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Vorhang auf für Peter Pan

Die SZ wirft einen Blick dahin, wo sonst keiner der über 20.000 Besucher hinkommt – hinter die Kulissen des Dresdner Eismärchens.

Von Alexander Hiller
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Warten auf den Einsatz.
Warten auf den Einsatz. © Thomas Kretschel

Draußen döst der Tag noch vor sich hin. Zwei Türen weiter, eine aus Glas, die zweite aus Stahl, öffnet sich eine ganz andere Welt. In knapp zwei Stunden spielt sich hier Zauberhaftes ab. Die sechste von sieben Aufführungen des traditionellen Eismärchens, das der Dresdner Eislaufclub (DEC) in der Vorweihnachtszeit zelebriert. Alle Veranstaltungen werden schließlich ausverkauft sein. 21 000 Menschen ließen sich in der Dresdner Energieverbundarena in diesem Jahr von der Geschichte des Peter Pan packen.

Dass die Eislauf-Inszenierung der beiden Choreografinnen Anne Zetsche und Katrin Böhme so federleicht wirkt, bedarf freilich einer kreativen Idee, monatelangen Vorbereitung, vieler Proben, stetiger Nachbesserungen, knapp 30 ehrenamtlichen Helfern und einer effizienten, pulsierenden Schaltzentrale. Die liegt im Bauch der Eisarena, eingepfercht in den ziemlich schmucklosen Kabinentrakt im Erdgeschoss der Halle. Beton, Tür, Beton, Tür, Beton, Tür. So zieht sich das über die Längsseite des Zweckbaus. Neun Kabinen besetzen die Eismärchen-Darsteller insgesamt.

Im Ballettsaal schlägt das Herz

Dann öffnet sich der Blick auf den Ballettsaal. Der ist größer als die Kabinen nebenan und gegenüber. Hier schlägt vor den Eismärchen-Aufführungen das Herz des Events. 100 Kostüme hängen hier – jederzeit bereit zur Abholung. Kinder hasten durch den Raum – immer wieder hin zum großen Spiegel des Ballettsaals. Dort werden vor allem die jungen Darsteller von zwei Make-up-Artistinnen geschminkt, Perücken zurechtgezupft, Bärte angemalt. Für die Erwachsenen steht eine Dreiliter-Kanne voll Kaffee gleich neben der Tür bereit. In der Ecke sitzt Schneiderin Ilka Klapczynski vor einer Nähmaschine und bessert von Hand ein letztes Kostüm aus. Alles läuft hier nach einem engmaschigen Zeitplan.

Knapp 25 Minuten sitzt die Titelfigur Peter Pan in der Maske. Der Junge, der nie erwachsen werden wollte, ist eigentlich ein Mädchen. Die 22-jährige Henriette Gräßler gibt der Figur auf dem Eis ein Gesicht und sportliche Tiefe. „Ich zeige in der Vorstellung viele Doppelsprünge – Toeloop, Lutz, Flip und Salchow“, sagte sie. Dabei muss die grüne Filzmütze natürlich immer sitzen. „Es spielt sich mit der Zeit eine gewisse Routine ein“, sagt sie und muss schmunzeln. Gerade stapft die Figur des Käpt’n Hook missmutig vorbei. „Der ist ein Morgenmuffel“, sagt Choreografin Katrin Böhme über Darsteller Kurt Grohmann.


An Fee Naseweis wird noch ein bisschen herumgezupft, Peter Pan alias Henriette Gräßler findet das offenbar witzig. Fotos: Thomas Kretschel
An Fee Naseweis wird noch ein bisschen herumgezupft, Peter Pan alias Henriette Gräßler findet das offenbar witzig. Fotos: Thomas Kretschel
Von wegen Lampenfieber. Völlig entspannt bereiten sich Emily Winkler (r.) und Grischa Ulbrich an der Videokonsole vor.
Von wegen Lampenfieber. Völlig entspannt bereiten sich Emily Winkler (r.) und Grischa Ulbrich an der Videokonsole vor.
Choreografin Katrin Böhme arbeitet mit ihrer Kollegin Anne Zetsche bereits seit Januar am Eismärchen. 
Choreografin Katrin Böhme arbeitet mit ihrer Kollegin Anne Zetsche bereits seit Januar am Eismärchen. 
Im Ballettsaal leuchten Sterne. 
Im Ballettsaal leuchten Sterne. 
Im Saal wird fleißig geprobt.
Im Saal wird fleißig geprobt.
Krokodile machen sich bereit.
Krokodile machen sich bereit.
Letzte Handarbeiten an den Kostümen werden schnell gemacht.
Letzte Handarbeiten an den Kostümen werden schnell gemacht.
Deko auf dem Eis darf nicht fehlen.
Deko auf dem Eis darf nicht fehlen.

Noch eine Stunde bis zur Show. Draußen laufen sich die verlorenen Kinder, die Sternschnuppen und Tigerlilly ein. Rund um die etwa 100 Requisiten herum, die Falk Tusche bereits auf der Eisfläche drapiert hat. Der Beleuchter der Semperoper ist bereits seit 18 Jahren der Mann für alle Fälle, wenn es um das Märchen-Zubehör geht. „Ich bekomme im Sommer eine Liste mit den gewünschten Utensilien“, sagt er. Danach kauft Tusche entweder zu oder baut Vorhandenes entsprechend um. „Da muss schon viel improvisiert werden“, betont er. In ein vermeintlich schwergewichtiges Bündel stopfte Tusche beispielsweise zahllose Kuscheltiere. Er freut sich über den Einfall fast so königlich wie die Kinder, die jetzt im Ballettsaal nach und nach ihre Kostüme abholen.

Noch 30 Minuten bis zur Show. „Für die schulpflichtigen Kinder hat der Verein für die Vorstellung eine Freistellung beantragt“, erklärt Katrin Böhme. „In den allermeisten Fällen bekommen wir die auch“, sagt die blonde junge Frau, die gemeinsam mit Anne Zetsche das Kreativ-Duo im Organisationsstab für das Eismärchen bildet. Seit Januar steht die Idee für das 27. Dresdner Eismärchen. Die Hauptrollen sind doppelt besetzt, so lassen sich auch krankheitsbedingte Absagen auffangen. Ein als Stern verkleidetes Mädchen kommt vorbeigeflitzt. „Wir gehen jetzt in der Halle Flyer verkaufen“, sagt es begeistert und rennt wieder davon.

Ob die Feen-Flügel halten?

Die Kostüme im Ballettsaal werden immer weniger, Schneiderin Ilka Klapczynski sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen entspannt auf ihrem Stuhl. Sie weiß, dass an diesem Tag noch jede Menge Arbeit auf sie zukommen wird, da zählt jede freie Minute. „Bei der Fee Naseweis sind die Flügel etwas anfällig, da kann sich wegen der vielen Pirouetten schon mal was lösen“, sagt sie und schaut wissend über ihre Brille.

In den Gängen wird es lauter, chaotisch nicht. „Wo ist Peter Pan?“, ruft Mirko Dubbert, eine der vielen guten Seelen hinter den Kulissen, der den Zeitplan ausbaldowert. Henriette Gräßler sitzt in einer Ecke und träumt ein bisschen vor sich hin. Wird ja erlaubt sein, kurz nach 9 Uhr. Keine zehn Minuten mehr. Thomas Kretschel, Fotograf für die SZ, will für ein letztes Foto eine Gruppe Sterne und die beiden Hauptpersonen Peter Pan und Fee Naseweis in Szene setzen. Mirko schaut unruhig auf die Uhr.

Klassische Musik dringt leise durch die schweren Betonmauern. Der Dresdner Eislaufclub nutzt für seine Eismärchen nur klassische Musik, deren Komponisten seit mehr als 70 Jahren tot sind. Damit verfällt in den meisten Fällen das Urheberrecht. Das spart Gema-Gebühren. „Es gehört auch zu unserer Philosophie, dass wir die Kinder an schöne klassische Stücke heranführen wollen“, sagt Knut Geng, der die Musik für die Märchen zusammenstellt.

Es regt sich was. Leider auch an Peter Pans Perücke. Henriette Gräßler lässt sich die künstlichen Haare schnell noch feststecken. Alles kein Problem. Das Ensemble versammelt sich vor der großen, dunklen Tür, die sie nur noch von der Eisfläche trennt. „Das ist so ein tolles Gefühl, dass hier Hobby- und Leistungssportler mit ganz viel Leidenschaft gemeinsam an einer Sache arbeiten. Das stärkt den Zusammenhalt im Verein unglaublich“, sagt Manuela Lehmann, eine der wenigen Erwachsenen in der Darsteller-Riege. Die mächtige Eingangspforte öffnet sich. „Es geht los“, wispert Mirko Dubbert. Drinnen warten 3 000 Zuschauer, darunter viele Kinder. Ihre Geduld wird jetzt belohnt.