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„Mit vielen Kindern wirst du ausgegrenzt“

Alleinerziehend mit zehn Kindern: Dafür wird eine Radebeulerin oft als „Assi“ abgestempelt. Sie beweist das Gegenteil.

Von Nina Schirmer
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Die Familie in kleiner Runde: Die Größeren waren gerade auf Klassenfahrt. Madlen Paul wohnt mit acht ihrer Kinder in einer Wohnung in Radebeul. Die ältesten Geschwister sind schon ausgezogen.
Die Familie in kleiner Runde: Die Größeren waren gerade auf Klassenfahrt. Madlen Paul wohnt mit acht ihrer Kinder in einer Wohnung in Radebeul. Die ältesten Geschwister sind schon ausgezogen. © Arvid Müller

Radebeul. Luna ist gerade zwei geworden und in der Bockphase. Eben hat das quirlige Mädchen mit den braunen Löckchen auf dem Kopf noch fröhlich gespielt, im nächsten Moment ist das Geschrei groß. Ein bisschen zu theatralisch wirft sie sich in die Arme ihrer Mama. „Du weißt doch selbst grad gar nicht, warum du weinst“, sagt die und tätschelt zärtlich den Rücken der Kleinen. Madlen Paul ist eine ruhige Mutter. Liebevoll tröstet sie ihre Tochter. Doch die ist nicht die Einzige, die Aufmerksamkeit von der 41-Jährigen einfordert. Lilly möchte etwas naschen, Leon sein Spielzeug zeigen, Nick von der Schule erzählen, Emely sucht ihr Handy.

Madlen Paul ist solchen Trubel gewöhnt und bleibt entspannt. Die Radebeulerin hat insgesamt zehn Kinder. Die beiden Ältesten, 21 und 24 Jahre alt, sind schon ausgezogen. Mit den anderen im Alter zwischen zwei und 19 lebt sie in einer 115-Quadratmeter-Wohnung an der Meißner Straße.

Mit so vielen Kinder fällt man auf, in einer Gesellschaft, in der eine Frau im Durchschnitt nur 1,57 Kinder zur Welt bringt. Eine 2019 veröffentlichte Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigte: Nur rund 16 Prozent der Frauen der Jahrgänge 1965 bis 1974 haben drei Kinder geboren oder gar mehr. Das ist etwa jede sechste Frau in diesen Jahrgängen. 0,2 Prozent bekamen acht und mehr Kinder. In Ostdeutschland ist die Zahl noch geringer.

Keine Einladungen zum Geburtstag

Für Madlen Paul hat das „Besonderssein“ oft negative Auswirkungen. „Mit vielen Kindern wirst du ausgegrenzt“, erzählt die zierliche Frau mit den kurzen schwarzen Haaren. Im Kindergarten oder der Schule merke sie das ganz deutlich. „Wenn die anderen Eltern hören, wie viele Kinder ich habe, sind sie ganz schnell wieder weg.“ Auch manche Nachbarn gucken die Familie komisch an. „Man wird nicht ernst genommen und als Assi abgestempelt“, sagt die Mutter. Leid tut ihr das vor allem für ihre Kinder. Zu Geburtstagen werden sie so gut wie nie mal eingeladen. Die Größeren behalten in der Schule lieber für sich, dass sie so viele Geschwister haben.

Eine Großfamilie zu managen, erfordert eine gute Organisation von der Alleinerziehenden. Ihr Wecker schrillt um 4.45 Uhr. Die Kinder müssen eine Viertelstunde später raus aus den Federn. Eine Stunde bleibt Zeit zum Fertigmachen und Frühstücken. Die Größeren machen sich selbst auf den Weg, manche in die Grundschule, die Älteren in die Oberschule. Der fünfjährige Leon und Nesthäkchen Luna gehen in den Kindergarten. Mit ihnen startet die Mutter kurz vor sechs und liefert sie in der Kita ab. Zwischen halb und um sieben muss sie selbst auf Arbeit in Radeburg sein.

Die 41-Jährige arbeitet Vollzeit als Lkw-Fahrerin für die Spedition DB Schenker, lenkt einen Zwölftonner. „Es gibt oft das Vorurteil, dass man mit so vielen Kindern sowieso nicht arbeitet und sich vom Staat bezahlen lässt“, sagt sie. Doch genau das möchte die Radebeulerin nicht. Auf ihre Arbeit ist sie stolz. Auch deshalb, weil eine Mitarbeiterin beim Arbeitsamt ihr mal bescheinigte, sie käme bestimmt niemals aus Hartz IV raus. „Ich erkläre den Kindern oft, dass wir uns viele Dinge mit Hartz IV nicht leisten könnten“, sagt Madlen Paul. Zum Beispiel den letzten Urlaub nach Berlin.

Manchmal muss sich die Mutter aber sogar wegen ihrer Arbeit rechtfertigen. „Wenn manche Leute hören, dass ich Vollzeit arbeite, fragen sie mich, ob ich überhaupt Zeit für meine Kinder habe.“ Dabei dreht sich immer alles um die Kinder. Am Nachmittag treffen sich alle wieder in der Wohnung. Dann betreut Madlen Paul ihre Sprösslinge bei den Hausaufgaben, danach geht’s oft noch mal nach draußen zum Spazieren, um sechs sitzen alle am Abendbrottisch zusammen. Die größeren Söhne Benjamin und Nico, 15 und 17 Jahre alt, helfen der Mutter viel im Haushalt und bei der Betreuung der Kleinen. Zeit für sich selbst bleibt ihr trotzdem kaum.

„Wenn ich mal zum Friseur will, muss ich Urlaub nehmen.“ Eine Beschwerde soll das aber nicht sein. Die Radebeulerin geht in ihrer Mutterrolle auf, den liebevollen Umgang mit ihren Kindern spürt man sofort. Aber mehr Achtung und Anerkennung in der Gesellschaft für Alleinerziehende würde sie sich wünschen.

Manchmal sind da aber auch solche Menschen, die die Mutter so gut es geht unterstützen. Ihr Chef von DB Schenker ist so jemand, sagt Madlen Paul. Auf ihn hält sie große Stücke. Als die jüngste Tochter Luna anfangs sehr oft krank ist, muss die Mutter an vielen Tagen mit ihr zu Hause bleiben. „Andere hätten mich bestimmt rausgeschmissen“, sagt sie. Von der Spedition aber bekam sie immer Rückendeckung. Auch jetzt noch, wenn es um flexible Arbeitszeiten geht. Der Chef hat ihr auch mehr Geld angeboten, um die Familie zu unterstützen. „Mach das bloß nicht“, war die Antwort von Madlen Paul. Denn so lange sie Mindestlohn verdient, bekommt sie Wohngeld und unter anderem auch Essengeld für die Kinder im Kindergarten und der Schule.

Das Geld ist auch ein Grund, warum ihr langjähriger Freund und Vater der jüngsten Kinder nicht zu ihr zieht. „Wenn wir zusammen ziehen, bekomme ich kein Wohngeld mehr und müsste die Wohnung allein bezahlen. Wir hätten dann deutlich weniger Geld als jetzt“, sagt die Mutter. „Wir würden gerne heiraten und als Familie zusammenleben, aber der Staat macht es einem sehr schwer.“