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Feine Pinselstriche für die Stadtkirche

Der Großröhrsdorfer Barockbau wird saniert. Dabei spielen auch Sumpfkalk geheimnisvolle Gurkengläser eine Rolle.

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Von Reiner Hanke

Den originellsten Pausenraum des Rödertals haben derzeit die Stuckateure Uwe Henkel und Ronald Pietzsch. Ihre Brote haben sie an diesem Morgen in der Mitte des barocken Kirchenschiffes der Großröhrsdorfer Stadtkirche ausgepackt. Aber nicht einfach so zwischen den Kirchenbänken. Der kleine Tisch und vier Rohrstühle „schweben“ kaum zwei Meter unter der Kirchendecke. Dort haben die Gerüstbauer eine riesige Plattform errichtet, in luftigen 20 Metern Höhe. Die deckt den gesamten Kirchenraum ab und wird von knapp 4 000 Kubikmetern Gerüst gestützt. Ein Gewirr von Metallstreben bestimmt derzeit das Bild in der Kirche. Die 48 Kirchenbänke haben sich vor dem Staub unter Plastikplanen versteckt. „Wertvolle Bilder, wie die von Luther und Melanchthon, haben wir in einer Kiste verstaut“, sagt Gottfried Brückner, der Bauleiter des Kirchenvorstandes.

Baulampen werfen Schlaglichter auf die Arbeitsplätze der Handwerker. Das grelle Licht mischt sich im schummrigen Kirchenraum mit dem diffusen Tageslicht. Das dringt nur schwer durch die verhüllten Fenster hindurch. Die waren Teil des ersten Bauabschnittes mit dem Dach, dem Dachstuhl und Sandsteingewänden für fast 430 000 Euro. Dass der erste Abschnitt im Vorjahr so gut gelaufen sei, „darauf sind wir stolz, und wir sind sehr zufrieden“, so Gottfried Brückner. Nun ist er wieder täglich auf der Baustelle. Das sei Stress, aber er tue es gern für die Gemeinde und für dieses wertvolle Gebäude im Stadtbild, sagt der 75-Jährige. Es sei das letzte Großröhrsdorfer Projekt, in das auch Fördermittel für die Stadtkernsanierung fließen. Auf Spenden sei die Kirchgemeinde dennoch angewiesen. So gehört zum Beispiel die Restaurierung von Altar und Kanzel noch nicht mit zu den finanziell sichergestellten Arbeiten.

Der Kirchenraum wurde zuletzt in den 1930er Jahren aufgefrischt. Die enormen Schäden, die Risse, Feuchtigkeit und Schimmel waren nicht mehr zu übersehen, die Farbe blätterte. Der künftige Anstrich soll sich am barocken Original von 1737 orientieren, sagt Gottfried Brückner. In den vergangenen Monaten liefen dazu aufwendige Farbuntersuchungen durch Experten. Die Wandfarbe werde voraussichtlich in einem sehr hellen Lichtgrau gehalten sein, erwartet Brückner. Die Fachleute seien aber noch am Experimentieren.

Die Stuckateure arbeiten derzeit auf mehreren Ebenen unter der 22 Meter hohen Kirchendecke. Zuvor haben die Maler von der Großröhrsdorfer Firma Industrie und Raum als Hautauftragnehmer, den gesamten Kirchenraum trocken und feucht gereinigt. Ganz oben an der Decke haben die Stuckateure inzwischen schadhaften Putz abgeklopft. Nach historischem Vorbild bringt Uwe Henkel Schilfrohrmatten an die Holzdecke. Auf denen haftete dann der Putz optimal. Saniert wird der gesamte Innenraum mit den Emporen, jedoch mit einigen Ausnahmen. Dazu gehört die Kanzel. 240 000 Euro sind dafür geplant.

Um für die Innenraumsanierung Platz zu schaffen, mussten auch die knapp 2 000 Orgelpfeifen noch einmal umziehen, von den Emporen auf eine Gerüst-Plattform im Kirchenschiff. An den Emporen grundieren die Restauratoren derzeit die Säulen und Brüstungen mit einem grauen Anstrich auf Milcheiweißbasis. Der erhalte dann noch eine Marmorierung, erklärt der Restaurator und Kirchenmaler Veit Müller.

Knochenleim für die Malerei

Bei der Marmorierung wolle er sich dem barocken Ursprung möglichst annähern, nahe am Original rekonstruieren. Mit Strukturen, wie sie wirklich im Marmorgestein zu finden sind. Die Malerei von 1936 sei da ein bisschen zu fantasievoll und futuristisch gewesen. Die Malereien in den Spiegeln der Emporen werden restauriert. Dafür hat der Experte schon einen Eimer mit Reiniger und Schwamm mitgebracht. Zuerst werde die Malerei vorsichtig geputzt. Dann muss die Oberfläche gefestigt werden. Neben Veit Müller stehen acht Spreewald-Gurkengläser auf der Brüstung, einige leer, andere mit einer farblosen Flüssigkeit gefüllt. Die geheimnisvollen Gläser kommen hier ins Spiel und ein Kocher. Der ist nicht für heiße Würstchen gedacht, sondern um Knochenleim zu erhitzen. Der wird dann in die Gläser gegossen. „Die haben die richtige Größe, um den Leim für die Arbeit zu portionieren“, erklären die Restauratoren. Genau das richtige Maß für die Leim-Mixtur. Mit der werden schließlich lose Pigmente der Emporenmalerei fixiert, „bevor Fehlstellen ergänzt werden können“, so Müller. Das verspricht viel Arbeit. Die Felder in den Emporen seien aber besonders wertvoll, weil sie Reste der historischen Fassung tragen.

Bei der elektrischen Anlage zählen andere Parameter. Die soll im Zuge der Sanierung auf Sicherheit überprüft und die Beschallung auf den neusten Stand gebracht werden, erklärt Gottfried Brückner. Mit dem Abschluss rechnet er frühestens Ende November. Schließlich stehe auch noch eine gigantische Reinigungsaktion ins Haus. Die Stuckateure haben inzwischen den „Tatort“ gewechselt. Ganz unten im Kirchenraum musste der Putz rund anderthalb Meter auf der gesamten Nordseite abgestemmt werden. Die Wand war feucht. Klatsch – mit geübtem Schwung wirft Stuckateur Henkel den frischen Putz an, dass es nur so spritzt. Einen Sumpfkalkputz. Der sei besonders atmungsaktiv und müsse 24 Monate gelagert sein. Dieser Putz „gibt die Feuchtigkeit besonders gut an die Luft ab“, sagt Henkel, während die nächste Kelle Putz an die Wand fliegt.