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Er führte den Kreuzchor unerbittlich, aber herzlich

Rudolf Mauersberger ist der wohl wichtigste Kantor des Chores des vergangenen Jahrhunderts. 

Von Ralf Hübner
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Kreuzkantor Professor Dr. D. Rudolf Mauersberger.
Kreuzkantor Professor Dr. D. Rudolf Mauersberger. © Christine Stephan-Brosch

Er hat den Dresdner Kreuzchor weltberühmt gemacht. Mehr als 40 Jahre war Rudolf Mauersberger dessen Kantor. Er hat ihn geprägt wie kein Zweiter. Dessen „Dresdner Requiem“ und die Motette „Wie liegt die Stadt so wüst“, niedergeschrieben unter dem Eindruck der zerstörten Stadt, gehören zum musikalischen Standardrepertoire, wenn alljährlich an das Ereignis des 13. Februar 1945 erinnert wird. Zu Mauersbergers Schülern gehörten die Sänger Theo Adam, Peter Schreier und Olaf Bär. Vor 130 Jahren wurde der legendäre Kreuzkantor am 29. Januar 1889 geboren.

Aus etwa 80 Bewerbern war Mauersberger ausgewählt worden. Am 1. Juli 1930 trat er als Nachfolger Otto Richters sein Amt als 25. Kreuzkantor seit der Reformation an. „Wir fühlten sofort, dass mit ihm eine andere Art des Singens begänne“, erinnert sich Ulrich von Brück später in einem Beitrag für ein Buch. Der spätere Oberlandeskirchenrat war von 1924 bis 1933 selbst Kruzianer und von 1950 bis 1980 Prediger an der Kreuzkirche. Der neue Kantor erweiterte zielstrebig das Repertoire des Chores, widmete sich verstärkt Heinrich Schütz, dem wichtigsten Dresdner Komponisten, und führte auch zeitgenössische Komponisten wie etwa Hugo Distler oder auch Kurt Thomas auf. Für die Kruzianer war die neue Musik zunächst ungewohnt. „Eine neue Ära hatte für den Kreuzchor begonnen“, schrieb von Brück. „Da wurde gefeilt und jede einzelne Stimme unermüdlich geprobt. Aber noch immer war der Kantor nicht zufrieden.“ Gastspielreisen, die unter anderem bis in die USA führten, machten den Chor auch international bekannt,

Mauersberger kam in Mauersberg, einem Dorf im Erzgebirge, zur Welt. Der Vater Ferdinand Oswald war Kantor. Dem Erzgebirge blieb er immer verbunden. In seine weltlichen Kompositionen ließ er gern heimatliche Klänge einfließen. Er besuchte das Lehrerseminar in Annaberg, wurde Hilfslehrer und studierte am Konservatorium in Leipzig, gewann 1914 den Nikisch-Preis für Komposition und ging nach Ostpreußen. Die Kriegsjahre 1915 bis 1918 verbrachte Mauersberger als Soldat und Militärmusikleiter in Bad Lausick bei Leipzig, 1919 wurde er für sechs Jahre Kantor und Organist in Aachen. 1925 wurde er erster Landeskirchenmusikwart der evangelischen Landeskirche Thüringens und Kantor an Sankt Georg in Eisenach, der Taufkirche Johann Sebastian Bachs. Er gründete den Bachchor Eisenach sowie einen Knabenchor.

In den 1930er-Jahren ist die Nazi-Herrschaft auch im Kreuzchor spürbar. Die Sänger werden in die Hitler-Jugend übernommen, Mauersberger wird NSDAP-Mitglied. Dennoch müht er sich, die Nazi-Ideologie vom Chor fernzuhalten und staatliche Verpflichtungen abzuwenden, indem er dessen christlichen Charakter betont. Und er führt Werke verfemter jüdischer Komponisten auf wie etwa von Felix Mendelssohn Bartholdy und Günter Raphael.

Im Bombenhagel des 13. Februar 1945 sterben zehn Kruzianer und drei Pfarrer der Kreuzkirche. Mauersberger überlebt das Bombardement nahe der Kreuzschule im Stadtzentrum auf dem Boden liegend. Er entkommt und geht nach Mauersberg. Der Chor ist in alle Winde zerstreut.

Zu Mauersbergers Verdiensten zählt, den Chor nach dem Krieg wieder aufgebaut zu haben. Der spätere Startenor Peter Schreier erinnert sich: Er habe kaum noch an sein Kruzianerdasein gedacht, als plötzlich ein Brief im Kasten lag, der ihn aufforderte, sich im Interimsalumnat in Dresden-Plauen einzufinden – wenn noch Interesse bestehe. Schon am 4. August 1945 findet die erste Kreuzchorvesper nach Krieg in der ausgebrannten Ruine der Kreuzkirche statt. Zur Uraufführung kommt Mauersbergers Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“, ein A-cappella-Werk, entstanden am Karfreitag und -samstag 1945.

Mauersberger ermutigt Schreier auch zu dessen Berufswahl. „Werden Sie Sänger“, soll er ihm empfohlen haben. Der Kantor wird als nahezu unerbittlich, aber auch als herzlich und fürsorgend beschrieben. Die gelegentlichen Zornesausbrüche waren jedoch gefürchtet. Der spätere Dirigent Hartmut Haenchen berichtet, wie er in der Ostermette den Einsatz verpasste. „Flasche!“, zischte Mauersberger, für jeden im Kirchenraum deutlich vernehmbar. Dennoch: Er habe ihn in seinem Wunsch gefördert, Dirigent zu werden.

Am 13. Februar 1955 wird die wiederaufgebaute Kreuzkirche mit einem Gottesdienst und der Aufführung des „Dresdner Requiems“ eingeweiht. Mauersberger hatte auf den raschen Wiederaufbau gedrängt. In der Kirche wird eine Schützkapelle eingerichtet, um an den Komponisten zu erinnern. Mauersberger stiftet für die Ausgestaltung Glasfenster und ein Orgelpositiv. Er wird mit Ehrungen überhäuft, erhält sogar den Vaterländischen Verdienstorden in Gold und gilt bei der SED intern dennoch als reaktionär. Immer wieder muss er seine Sänger vor politischen Repressionen schützen. Am 22. Februar 1971 stirbt Mauersberger in Dresden.