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Vom Kopfarbeiter zum Öko-Müller

Ein Rosenthaler will seinen Beruf als Psychotherapeut an den Nagel hängen und mit 50 Jahren etwas komplett Neues beginnen.

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Von Heike Wendt

André Willumeits Augen strahlen. Die neue Getreidemühle? Ja klar, die zeigt er gern und redet von Körnern und lebendigen Lebensmitteln. Wie bitte? „Wenn industriell gemahlen wird, werden Keimling und Mehlkörper getrennt“, erklärt er. Dann ist das Getreide tot. Das wird wegen der Verarbeitung und der längeren Haltbarkeit so gemacht. Was er hingegen spannend findet, ist das frisch verarbeitete, lebendige Korn. „Geerntete Getreidekörner halten sich über mehrere Tausend Jahre und können dann immer noch keimen“, erklärt er. Kommt frisch gemahlenes Getreide in die Küche, bleiben Mineralien und Vitamine erhalten. Es ist einfach gesünder.

Der Psychotherapeut spricht vom Getreide, als hätte er sich nie mit etwas anderem beschäftigt. Dabei ist er seit fast 20 Jahren in seinem Beruf tätig und hat Menschen geholfen, sich selbst besser zu verstehen und ihr Leben umzukrempeln. Seinen eigenen Neustart bereitet er gründlich vor. „Als Psychotherapeut habe ich alles erreicht, was geht“, fasst der Rosenthaler zusammen. Jetzt möchte er sich selbst neu fordern und kniet sich in die Müller-Branche. Vorerst steht er ein paar Stunden jede Woche am Mahlwerk. Für später plant er einen kompletten Umstieg.

Die monströse, laut dröhnende Maschine gehört ihm nicht selbst. Sie steht in Struppen und ist vom Verein Lebenswurzel, in dem sich Ernteteiler zu einer Solidarischen Landwirtschaft zusammengeschlossen haben, angeschafft worden. Neben frischem Gemüse und Fleisch können die Mitglieder nach Bedarf Getreide bekommen. „Besonders die Grießbehälter sind bei den ersten Lieferungen ziemlich schnell leer gewesen“, sagt der Hobby-Müller.

Mit dem Getreidemahlen hat André Willumeit schon zuvor Erfahrungen gemacht. Allerdings ist seine Mühle zu Hause für den Eigenbedarf etliche Nummern kleiner und übersichtlicher.

Der Größenunterschied ist für den 50-Jährigen keine ernsthafte Hürde. Gleich wird er den Schalter umlegen und das Rattern des Mahlwerks herausfordern. Detaillierte Gespräche über Getreide und Siebgrößen sind jetzt kaum möglich. Das ist auch nicht nötig, denn das hat er schon erklärt. „Hier kommt feines Mehl raus, hier Grieß und hier Kleie“, erklärt er.

Vorher muss das Getreide sauber werden. Dazu kommt es in die Windfege, die Schmutz und Körner trennt. Das altertümliche Gerät hat seine Tücken, die Kurbel muss ganz gleichmäßig gedreht werden. Das macht dem zierlichen Mann nichts aus. Kräftig schwingt er die Kurbel, bis die Körner durchgepustet sind. Schwieriger wird es an der Mühle selbst. Um an den hohen Einfülltrichter zu gelangen, reichen die Arme nicht aus. Eine kleine Leiter muss her, um weit genug nach oben zu kommen. Dann das Dröhnen – und wieder das Leuchten in den Augen.

Das frisch gemahlene Mehl zu verarbeiten, ist dem Neu-Müller eine besondere Freude. Im geliehenen mobilen Backofen von Struppens Bäckerei Bohse hat er zum Vereinsfest im Mai Brote gebacken. Die waren schnell weg. Beim Stadtteilfest auf dem Sonnenstein Anfang Juli will er wieder den Backofen bestücken. Der Lebenswurzel-Verein wird mit einem Infostand dabei sein und nicht nur über gesunde Lebensmittel und faire Landwirtschaft philosophieren, sondern zeigen, wie es schmeckt.