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„Ich zähle mich mit zu den Rettern“

Hubert Borns räumt heute seinen Schreibtisch im Gröditzer Stahlwerk. Acht wichtige Jahre schrieb der 64-Jährige als Arbeitsdirektor an der wechselvollen Geschichte dieses traditionellen Unternehmens mit.

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Von Kathrin Schade

Hubert Borns räumt heute seinen Schreibtisch im Gröditzer Stahlwerk. Acht wichtige Jahre schrieb der 64-Jährige als Arbeitsdirektor an der wechselvollen Geschichte dieses traditionellen Unternehmens mit. Aus seinen Worten ist deutlich der Stolz herauszuhören, dass „Gröditz überlebt hat“.

„Ich bin am 1. Januar 1995 hierher gekommen mit einer durch Brandenburg verletzten Seele“, sagt er. Was es damit auf sich hat, wird erst später deutlich. Denn nach diesem Satz folgt eine lange Pause. Dann beginnt der gebürtige Greifswalder zu berichten: In Stendal sei er aufgewachsen. Habe nach der Schule eine dreijährige Lehre als Eisenbahner absolviert und danach bei der Reichsbahn gearbeitet. Die Wehrpflicht gab’s zu seiner Zeit nicht, lediglich die kasernierte Volkspolizei.

Doch die Werber hatten bei Hubert Borns keine Chance. Zu gut war seine Friedenserziehung gewesen. Eine Waffe wollte der junge Mann nicht tragen, dafür aber studieren. Doch das wurde ihm verwehrt. Sogar für die Arbeiter- und Bauernfakultät sei er vorgeschlagen worden. Aber auch hier schob man ihm einen Riegel davor.

Seit 50 Jahren aktiver IG-Metaller

Sein Wechsel von der Reichsbahn zur Bundesbahn war verbunden mit dem Umzug nach Frankfurt am Main. Als „kleiner“ Güterbahnarbeiter begonnen, danach die mittlere Beamtenlaufbahn eingeschlagen, arbeitete sich Hubert Borns bis zum Bundesbahnassistenten herauf. Mit 21 Jahren setzte er sich nochmals auf die Schulbank, machte von 1959 bis 1962 das Abitur nach und studierte anschließend Wirtschaftsingenieurwesen, Fachrichtung Maschinenbau, an der TU in Berlin.

Hubert Borns liebte schon immer die Herausforderung; war beispielsweise während des Studiums zwei Jahre stellvertretender Vorsitzender der Studentenbewegung und später sogar Präsident des Studentenparlaments. „Das war eine schöne und wichtige Station meines Lebens“, resümiert der gestandene Gewerkschafter. Der am 6. Dezember für seine 50-jährige Mitgliedschaft von der IG Metall ausgezeichnet wurde.

Mit dem Examen in der Tasche, ging’s 1970 zurück nach Frankfurt am Main, zum RKW, was übersetzt „Rationalisierungskooperation der deutschen Wirtschaft“ heißt. „Ein Verein, der berät und weiterbildet, um unter anderem die Produktivität in den Unternehmen zu steigern“, erklärt er. Seine Fachgebiete seien jedoch Personalwirtschaft und Arbeitswissenschaft gewesen. „Dort war ich gleichzeitig neun Jahre Betriebsratsvorsitzender“, ergänzt Hubert Borns.

Von der IG Metall als Projektmanager angeheuert, war er dann in zahlreichen Firmen auf Achse. Half diesen bei der Einführung neuer Technologien sowie bei der Arbeitsgestaltung. 1984 war damit Schluss. Er ging zurück zum RKW, wurde dort Geschäftsführer.

Nur zu gut erinnert sich der Senior an die Maueröffnung: „Ich hatte derzeit begriffen, dass es hier viel zu tun gibt und es ohne Personaltransfer nicht geht.“ Als ihn die IG Metall fragte, ob er als Arbeitsdirektor im Vorstand der Qualitäts- und Edelstahl AG Brandenburg arbeiten möchte, sagte er zu.

„Entlassungsdirektor“ im Stahlwerk Brandenburg

Als Hubert Borns dann am 1. Juli 1991 dort anrückte, sah er seine Aufgabe darin, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Doch weit gefehlt: Er wurde als „Entlassungsdirektor“ abgestempelt. Kurzarbeit, Gründung einer Beschäftigungsgesellschaft für die Stahlkocher, Entlassungen und schließlich der Abriss des alten Werkes – dieses „Abwickeln“ war für den Gewerkschafter eine schmerzliche Zeit.

„Nachdem Brandenburg gelaufen war, musste auch ich sehen, wie ich die Kurve kriege, um nicht plötzlich ebenfalls zu den Arbeitslosen zu zählen“, gesteht der Arbeitswissenschaftler. Hier erwies sich der gute Draht zur IG Metall als Vorteil. Von dort wurde ihm signalisiert: Gröditz braucht einen Arbeitsdirektor! „Und da mein Vorgänger Karl-Heinz Maresch so von diesem Unternehmen geschwärmt hat, dachte ich, dass die Welt hier in Ordnung sei“, erzählt Borns mit verschmitztem Lächeln.

Sozialplan, Interessenausgleich, Personalreduzierung – mit diesen Schlagwörtern sei er im Januar 1995 im Gröditzer Stahlwerk begrüßt worden. Und die Verhandlungen mit dem Betriebsrat seien weiß Gott kein Zuckerschlecken gewesen. „Aber für mich war von Vorteil, dass ich wie beide Seiten denken konnte: Als jahrelanger Betriebsrat war mir durchaus bewusst, wie dieser zu agieren hat. Und als Geschäftsführer des RKW hatte ich gelernt, wie man einen Betrieb rationalisiert“, zeigt sich Hubert Borns froh darüber. In dieser Zeit ging es nämlich darum, den Betrieb verkaufsfähig zu machen. Es wurde abgerissen, saniert und modernisiert. So herausgeputzt, präsentierte sich das Stahlwerk zum Verkauf. Die Georgsmarienhütte machte das interessanteste Angebot und bekam Mitte 1997 den Zuschlag. Stahlhart behauptete sich das Unternehmen am Markt. Schrieb Ende 1998 erstmals sogar schwarze Zahlen. Alles lief bestens.

Die Insolvenzzeit war ein schwarzes Kapitel

Bis, ja bis zum Beginn eines weiteren schwarzen Kapitels im Leben des Hubert Borns. Brüsseler Wettbewerbshüter forderten Beihilfen in Höhe von 120 Millionen Euro zurück. Und Hubert Borns war es, der für das Mutterunternehmen im September 1999 Insolvenz anmelden musste. Denn die anderen Geschäftsführer traten zurück, fungierten jedoch noch als Geschäftsbesorger. „Alle konnten zwar gute Ratschläge geben, aber als alleiniger Geschäftsführer musste ich diesen Schritt tun“, erinnert sich der Arbeitsdirektor nur ungern an diese Zeit. Sollte Gröditz ein zweites Brandenburg werden? Das wollte er auf alle Fälle verhindern. Doch der Streit um die Gröditzer Stahlwerke spitzte sich zu, als Insolvenzverwalter Bruno Kübler Hubert Borns nicht nur seines Postens enthob, sondern auch eigenmächtig die „Töchter“ in Insolvenz schickte. „Diese Dreistigkeit hat meinen Blutdruck dann doch hochgetrieben“, erzählt der 64-Jährige und gerät dabei noch heute in Rage.

Nach einer erneuten langen Gesprächspause winkt Hubert Borns ab und sagt: „Schwamm drüber! Gröditz konnte gerettet werden, und ich zähle mich mit zu den Rettern.“ Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat, Aufsichtsrat und IG Metall sei Voraussetzung dafür gewesen, dass dieses Unternehmen überlebt hat. Und fest davon überzeugt ergänzt er: „Ich bin der Meinung, dass der Betrieb überlebensfähig ist.“ Doch Borns verhehlt auch nicht, dass es im Moment Beschäftigungsprobleme gibt, die der schlechten Konjunktur auf dem Schmiedemarkt geschuldet sind. „Wir konnten eigentlich nur dadurch Arbeit sichern, weil wir einfache und billige Produkte hergestellt haben, was natürlich zu Lasten des Ergebnisses ging“, erklärt er. Und nach einem tiefen Durchatmen klingt es fast wie eine Festlegung: „Wir müssen jetzt versuchen, in andere Märkte einzudringen und insbesondere unsere Strategie weiterfahren, hochveredelte und spezielle Produkte herzustellen, in denen sehr viel qualifizierte Arbeit steckt.“ Obwohl es sein letzter Arbeitstag ist, spricht Hubert Borns noch immer vom „Wir“ und „Unsere“.

Seinen Lebensabend wird der 64-Jährige mit der Ehefrau Hannelore in Brandenburg genießen. Hier hatte er sich 1996 ein Haus gebaut, zählte also mit zu den Tausenden Pendlern. Für den agilen Mann steht aber auch fest: Er wird als Rentner nicht nur spazieren gehen, sondern er hat sich bereits bei der IG Metall angemeldet, um sich als Berater für Betriebsräte nützlich zu machen. „Und dann werde ich mich als Sozialdemokrat noch in die Kommunalpolitik mit einmischen“, verrät er.

Zu Hause das Klavierspiel wieder auffrischen

Damit nicht genug, denn auf seiner „Rentnerliste“ steht auch noch Klavierunterricht. „Als Kind hatte ich Klavierunterricht. Wollte damals aber lieber Fußball spielen. Das will ich jetzt wieder auffrischen“, so Hubert Borns und schaut dabei verschmitzt über seinen Brillenrand. Brahms und Bach zählen zu seinen Lieblingen in der Musik, während Kleist und Mann seine Favoriten unter den Schriftstellern sind.

Stolz ist Hubert Borns auf Tochter Katja (28), die in Berlin Volkswirtschaft studiert, sowie auf Sohn Florian (26), der sich in Köln der Soziologie und Geschichte verschrieben hat und als Reggae-Musiker viel unterwegs ist. Zwei weitere Töchter und drei Enkelkinder bescherte ihn die zweite Ehe. Hubert Borns gerät ins Schwärmen, als er über die Familie plaudert. Und es ist deutlich zu spüren, dass er sich auf zu Hause freut, das Familienleben jetzt erst so richtig genießen wird.

Mit Blick auf die acht Jahre in Sachsen sagt er abschließend: „Ich gehe aus Gröditz mit einem sehr guten Gefühl weg, denn das Stahlwerk hat eine Zukunftschance.“