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Mit vier Kernen zum Sieg

Drei Ludwigsdorfer wollen am Sonntag Kürbis-Europameister werden. Das gelingt nur, wenn etwas schiefgeht.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Mit einem Auto fing alles an. 2007 war das. Andreas Baumert aus Ludwigsdorf fuhr nach Bayern, um sich das Gefährt anzusehen, auf das er im Internet aufmerksam geworden war. Doch der Autobesitzer hatte noch etwas viel Besseres am Straßenrand liegen: Riesige Kürbisse. „Da war ich sofort infiziert“, erinnert sich der heute 31-Jährige. Statt sich weiter über das Auto zu erkundigen, galt sein Informationsdrang nun den großen Früchten. Mit Wissen und Tipps kehrte er in die Heimat zurück – und steckte im Frühling 2008 auf dem Komposthaufen die ersten Kerne. Eines war sofort klar: So richtig groß und schwer wird nur die Sorte „Atlantic Giant“.

Sieben Jahre und viele Kürbisse später ist halb Ludwigsdorf im Kürbisfieber. Einwohner basteln lustige Kürbisfiguren und stellen sie zur Deko an den Straßenrand, die sächsischen Kürbismeisterschaften haben kürzlich zum sechsten Mal in dem Görlitzer Ortsteil stattgefunden und 700 bis 800 Gäste angezogen. Es kommen von Jahr zu Jahr mehr. Und Andreas Baumert hat in dieser Zeit in Ludwigsdorf und Ober-Neundorf Mitstreiter für die Riesenkürbiszucht gefunden. Mit den beiden 30-Jährigen Martin Baumert und Martin Teichert bildet er seit 2010 das Team Heavy East. Unterstützung erhalten sie auch von ihren Familien, besonders von Vater Wolfgang Teichert, der Rentner ist und deshalb Zeit hat, die Kürbis-Gewächshäuser bei Bedarf mehrmals täglich zu lüften und wieder zu schließen. Konstante Temperaturen um die 30 Grad Celsius sind nämlich ein ganz wichtiger Teil des Erfolgsrezeptes der Männer.

Und Erfolge haben sie einige gefeiert. Gleich 2010, als sie erstmals zu dritt waren, haben sie fünf Titel abgeräumt, vom Sachsen- bis hin zum Europameister. 2011 dagegen hatten sie richtig Pech: Ein über 800 Kilogramm schwerer Kürbis ist ihnen weit vor der Ernte im Garten gerissen. „Da kann man gar nichts mehr machen, so eine Frucht schimmelt schnell und wird auch nicht mehr zu Wettbewerben zugelassen“, sagt Andreas Baumert. Besonders bitter: Der 800-Kilo-Kürbis war der schwerste, den sie je herangezogen haben. Er ist sogar bis heute unübertroffen geblieben.

2014 ist trotzdem ein gutes Jahr für das Team. Vier Kerne haben die Männer im April in Ober-Neundorf gesteckt – jeweils zwei draußen und zwei im Gewächshaus. Während es unter freiem Himmel keine Rekordernte gab, sind drinnen zwei Giganten herangewachsen. Mit dem einen, 620 Kilogramm schwer, wurden „Heavy East“ vor zwei Wochen Sachsenmeister, mit dem anderen, einem 699-Kilo-Koloss, reichte es voriges Wochenende in Ludwigsburg für den deutschen Meistertitel.

Die Kürbis-Szene ist gut vernetzt

Die Riesenfrucht liegt auch jetzt noch in der baden-württembergischen Stadt. Und soll diesen Sonntag Europameister werden. Das allerdings ist unsicher. Ein Einzelzüchter aus der Schweiz hat dieses Jahr mit zwei 951 und 953 Kilogramm schweren Früchten schon zwei Meisterschaften gewonnen. Auch er will am Sonntag in Ludwigsburg antreten. Rein theoretisch wird der Schweizer gewinnen. „Es können aber noch ein paar Faktoren reinspielen“, sagt Andreas Baumert. Gewinner ist der Kürbis, der am Sonntag das höchste Gewicht auf die Waage bringt. Wenn der Konkurrent vor dem Wiegen auseinanderfällt, weil er zum Beispiel innen verfault ist, dann könnten die Ostsachsen doch noch Europameister werden. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber passieren kann es durchaus.

Der Schweizer ist ein Einzelkämpfer, der das Jahr über meist wenig von sich hören lässt. Ansonsten ist die Kürbis-Szene jedoch gut vernetzt. Die Züchter besuchen sie sich ab und an. Dieses Jahr waren Kürbisfreunde aus Thüringen, Brandenburg und Sachsen in Ober-Neundorf zu Gast, in anderen Jahren auch schon aus Bayern. Zudem gibt es Kürbis-Foren im Internet, über die sich die Züchter austauschen. Sogar Kerne kann man im Internet kaufen, vor allem aus Amerika. „Wegen der Zeitverschiebung muss man da auch mal zwei Uhr morgens aufstehen und mitbieten, wenn man einen speziellen Kern will“, sagt Andreas Baumert. Der teuerste Kern, von dem er gelesen hat, hat für 1 650 US-Dollar (knapp 1 300 Euro) den Besitzer gewechselt.

So viel Geld investieren Heavy East aber nicht in ihr Saatgut. „Bis zu 200 Euro haben wir aber auch schon bezahlt“, sagt Andreas Baumert. Und insgesamt haben sich die Kosten von Heavy East in vier Teamjahren schon auf mehr als 20 000 Euro summiert. Das meiste Geld ist für Gewächshäuser draufgegangen, der Rest für Kerne, Dünger, Bewässerung sowie Sprit- und Unterkunftskosten bei den Wettbewerben. Die Preisgelder, die je nach Wettbewerb zwischen 300 und 1 500 Euro liegen, decken die Kosten nicht annähernd. „Wir hätten gern Sponsoren“, sagt Martin Teichert. Bisher habe sich aber keiner gefunden. Auch die Stadt Görlitz steuert nichts bei. „Dabei kommt Görlitz durch die Meistertitel überregional in die Medien“, erklärt er.

Um wirklich Meister zu werden, müssen vier Dinge zusammenspielen: Der richtige Kern, die optimale Wassermenge, ein perfekter Boden – und Glück. An den ersten drei Faktoren feilen Heavy East von Jahr zu Jahr. Innerhalb des Teams gibt es dabei eine klare Aufgabenteilung. Andreas Baumert ist nicht nur der ursprüngliche Initiator, sondern er hat bis heute das meiste Wissen, wählt die Kerne aus, kümmert sich um die Düngung. Die beiden Martins hingegen machen die Zuarbeit, bereiten Gewächshäuser und Acker vor und jäten zusammen mit weiteren Familienmitgliedern das Unkraut. Doch ohne Wolfgang Teichert, der richtig viel Zeit investiert, während das eigentliche Team tagsüber als Tischler, Kfz-Mechaniker beziehungsweise Elektriker berufstätig ist, ginge es gar nicht. Bei Meisterschaften hingegen hält sich Wolfgang Teichert bescheiden zurück. Oft ist er in dieser Zeit sogar im Urlaub und bekommt vom Trubel gar nichts mit.

Fast alle Früchte sind essbar

Mit den Europameisterschaften geht das Kürbisjahr noch nicht zu Ende. Am 19. Oktober lädt der Heimatverein, von dem die Männer bei den Festen stets tatkräftige Unterstützung bekommen, zum Kürbisschlachtfest ein. Während die 699-Kilo-Frucht vermutlich in Ludwigsburg bleibt, bekommen der 620-Kilo-Kürbis und viele kleinere Exemplare an diesem Tag die Kettensäge, wahlweise auch Axt oder Messer, zu spüren. „Wer will, kann von dem Fleisch etwas bekommen“, kündigt Andreas Baumert schon mal an. Essbar sind die Riesenkürbisse nämlich fast immer: „Von 30 bis 50 Früchten haben wir erst einen weggeworfen, weil er nicht geschmeckt hat.“