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Impfpflicht: Dresdner Ärztin wünscht sich Änderungen

Claudia Morawe-Weisheit berät Familien, die ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen wollen. Sie meint: Eltern sollten selbst entscheiden dürfen.

Von Nora Domschke
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Claudia Morawe-Weisheit ist anthroposophische Medizinerin und betreibt eine Praxis in Pieschen.
Claudia Morawe-Weisheit ist anthroposophische Medizinerin und betreibt eine Praxis in Pieschen. © Sven Ellger

Dresden. Die Termine sind knapp, der Ansturm ist immens. "Die Not einiger Eltern ist wirklich groß", sagt Claudia Morawe-Weisheit und meint die Impfpflicht, die seit März für Masern gilt. Sie betreibt eine Arztpraxis in Dresden-Pieschen und behandelt ihre Patienten mit speziellen Naturheilverfahren. Mit ihrer Gemeinschaftspraxis in der Konkordienstraße ist sie Teil der Gesundheitsinitiative Dresden, ein Verein, der sich der Anthroposophischen Medizin verschrieben hat. 

Diese sieht den Menschen im Ganzen, berücksichtigt bei körperlichen Leiden auch den seelischen Zustand, behandelt Krankheiten unter anderem mit Mal- und Musiktherapien, therapiert mit Heilmitteln aus dem Mineral-, Pflanzen- und Tierreich. "Die Schulmedizin wird durch die Anthroposophische Medizin um andere Erkenntniszugänge erweitert" ist auf der Homepage der Initiative zu lesen. 

Zu den Patienten von Dr. Morawe-Weisheit gehören viele Familien, die das Impfen kritisch hinterfragen. Und nun in einen großen Konflikt gerieten, sagt die Ärztin. Denn seit März dieses Jahres werden ausschließlich Kinder in den Dresdner Kitas und Schulen aufgenommen, die gegen Masern geimpft sind. Das muss von Ärzten bescheinigt werden. Kinder, die bereits eine Einrichtung besuchen, brauchen diesen Nachweis bis Juli 2021. Wer sein Schulkind weiterhin nicht impfen lassen will, riskiert ein Bußgeld von bis zu 2.500 Euro, das jährlich verhängt werden kann. Denn die Schulbesuchspflicht steht über der Impfpflicht.

Ungeimpft zur Schule: Eltern nehmen Bußgeld in Kauf

Dieses Bußgeld würden einige Eltern durchaus in Kauf nehmen, hat Claudia Morawe-Weisheit in vielen Gesprächen erfahren. Doch härter treffe es Familien mit Kindergartenkindern. Denn die Einrichtungen müssen die Betreuung ungeimpfter Kinder ablehnen. Das sei ein Konflikt nicht nur für die Eltern, sondern auch für die Erzieher. "Diese Eltern leiden wirklich, denn auch sie sind ja auf eine Betreuung angewiesen, wenn sie arbeiten gehen." Sie kenne nur wenige, die das Betreuungsproblem innerhalb der Familie oder mit Freunden lösen können.

Wie berät eine Ärztin, die selbst davon überzeugt ist, dass Eltern selbst entscheiden sollten, ob sie ihr Kind gegen Masern impfen oder nicht, diese Familien? Claudia Morawe-Weisheit überlegt lange, ihr eigener Konflikt mit diesem Thema ist spürbar. Die Impfpflicht steht, sagt sie, und darauf müsse sie hinweisen. Sie versuche, die Eltern aus medizinischer Sicht zu beruhigen, erkläre ihnen, wie die Impfung funktioniert. 

Aber sie verschweige auch nicht, dass es bis jetzt keine Langzeituntersuchungen zu dieser Impfung und möglichen Folgen gibt. Das sei ein Manko, das sie auch so benenne. "Ich sage den Eltern nicht: Das ist alles nicht so schlimm." Dennoch sei es wichtig, dass die Eltern ihren Frieden damit machen. Viele würden von schlaflosen Nächten und Ängsten berichten, weil es in der Familie Vorerkrankungen gibt. Die Eltern befürchten, dass die sich negativ auf die Gesundheit ihres Kindes auswirken könnten.

Die Unruhe der Eltern übertrage sich auf das Kind, was die Situation nur noch verschlimmert, sagt die Ärztin. Also redet sie den Familien gut zu. Letztendlich entscheiden sich nun die meisten Eltern doch, ihr Kind impfen zu lassen. Die Impfungen in der täglichen Praxis hätten deutlich zugenommen seit Einführung des neuen Gesetzes.

Ärztin: Impfpflicht in einigen Punkten verändern

Kippen lässt sich die Impfpflicht sicher nicht, sagt Claudia Morawe-Weisheit. Aber sie wünscht sich, dass einige Punkte verändert werden. Etwa das Alter des Kindes. In Deutschland muss die erste Impfung ab einem Jahr, die zweite ab zwei Jahren gemacht werden. Das sei zu zeitig, findet Morawe-Weisheit. Im Ausland sei das nicht so straff. 

Ein zweiter Punkt, den sie kritisiert: In Deutschland gibt es derzeit nur einen Dreifachimpfstoff. Das heißt, das Kind wird automatisch auch gegen Mumps und Röteln geimpft. "Einfachimpfstoffe gegen Masern sind seit 2018 nicht mehr verfügbar", bestätigt das Robert-Koch-Institut auf seiner Homepage. Die Aussage bezieht sich auf Deutschland. Claudia Morawe-Weisheit sagt, dass etwa in der Schweiz ein Einfachimpfstoff zur Verfügung steht, den die Eltern allerdings privat bezahlen müssen und der hier nicht zugelassen ist. 

Sind andere Krankheiten verbreiteter als Masern?

Die Dresdner Ärztin fordert außerdem, dass ein von Pharmaindustrie und Wirtschaft unabhängiges Gremium die Langzeitfolgen des Impfstoffes untersucht und sich mit möglichen negativen Auswirkungen befasst. "Als Ärztin heile ich den Patienten und schädige ihn nicht." Wenn sie gegen den eigentlichen Willen der Eltern impfen müsse, sei das aber nicht der Fall.

Dennoch erstelle sie keine Atteste, die einem Kind bescheinigen, dass es aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden kann. Obwohl es dazu jede Menge Anfragen von Eltern gäbe, etwa weil das Kind Neurodermitis oder Asthma hat. "Das ist nur eine kurzfristige Lösung."

Die Schulen sind verpflichtet, ungeimpfte Kinder, auch mit Attest, dem Gesundheitsamt zu melden. Das wiederum habe eine weitere Überprüfung zur Folge, in der derartige Atteste nicht anerkannt werden, da sie tatsächlich nur in sehr wenigen und seltenen Fällen zur Anwendung kommen würden.

Claudia Morawe-Weisheit ist überzeugt, dass Familien die Entscheidung für eine Impfung eigenverantwortlich treffen können. Ja, es gehe auch um die Verantwortung für die Gesellschaft, aber da seien andere Krankheiten wie Keuchhusten viel verbreiteter. Sie selbst sei im Alter von drei Jahren an Masern erkrankt, habe 2015, als es in Deutschland eine Masernwelle gab, viele Kranke behandelt. Und sagt trotzdem: "Ich bin für eine freie Impfentscheidung."

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