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Görlitz will nicht nur Rentnerstadt sein

Immer wieder taucht die Stadt als „Pensionopolis“ in den Medien auf. Doch dieses Image begeistert nicht alle.

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Von Steffen Schreiber

Wenn Claus Böhm Verwandte aus der alten Heimat zu Besuch hat, staunen diese nicht schlecht. 250 Quadratmeter mit zwei Balkonen, Parkett und Stuckdecke? Das kann man sich im Frankfurter Raum selbst mit einer üppigen Rente kaum leisten. Doch nicht nur das tolle Wohnungsangebot lockte den ehemaligen Richter aus Wiesbaden vor knapp fünf Jahren an die Neiße. „Ich bin jetzt Maler und habe mich sofort in die Altstadtfassaden verliebt.“ Doch auch andere Facetten der Stadt, wie die Ruhe, das kulturelle Angebot und seine Bewohner machen Görlitz für Claus Böhm zu einer idealen „Pensionopolis“.

Ein Begriff, der in Medienberichten oft in einem Atemzug mit Görlitz genannt wird. Diese Woche war es das Schweizer Radio und Fernsehens (SRF), welches die vielen Vorzüge der Neißestadt für Rentner in einem umfangreichen Beitrag anpries. Auch darin war die Rede von niedrigen Mieten, dem umfangreichen Kulturangebot und den kurzen Wegen. Doch das Image der Rentnerstadt gefällt nicht jedem. So stehen die Stadt und ihre Vermarktungsgesellschaft Europastadt Görlitz/Zgorzelec (EGZ) dem Begriff ablehnend gegenüber. Dazu EGZ-Sprecherin Mandy Kriese: „Pensionopolis ist ein Begriff aus dem vorletzten Jahrhundert und inzwischen überholt. Heute bietet Görlitz für alle Lebensphasen Vorteile.“ Darüber hinaus zeige die Statistik keinen vermehrten Zuzug von Rentnern wie Stadtsprecherin Ina Rueth betont. „Senioren machen nur etwa 11 Prozent der Gesamtzuzüge aus.“ So waren von den 2 592 Menschen, die im Jahr 2012 nach Görlitz zogen, 283 im Rentenalter.

Diese Zahl kann Hans-Ulrich Lehmann bestätigen. Der Vorsitzende des Görlitzer Seniorenbeirates schätzt zusätzlich, dass von diesen 300 Rentnern ein Großteil aus den alten Bundesländern nach Görlitz zieht. Was viele Vorteile für die Stadt mitbringt. „Oft sind es doch mobile, lebenslustige Menschen, die sich im Rentenalter zu einem Umzug entschließen“, sagt Lehmann. Und die, so der Alt-Görlitzer weiter, brächten neben einer guten Rente auch neues Leben in die Stadt. „Das sind Bildungsbürger, die sich aktiv in Politik, Kultur und auch in den Handel der Stadt einbringen.“ So müsse eine „Pensionopolis“ nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein.

Trotzdem kämpft Oberbürgermeister Siegfried Deinege weiter für seine propagierte „familienfreundliche Stadt der Generationen“. „Wir müssen uns um die jungen Leute kümmern. Das heißt, dass wir für Arbeitsplätze und eine attraktive Infrastruktur für junge Familien sorgen müssen.“ Die Stadt will die Pensionäre aber nicht links liegenlassen. „Den älteren Menschen, die sich für Görlitz interessieren, senden wir neben allgemeinen Informationen auch eine Übersicht über medizinische Angebote, Pflegeeinrichtungen und altersgerechtes Wohnen zu“, sagt Ina Rueth. Mandy Kriese ergänzt: „Es ist schön, dass Görlitz für ältere Menschen ein Ziel für den Ruhestand ist. Wichtig ist aber, dass Görlitz zudem attraktiv für alle anderen Generationen ist.“

Hier sieht Dan Sauer vom Görlitzer Jugendverein „Second Attempt“ aber noch Nachholbedarf. „Über lange Zeit standen die Wünsche der Jugendlichen hinter denen der älteren Generation zurück. Mit unserem Flashmob Anfang 2012 beim Stadtrat machten wir deutlich, dass uns mehr Aufmerksamkeit gebührt.“ Denn, so Sauer, noch immer verliere die Stadt zu viele junge, ausgebildete Menschen durch Wegzug. „Dieser Trend muss gestoppt werden, sonst ist es um die Zukunft der Stadt schlecht bestellt.“ Beim neuen Oberbürgermeister finde die Jugend zumindest nun wieder Gehör. „Aber das Wichtigste bleibt natürlich eine berufliche Perspektive.“

Nach Meinung Lehmanns könnten die Rentner eine solche bieten. „Der Bedarf an qualifizierten Pflegekräften ist bereits jetzt hoch. Nun muss nur noch die Bezahlung besser werden.“ Auch Claus Böhm sieht in den Pensionären Chancen. „Erstens ist es ja nicht so, dass wir alte Säcke Görlitz überschwemmen. Und zweitens wollen die meisten von uns noch etwas bewegen.“ So leite ein zugereister Bekannter im Rentenalter erfolgreich ein Görlitzer Unternehmen. Böhm weiter: „Ich denke nicht, dass wir Rentner hier jemanden mit unserer Anwesenheit verschrecken. Dem stimmt auch Dan Sauer zu. „Pensionopolis schließt Familienfreundlichkeit ja nicht aus.“ Auf ein Wort