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Erinnerungen an die Wende

Vor 25 Jahren demonstrierten Tausende auf dem Markt. Ihr Frust hatte in dieser Stadt einen ganz besonderen Grund.

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Von Harald Daßler

Tausende Menschen auf dem Meißner Marktplatz. Dieses Bild, das SZ-Fotograf Klaus Thiere am 24. Oktober 1989 festgehalten hatte, symbolisiert die Wende in dieser Stadt. Enttäuschung und Unmut über das politische System in der DDR, das sich als reformunfähig erwies, schlugen sich nieder in Plakaten und in Sprechchören, in denen die Demonstranten vor allem die Zulassung des Neuen Forums in Meißen forderten. Auf diese neue Bewegung, in der sich in den Wochen zuvor in allen Teilen der DDR Bürger, Oppositionelle und Vertreter der Kirchen zusammenfanden, richteten sich die Hoffnungen vieler, auch in Meißen. Demokratie, die Freiheit des Einzelnen und die Abkehr vom Staatssozialismus lagen ihnen am Herzen.

Der Bruch mit der DDR, der sich nicht nur an wachsenden Ausreisezahlen ablesen ließ, war eine Reaktion der Menschen auf die offenkundige Unfähigkeit dieses Systems, elementare Probleme zu lösen. In einer Stadt wie Meißen zeigte sich das nicht nur an mangelnder Warenversorgung oder katastrophalen Umweltproblemen. Hier kam der allgegenwärtige Verfall der Bausubstanz hinzu. „Jedes verfallene Haus war ein Zeichen dafür, dass der sozialistische Staat es nicht schaffte, das kulturelle Erbe zu erhalten, ein Zeichen dafür, dass es so nicht weitergehen konnte“, schreibt der Meißner Stadtplaner und Publizist Claus-Dirk Langer in seinem Buch „Wendezeichen“, das soeben in zweiter Auflage erschienen ist.

In ungewöhnlich offener Form Kritik an den DDR-Verhältnissen übte die „Kehrseiten“-Ausstellung, die am 28. April 1989 – wenige Tage vor den Kommunalwahlen vom 7. Mai, deren Ergebnisse sich auch in Meißen als gefälscht herausstellten – in der Frauenkirche eröffnet wurde. Die Schau, die den katastrophalen Zustand der Meißner Altstadt in Fotos dokumentierte, fand 40 000 Besucher. Das ermutigte diejenigen, die sich für Veränderungen einsetzten. Bernd Callwitz, der zu DDR-Zeiten als Ingenieur im Plattenwerk arbeitete und sich in christlichen Friedensgruppen engagierte, erinnert an die Friedensseminare der evangelischen Kirche, die in Meißen Hunderte Menschen zusammenbrachten. So wuchs hier eine Bewegung, die entscheidend zur Wende im Herbst 1989 beitrug, sagt Bernd Callwitz. In der Initiative „Brücken bauen“ bemüht er sich mit darum, Erinnerungen an die Ereignisse sowie an die damals Handelnden und deren Risikobereitschaft wachzuhalten.

Dass es friedlich blieb, war heute vor 25 Jahren noch nicht klar. Pfarrer Bernd Oehler blickt auf den 9. Oktober 1989 in Leipzig zurück: An jenem Montag, unmittelbar nach den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR, bei denen es in Berlin und Dresden zu brutalen Polizeieinsätzen kam, gingen in Leipzig 70 000 Menschen auf die Straße – auch nachdem der Aufruf eines Kampfgruppen-Kommandeurs bekannt geworden war, der zum bewaffneten Einsatz gegen „konterrevolutionäre Kräfte“ aufrief. Während der Meißner Dienstags-Demo am 24. Oktober waren ebenfalls Bereitschaftspolizisten im Stadttheater, im Bahrmannschen Brauhaus und im Museum postiert, griffen aber nicht ein.

Dass die Wende als friedliche Revolution in die Geschichte einging, erscheint angesichts vieler Tragödien auf der Welt in den vergangenen 25 Jahren fast wie ein Wunder. Es ist ein Grund zum Feiern – die Meißner Initiative „Brücken bauen“ lädt heute ab 17 Uhr zu einem Bürgerfest ein. Natürlich auf den Marktplatz. Dort gibt es Musik und ein Imbissangebot, aber auch kurze Gespräche mit Zeitzeugen und Fotoprojektionen.