Pavlikova fährt fort: „Dabei kamen die Menschen an Schlössern und Burgen vorbei, die sie besichtigen wollten.“ Noch heute ziehen Gruppen größtenteils männlicher tschechischer „Tremper“ aller Altersgruppen vor allem im Sommer durch die tschechischen Lande.

1945 wurden die meisten tschechischen Burgen und Schlösser verstaatlicht, 1948 der Rest. Schon bald durften Besucher aber wieder in die von Bombenhagel sowie Vandalismus und Raubzügen größtenteils verschont gebliebenen Gemäuer, die wie in der Ersten Republik von Kastellanen verwaltet wurden. „Es gibt sogar das Fach Kastelologie“, sagt die Kastellanin von Frydlant und lacht.

Warum die tschechischen Schlösser von November bis März Winterschlaf halten, erklärte jüngst Jana Pavlikovas Kollegin Iva Bartova, Kastellanin auf Burg Grabstejn (Grafenstein): In vielen deutschen Gemäuern sei moderne Technik eingebaut worden, die auch Rundgänge im Winter möglich macht. „In der Tschechischen Republik wollen wir dagegen die Schlösser und Burgen im ursprünglichen Zustand belassen.“ Ohne Heizung oder andere moderne Bequemlichkeiten. Es gehe darum, den Besuchern zu einem persönlichen Erlebnis zu verhelfen. Das behalte man viel besser in Erinnerung, wenn die Vögel singen und die Blumen duften. Und wenn es auch mal kalt ist.

Jana Pavlikova, die Herrin auf Frydlant, jedenfalls weiß, was es heißt, im Winter durch Schneewehen zu stapfen. „Der Wind pfeift einem hier oben viel heftiger um die Ohren als im Ort unten“, erzählt sie. Gewitter seien besonders schaurig.

Heute kommen vor allem Tschechen, Polen und Deutsche (vom Anteil her in dieser Reihenfolge) in den ehemaligen Friedländer Herrschaftssitz. Die Besucherzahlen sind moderat, nicht vergleichbar mit den 1990er-Jahren, als in der Region aufgewachsene Deutsche ihre alte Heimat nach langer Zeit besuchten. Die meisten davon sind heute wohl schon in ihren 80ern oder 90ern und verreisen nur noch selten. „Damals haben wir Konzerte zusammen für die ehemaligen und jetzigen Friedländer organisiert“, erinnert sich die Burgverwalterin, „das sind richtig schöne entspannte Abende gewesen.“ Heute freue sie sich über jeden Gast, „der wirklich Lust hat, hierher zu kommen“. Museumsmuffel, die von ihren Begleitern genötigt werden, mit hineinzukommen und dann ein Gesicht ziehen wie drei Tage Regenwetter, gebe es aber wohl überall.

Gespenstische Gardinen

Die Decken sind sehr hoch im Schloss. Sind die Räume einmal ganz ausgekühlt, muss zwei Tage lang geheizt werden, um sie wieder erträglich zu machen. Kastellanin Pavlikova bewohnt mit ihrer Familie seit Langem eine Dienstwohnung am unteren Schlosshof. „Früher hatte ich Gardinen an den Wänden“, sagt die immer noch jung wirkende Dame und schmunzelt in sich hinein: „Die habe ich dann aus psychologischen Gründen abgenommen.“ Die Fenster seien einfach nicht hundertprozentig dicht, und jeder Lufthauch habe die Stoffbahnen aufgebauscht.

Auf solche schlossgespenstähnlichen Phänomene wird sie wohl in ihrer Villa verzichten können, die sie sich mit ihrem Mann gegenüber vom Schloss gekauft hat und nun ausbaut. Restauration ist eben auch außerhalb der Arbeitszeit ihre größte Leidenschaft. Vielleicht, so hofft sie, gelingt es ihnen auch einmal, in diesem Haus ein kleines Museum einzurichten.

Seit Kurzem sind übrigens für 7 000 Kronen (etwa 255 Euro) in einem eigens dafür hergerichteten Schlosszimmer des Friedländer Herrenhauses Trauungen möglich. Brautpaar und Gäste sollten sich allerdings etwas zum Überziehen mitbringen, der Kamin wird nur manchmal beheizt.

Deutsche Führungen im Schloss von Frydlant: 210 Kronen p.P. Bei wenigen Teilnehmern bekommen deutsche Besucher einen Text und nehmen an einer tschechischen Führung (150 Kronen) teil. www.zamek-frydlant.cz