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Hier sollte Hitler sterben

Eine Schau in In Dresden zeigt den Nachbau jener Baracke, in der Graf Stauffenberg den "Führer" am 20. Juli 1944 töten wollte.

Von Oliver Reinhard
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Wer mag, kann sich im Dresdner Militärmuseum dort platzieren, wo am 20. Juli 1944 Hitler oder Stauffenberg standen - die nachgebaute Führerbaracke aus dem Film "Operation Walküre" macht es möglich.
Wer mag, kann sich im Dresdner Militärmuseum dort platzieren, wo am 20. Juli 1944 Hitler oder Stauffenberg standen - die nachgebaute Führerbaracke aus dem Film "Operation Walküre" macht es möglich. © MHM

Mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 ist es in gewisser Hinsicht so wie mit dem 13. Februar 1945: Bis heute wirkt die NS-Propaganda vernebelnd in die Erzählungen der Ereignisse hinein. Im Dresdner Fall ist es der vom Goebbels-Ministerium erschaffene Opfermythos der unschuldigen Kunst- und Kulturstadt. Ebenso munter lebt in mancher Darstellung des Widerstands um Claus von Stauffenberg Hitlers Legende der angeblich kleinen verbrecherischen Clique dilettantischer Vaterlandsverräter fort. Kleine Clique? Dilettanten?

Am Militärhistorischen Museum (MHM) der Bundeswehr in Dresden tritt ab heute die Sonderausstellung „Der Führer Adolf Hitler ist tot“ die Gegenbeweise an. Sie tut das auf dezente, strenge und bis auf einen Winkel der Halle 28 fast spartanische Weise: ein gutes Dutzend Stellwände, vier Vitrinen mit Dokumenten, zwei Videostationen, ein Kunstwerk, ein Nachbau der Baracke, in der „es“ geschah. Das ist einerseits der knappen Objektlage geschuldet, wirkt andererseits aber dem sperrigen Gegenstand angemessen und absichtsvoll konzentriert. Und ähnelt schwesterlich der Sonderausstellung „Attentat auf Hitler“, die das MHM vor fünf Jahren gezeigt hat.

Tatsächlich ist der 20. Juli 1944 weniger ein schweres denn ein sperriges Erbe. In der Bundesrepublik taten sich nach 1945 reaktionäre, konservative und linke Kreise schwer damit. Vor allem ehemalige Wehrmachtsoldaten weigerten sich, „Verräter“ zu ehren. Auch die auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung eingeschworene Bundeswehr wollte – und konnte – sich schwerlich zu Vorbildern bekennen, deren politische und gesellschaftliche Idealen mit denen der Bundesrepublik wenig zu tun gehabt hatten. Dem linken Spektrum war der nationalkonservative Geist derer um Stauffenberg erst recht fremd.

Das galt freilich umso stärker in der DDR. Allerdings setzte ab den Siebzigern und noch mehr ab Mitte der Achtziger auch hier sanftes Tauwetter ein. Man glaubte die – falsche – Information, Stauffenberg habe einen Separatfrieden mit der UdSSR schließen wollen. Und nahm verstärkt zur Kenntnis, dass die Verschwörer auch Arbeitervertreter eingeweiht und als Verbündete hatten gewinnen können.

In den Achtzigern entwickelte auch die DDR ein entspannteres Verhältnis zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg: Hier eine Grafik von Wolfgang Petrovsky aus dem Jahr 1988. 
In den Achtzigern entwickelte auch die DDR ein entspannteres Verhältnis zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg: Hier eine Grafik von Wolfgang Petrovsky aus dem Jahr 1988.  © Militärhistorisches Museum

Eben das ist eine Grundthese von „Der Führer Adolf Hitler ist tot“: Der Staatsstreich war mitnichten dilettantisch, vielmehr überaus sorgfältig geplant worden. Die über 200 aktiv Beteiligten und unzähligen Mitwisser rekrutierten sich keineswegs nur aus Wehrmachtskreisen; dabei waren etwa Politiker, Juristen, Theologen, Industrielle, Ingenieure, Wissenschaftler, Angestellte, Künstler. „Deshalb fokussieren wir uns auch nicht auf Stauffenberg“, sagt Kurator Magnus Pahl. „Wir zeigen die große Breite der Beteiligten.“ Stellvertretend sind das 14 Menschen in sieben Gruppen: Planer, Visionäre, Arbeitervertreter, Vermittler, Unterstützer, Truppensteller sowie die „Macher“ Stauffenberg und der in Dresden geborene General Hans Oster.

Ohne Frage war die sich verschlechternde Kriegslage ein Motiv für viele Mitverschwörer. „Das waren zum großen Teil Generalstäbler“, sagt Pahl. „Die hatten einen unverstellten Blick auf die Lage.“ Doch gerade das Beispiel Oster zeigt: Es gab schon seit den späten Dreißigern auch militärischen Widerstand. Und ein langes Schreiben von Oberst Helmuth Großcurth über die Tötung von 90 Kindern durch die SS deutet darauf hin: Auch Massen- und Völkermord, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren für viele Beteiligte ein Grund zum Handeln gegen das endgültig als unmenschlich erkannte NS-System. Auf noch eine Facette legt die Ausstellung Wert: Etliche Verschwörer haben sich mit ihrer Tat von der eigenen lebenslangen Sozialisierung und Selbstverpflichtung zu Gehorsam und Pflichterfüllung emanzipiert. Eine Entwicklung, die viele am ehemaligen glühenden BDM-Mädel Sophie Scholl umstandslos bewundern können.

Oberst Wessel von Lorringhoven hat den Sprengstoff besorgt. Nach dem Scheitern des  Attentats schrieb er seiner Frau und erschoss sich. Dabei wurde der Abschiedsbrief mit seinem Blut befleckt. 
Oberst Wessel von Lorringhoven hat den Sprengstoff besorgt. Nach dem Scheitern des  Attentats schrieb er seiner Frau und erschoss sich. Dabei wurde der Abschiedsbrief mit seinem Blut befleckt.  © Militärhistorisches Museum

Hinter den Vitrinen: die Nachbildung der „Führerbaracke“, 2008 angefertigt für das Hollywooddrama „Operation Walküre“ mit Tom Cruise, danach vom MHM angekauft und nun erstmals aufgebaut. Wer möchte, kann sich am Kartentisch postieren, wo einst Hitler oder Stauffenberg standen. Ein illusionistischer Erlebnisraum, größter denkbarer Kontrast zur ansonstigen didaktischen Strenge der Schau. Aber letztlich auch weniger beeindruckend als der schon 2014 gezeigte Abschiedsbrief des Mitwissers von Loringhoven an seine Frau, der sich erschoss und sein Blut auf seinen Worten hinterließ.

Heute bekennt sich die Bundeswehr nicht nur mit dieser Ausstellung ohne Deutungsgewissensbisse zu den Verschwörern des 20. Juli 1944. Es geht dabei nicht um eine „rückschauende Verklärung“, so Museumsdirektor Armin Wagner. „Sondern um den Bezug auf eine staatliche Werteordnung, die Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und rechtmäßige Politik zu verbindlichen Handlungsmaximen erklärt.“ Mindestens das lässt sich an den Visionen der Verschwörer fraglos ablesen.

So informativ und in sich überzeugend die als militärhistorische Wanderausstellung konzipierte Schau auch ist, so nahe legt sie eine Folgefrage: Wenn das 70. und das 75. Jubiläum des Attentats der Bundeswehr und der Bundesrepublik jeweils eine kleine Ausstellung wert waren, wann werden die Menschen des 20. Juli 1944 mit einem – gerne auch „musealen“ – Ereignis geehrt, das der Größe und Bedeutung ihrer Tat wirklich angemessen ist?

Die Ausstellung „Der Führer Adolf Hitler ist tot“ ist bis zum 3. Dezember im Militärhistorischen Museum am Dresdner Olbrichtplatz zu sehen.