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Hier gibt‘s Honig auf die Lunge

Eine neue Therapie aus dem Erzgebirge: Bienenstockluft soll gegen Atemwegserkrankungen helfen. Die Erfolge sind verblüffend.

Von Susanne Plecher
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Helmut und Sabine Grün inhalieren Luft aus einem Bienenstock in Kreischa. Sie können beim Summen der Bienen, dem Honigduft und dem Blick in die Natur gut entspannen. Imker Dirk Jäger begleitet die Sitzung.
Helmut und Sabine Grün inhalieren Luft aus einem Bienenstock in Kreischa. Sie können beim Summen der Bienen, dem Honigduft und dem Blick in die Natur gut entspannen. Imker Dirk Jäger begleitet die Sitzung. © Thomas Kretschel

Helmut Grün stülpt sich eine Maske über, lehnt sich im Stuhl zurück und atmet tief ein. Es ist ein besonderes Gemisch, mit dem er seine Lungen nun füllt: Bienenstockluft. Sie ist warm und feucht, riecht ein bisschen nach Wachs, nach Honig und Holz – wie konservierter Sommer.

Der Rentner aus Dresden ist Heuschnupfenpatient. „Ich nehme schon seit vielen Jahren Medikamente, aber die gewünschte Wirkung haben sie bis jetzt noch nicht gezeigt“, sagt der 68-Jährige. Neben ihm inhaliert seine Frau Sabine. Sie leidet schon lange unter Atemnot.

Dazu kommt ein lästiger trockener Husten, den sie einfach nicht loswird. Das Paar erhofft sich von der Bienenstocklufttherapie Linderung. Sie soll bei Heuschnupfen, Asthma, Bronchitis und Nasennebenhöhlenentzündungen helfen und Medikamente unnötig machen.

Dafür sind die Grüns extra nach Kreischa angereist. Dort betreibt Imker Dirk Jäger eine Therapiestation mit acht Bienenvölkern, die in Holzkästen leben. Die Bienenstöcke sind so in ein Holzhäuschen integriert, dass ihre Öffnung nach außen ausgerichtet ist. So bleibt der Therapieraum bienenfrei. 

Jäger hat trichterförmige Hauben auf zwei der Stöcke gesetzt. Sie saugen einen Teil der Luft an und leiten sie in beheizte Schläuche weiter. Gleichzeitig verhindern jeweils ein engmaschiges Gitter, ein integrierter Filter und ein Ventil in der Maske, dass Bienen hinein geraten und vom Patienten eingeatmet werden. Während Helmut und Sabine Grün inhalieren, zeigt sich das Bienenvolk darunter völlig unbeeindruckt. Es summt und brummt, füllt die Waben, füttert seine Brut.

Honigpflaster und Pralinen gegen Demenz

Jürgen Schmiedgen aus Crottendorf im Erzgebirge hat das Gerät erfunden, ursprünglich um seinem asthmakranken Enkel zu helfen. Vier Jahre hat er daran getüfftelt, 2018 eine klinische Studie damit durchgeführt. Nun ist es als Medizinprodukt unter dem Namen Beecura auf dem Markt. 

Schmiedgen ist seit über 50 Jahren Imker, genau wie sein Vater und Urgroßvater. Das Wissen um die besondere Heilkraft von Bienenprodukten wird in der Familie seit Generationen weitergereicht: Bei Platzwunden gibt es Honigpflaster. Die betagte Mutter bekommt selbst gemachte Pralinen mit Gelee-Royal-Füllung gegen die Demenz. „Die Bienen bringen neben dem Nektar auch andere Wirkstoffe wie ätherische Öle, Flavonide, Pollen, Wachs und Propolis in den Stock ein“, erklärt er. Durch Wärme und die Ventilation mit ihren Flügeln geben sie vermutlich Bruchteile der heilsamen Wirkstoffe an die Luft im Stock ab. „Mein Enkel kann wieder viel tiefer einatmen, seine Sauerstoffsättigung im Blut ist besser. Ihm hilft das sehr, auch wenn die Wirkweise wissenschaftlich nicht bewiesen ist“, sagt Schmiedgen.

An diesem Nachweis arbeiten derzeit Wissenschaftler der TU Dresden unter Leitung von Professor Karl Speer von der Fakultät für Chemie und Lebensmittelchemie. Sie erforschen, welche Stoffe sich in der Bienenstockluft befinden und welche Auswirkungen zum Beispiel Tageszeit, Außentemperatur und Nahrungsangebot auf die Qualität und Zusammensetzung der Luft haben. „Was wir jetzt schon sagen können, ist, dass flüchtige Bestandteile von Honig und Propolis enthalten sind“, sagt Speer.

Um Propolis zu produzieren, sammeln die Bienen harzige Substanzen an Knospen oder Wunden von Bäumen und vermengen sie mit Wachs, Pollen, ätherischen Ölen und ihrem Speichel. Daraus entsteht ein klebriges Baumaterial, mit dem sie Wabenzellen und Fluglöcher abdichten. Doch Propolis schützt den Bienenstock nicht nur vor Zugluft, Nässe und Schädlingen. Das Kittharz ist schon seit der Antike für seine antimikrobielle Wirkung bekannt, Naturheilkundige schätzen es als Bioantibiotikum. Außerdem soll es oxidativem Stress entgegenwirken und die Wundheilung fördern. Tierversuche an Mäusen zeigten, dass Propolis Virenentwicklung hemmt, Bakterien tötet und gegen Pilzinfektionen hilft.

Jürgen Schmiedgen zeigt sein Inhalationsgerät. Fotos: Ronny Küttner
Jürgen Schmiedgen zeigt sein Inhalationsgerät. Fotos: Ronny Küttner © www.photoron.de
Durch die Maske atmen Patienten die Bienenstockluft ein.
Durch die Maske atmen Patienten die Bienenstockluft ein. © www.photoron.de
Das Gitter verhindert, dass Bienen aus dem darunterliegenden Bienenstock in das Inhalationsgerät gesaugt werden.
Das Gitter verhindert, dass Bienen aus dem darunterliegenden Bienenstock in das Inhalationsgerät gesaugt werden. © www.photoron.de
Die Therapiestation im Crottendorfer Ortsteil Walthersdorf im Erzgebirge sieht wie ein  Gartenhäuschen aus.
Die Therapiestation im Crottendorfer Ortsteil Walthersdorf im Erzgebirge sieht wie ein  Gartenhäuschen aus. © www.photoron.de
Die Bienen können ihren Stock nur von außen anfliegen. Deshalb bleibt der Therapieraum bienenfrei.
Die Bienen können ihren Stock nur von außen anfliegen. Deshalb bleibt der Therapieraum bienenfrei. © www.photoron.de

Therapie mit langer Tradition

Helmut Grün legt die Maske ab. 30 Minuten hat die Inhalation gedauert. „Die Ruhe, diese totale Entspannung während der Sitzung wirkt sich positiv auf den gesamten Gesundheitszustand aus“, sagt er. Vor seiner ersten Behandlung hat Antje Jäger-Hundt ihn untersucht. Die Ärztin hat unter anderem getestet, ob Helmut Grün auf die Bienenstockluft allergisch reagiert. Die Sitzungen selbst werden von nichtmedizinischem Personal überwacht. In Kreischa ist das Imker Dirk Jäger. Er sorgt dafür, dass es Patienten und Bienen gut geht.

Neu ist die Art der Behandlung nicht. Vor allem in Osteuropa kurieren die Menschen ihre Atemwegsinfekte schon lange mit der Luft aus dem Bienenstock. Erfahrungsberichte würden zeigen, dass sich in 90 Prozent der Fälle Heuschnupfensymptome lindern oder sogar heilen ließen. Dirk Jäger hat selbst 30 Jahre lang massiv auf Gräserpollen reagiert. „Die Zeit von Mai bis Mitte Juli war für mich nie schön. Die habe ich nur mit Medikamenten überstanden“, sagt er. Dann hat er bei Jürgen Schmiedgen die Bienenstocktherapie ausprobiert. Und nun? „Nichts mehr. In diesem Jahr hatte ich keine allergischen Probleme und das ganz ohne Medikamente.“

Dass es für die Wirksamkeit der Bienenstocklufttherapie aktuell noch keine wissenschaftlichen Nachweise gibt, setzt der Ärztin Antje Jäger-Hundt schon etwas zu. „Das sehe ich als Schulmedizinerin auch skeptisch“, sagt sie. „Mich hat aber das Feedback zur Therapie überzeugt. Die Patienten bestätigen, dass sie weniger Hustenanfälle haben, dass sie wieder tiefer Luft holen können und allergische Beschwerden deutlich reduziert werden.“ Selbst für COPD-Erkrankte oder Asthmatiker mit schweren Beschwerden brächte die Therapie Linderung.

Zwei Haken hat die Behandlung

„Heilen können wir diese Krankheiten damit nicht. Aber wenn ein COPD-Patient, der wegen seiner Atemnot nur noch 20 Meter laufen konnte, plötzlich wieder 100 Meter schafft, dann ist das für ihn eine Steigerung der Lebensqualität“, sagt sie. „Fest steht, dass die Luft aus dem Bienenstock definitiv niemandem schadet.“

Helmut Grün muss noch bis zum Beginn der nächsten Heuschnupfenperiode warten, um einschätzen zu können, ob die Therapie ihm geholfen hat. Seine Frau hingegen spürt schon jetzt, dass der trockene Husten nachlässt. „Ich kann wieder tiefer einatmen“, sagt sie. Den Versuch lässt sich das Paar einiges kosten. Für sechs Sitzungen inklusive der ärztlichen Erstuntersuchung und dem Inhalationsset haben sie pro Person 380 Euro bezahlt. Von ihrer Krankenkasse bekommen die Grüns dafür keinen Zuschuss. Nur wenige private Kassen übernehmen das alternative Behandlungsverfahren. „Aber die Heuschnupfenmittel muss ich auch selbst bezahlen. Da kann man sowas doch mal probieren, vor allem, weil es ganz ohne Chemie auskommt“, sagt Helmut Grün.

Zwei Haken hat die Therapie allerdings: Sie ist nur dann möglich, wenn die Bienen aktiv sind, also von April bis Ende September. Hat der Oktober sonnige, warme Tage, fliegen sie auch dann noch aus. „Die Außentemperatur muss mindestens 15 Grad betragen“, sagt Jürgen Schmiedgen. Danach beginnt die Winterpause – für Biene und Patient. Nachteilig ist außerdem, dass sich Bienenstockluft weder abfüllen noch konservieren lässt. Der Patient muss also zur Biene kommen.

Bienenstockluft in Sachsen

In Sachsen ist die Bienenstocklufttherapie bislang in Therapiestationen im Kurpark in Bad Schlema, im Thermalbad Wiesenbad bei Annaberg-Buchholz, in Hartenstein bei Zwickau, im Elldus Ressort in Oberwiesenthal und in Kreischa möglich. Weiterführende Infos finden Sie hier.

Bienenstockluft in Sachsen

Weitere Stationen werden über den Winter gebaut.

Bienenstockluft in Sachsen

Terminanfragen für die kommende Saison nehmen die Betreiber schon jetzt entgegengenommen.

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