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Kurzer Prozess in schnellen Verfahren

Im September 2018 kündigte Justizminister Sebastian Gemkow beschleunigte Verfahren an. Jetzt zeigt der Vorstoß Wirkung. Über 100 Urteile wurden in Sachsen schon in kurzer Frist gesprochen.

Von Alexander Schneider
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Entschlossen durchzuziehen: Justizminister Sebastian Gemkow
Entschlossen durchzuziehen: Justizminister Sebastian Gemkow © Foto: Ronald Bonß

Jürgen B. kommt an diesem Tag gerne ins Gericht. Der 52-jährige Ladendetektiv ist Zeuge in einem Prozess gegen einen Dieb. Er hatte nur drei Tage zuvor den 22-jährigen Marokkaner gestellt, der nun auf der Anklagebank sitzt. Der Täter hatte sich eine Tüte Pistazien in die Jackentasche gesteckt, aber nicht bemerkt, dass er dabei gefilmt wurde. Nun sitzt er neben seinem Verteidiger Wolfgang Rudolph im Amtsgericht Dresden und versucht, seinen Diebstahl als Versehen darzustellen. Er habe keine Hand frei gehabt, als er nach den Pistazien noch eine Flasche Wodka nahm und deshalb die Tüte eingesteckt. An der Kasse habe er die Kerne im Wert von 2,49 Euro dann „vergessen“.

Doch an jenem 18. Dezember wurde Mouad T. überraschend noch in dem Supermarkt im Dresdner Stadtteil Prohlis von der Polizei festgenommen. Ihm wird Diebstahl mit Waffen vorgeworfen, weil er Pfefferspray und ein Messer einstecken hatte.

Jürgen B., der Detektiv, berichtet nun, wie er den Dieb nach der Kasse am Ausgang gestellt hatte. Der 22-jährige sei ihm widerstandslos ins Büro gefolgt, um die Formalitäten zu erledigen. Der Täter kannte das Geschäft. Nur drei Tage zuvor war er in einem Discounter erwischt worden, mit Lebensmitteln und Gutscheinkarten im Wert von 300 Euro. Der junge Marokkaner ist mehrfach vorbestraft und hatte bis August eine eineinhalbjährige Freiheitsstrafe abgesessen. 

Doch dieses Mal war plötzlich alles anders. Die Polizisten kamen nicht, um die nächste Anzeige aufzunehmen, sondern sie nahmen ihn gleich mit. Ihm sollte schon am nächsten Tag der Prozess gemacht werden.

Im September 2018 starteten Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) und Generalstaatsanwalt Hans Strobl eine neue Initiative, mit sogenannten beschleunigten Verfahren wirkungsvoller gegen Bagatellkriminalität vorzugehen. Solche Schnellverfahren sind möglich, wenn der Tatvorwurf einfach ist, sich der Ermittlungsaufwand in Grenzen hält und nicht mehr als maximal ein Jahr Haft im Raum stehen. Schnelle Urteile Täter und Nachahmer sollen abschrecken. Und sie sollen suggerieren, dass der Staat handelt.

Schon zwei Tage nach Gemkows Pressekonferenz stand die erste Angeklagte vor dem Amtsgericht Dresden. Eine Studentin aus Georgien, die im März mit ihrem Mann in Dresden Asyl beantragt hatte. Im September wurde sie, erstmals, beim Stehlen von Kosmetik erwischt. Sie landete sofort im Polizeigewahrsam und wurde keine 24 Stunden später zu einer Geldstrafe von 720 Euro verurteilt.

Ob die 26-Jährige ihre Strafe gezahlt hat, ist nicht bekannt. Möglicherweise hat sie im Herbst sogar ihr Studium in Georgien fortgesetzt. Der aussichtslose Asylantrag könnte ein netter Urlaub im Freisemester gewesen sein. Finanziert vom deutschen Staat. Diesen Eindruck gewannen jedenfalls die beiden Staatsanwälte, die nun sämtliche beschleunigte Verfahren in Dresden bearbeiten.

In Berlin geht's schon länger schneller

Es sind bis zum Jahresende allein in der sächsischen Landeshauptstadt etwa 30 geworden, ungefähr so viele wie in Leipzig. In ganz Sachsen zählte die Generalstaatsanwaltschaft bis Mitte Dezember 113 beschleunigte Verfahren. Ein erster kleiner Erfolg. Die Resonanz ist positiv, bei der Polizei, in der Justiz und sogar in den Kreisen der Kriminellen. Die Schnellverfahren hätten sich sogar schon in Tschechien herumgesprochen, sagt eine Staatsanwältin. Für die Ankläger sind beschleunigte Verfahren auch ein Signal an die Polizisten vor Ort. Die könnten nun besser sehen, dass sich ihre Arbeit sofort in sichtbare Ergebnisse auswirke. Im Jahr 2017 hat die Justiz gerade 14 beschleunigte Verfahren verhandelt, in ganz Sachsen. In Berlin waren es rund 4.000.

Gerade reisende Täter oder solche ohne festen Wohnsitz seien von der sofortigen Verhaftung besonders beeindruckt, sagt Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Aber auch alle anderen, deutsche Junkies ebenso wie tschechische Ladendiebe, die in Dresden mehr oder weniger professionell ihre Autos mit Beute füllen, sollen sehen: Polizei und Justiz „ziehen nun durch“, wie es Klein formuliert. Beschleunigte Verfahren seien zwar kein Allheilmittel, aber doch ein Instrument aus der Strafprozessordnung, das sich lohnen könne. Der Weg dahin ist jedoch aufwendiger, als es der Begriff erwarten ließe.

Drei bis vier Polizeibeamte müssen spontan zur Verfügung stehen, um einen erwischten Straftäter schnell der Justiz zuführen zu können – für die Festnahme, die Zeugenvernehmungen, Aktenführung, Kontakt zur Staatsanwaltschaft und nicht zuletzt die Vorführung des Beschuldigten vor einem Ermittlungsrichter. Der Einsatz ist gerade angesichts der knappen Personalausstattung eine echte Herausforderung. Auch die beiden Staatsanwälte müssen spontan Zeit haben und dürfen nicht etwa durch andere Prozesse oder Ermittlungsverfahren ausgebremst werden. Polizei und Staatsanwälte müssen sich schnell und gut verstehen. Ermittlungsrichter sind es dann auch, die spontan die Verhandlungen führen. In ihren Arbeitsablauf lassen sich beschleunigte Verfahren am besten integrieren.

Ladendieb muss sofort ins Gefängnis

Richterin Sibylle Vollmers verurteilt Muad T. zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten wegen Diebstahls mit Waffen in zwei Fällen. Er hatte auch bei der ersten Tat im Discounter Pfefferspray und Messer dabei. Da er einschlägig vorbestraft ist, könne er sich nicht auf Unwissenheit berufen, so die Richterin. Wegen Fluchtgefahr muss T. die Strafe sofort absitzen. Sein Prozess hat jedoch zwei Sitzungstage gedauert, weil er trotz klarer Beweise sein Geständnis zurückgezogen hatte. „Das kommt häufiger vor“, sagt Richterin Vollmers. Sie hatte in der kurzen Zeit seit September sogar schon eine Angeklagte zweimal vor sich sitzen. Nur zwei Wochen nach dem ersten Prozess, in dem die osteuropäische Ladendiebin noch eine Bewährungsstrafe bekommen hatte, saß die von Crystal abhängige Frau wieder vor Vollmers. Jetzt wurde sie zu neun Monaten „ohne“ verurteilt. Auch wegen Fluchtgefahr.

„Wir Detektive begrüßen schnelle Verfahren“, sagt Jürgen B. Er erlebe es immer wieder, dass ihn Diebe kurz nach der Tat auslachten und manchmal noch am selben Tag wieder zum Stehlen kämen. Rund 500 Diebe hat er im Jahr 2018 erwischt, nicht nur in Dresden.

Ladendiebstahl stellt derzeit noch das Gros der Vorwürfe in beschleunigten Verfahren dar. Zurzeit sei geplant, die Ermittlungen auch auf Schwarzfahren, auch mit körperlichen Übergriffen auf Kontrolleure und Polizisten auszuweiten. Die Bundespolizei hat ihre Unterstützung zugesagt.