Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ +

Dr. Stuhlbau geht in Rente

Johann Spensberger setzte als Leiter des Stuhlbaumuseums in Rabenau wichtige Akzente. Jetzt geht er in den Ruhestand.

Teilen
Folgen
NEU!
© Andreas Weihs

Von Thomas Morgenroth

Rabenau. Mit der rechten Hand drückt Johann Spensberger den Hebel des elektrischen Hauptschalters nach oben, mit der linken betätigt er den Anlasser. Der einhundert Jahre alte Schleifringläufermotor springt sofort an. Die langen Lederriemen der Transmission beginnen zu schnurren und Spensbergers Augen zu leuchten. Ein zufriedenes Lächeln macht sich auf dem Gesicht des Achtzigjährigen breit. Beinahe liebevoll blickt er auf die Zapfenschneid- und Schlitzmaschine, die Dickenhobelmaschine oder die Kombinierte Holzbearbeitungsmaschine Nr. 51, die vier verschiedene Maschinen in sich vereint, ein Wunderwerk deutscher Ingenieurskunst.

Für den promovierten Maschinenbauer Johann Spensberger ist es jedes Mal ein Fest, wenn er im Erdgeschoss des Deutschen Stuhlbaumuseums in Rabenau bei einer Führung den Strom in der Werkstatt des Stuhlbaumeisters Kurt Aehlig anstellen kann. Die Maschinen, die Aehligs Vater Anfang des 20. Jahrhunderts angeschafft hatte, funktionieren noch immer tadellos. Besser gesagt, sie würden noch funktionieren, sie dürfen allerdings aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen nicht in Betrieb gehen.

Spensberger, der über die breiten Riemen turnt, schildert dafür sehr lebendig, wie es bei Kurt Aehlig in der Bahnhofsstraße in Rabenau zuging. Von 1927 bis 1999 stand der Handwerker an den Maschinen. Nein, das ist kein Schreibfehler. Aehlig war 99, als er seinen letzten Stuhl baute, 2001 starb er kurz vor seinem 101. Geburtstag.

Museum wird zum kulturellen Treffpunkt

Er hinterließ einen Schatz, nämlich seine originalgetreu erhaltene Werkstatt. Als diese 2002 aufgelöst werden soll, macht sich Spensberger mit dem Elektriker Hans Derr, dem Drucker Frank Ell und dem Stuhlbauer Horst Fügner für deren Erhalt stark. Allerdings können die Maschinen nicht an Ort und Stelle bleiben. Am besten stünden sie im Museum. So kommt es, dass Spensberger, der soeben pensionierte Geschäftsführer des Kupplungswerkes Dresden, das erste Mal in seinem Leben das Stuhlbau- und Heimatmuseum Rabenau betritt – 45 Jahre nachdem er mit Frau Charlotte und Sohn Christoph von Dresden in die Stadt gezogen ist. „Ich war beruflich so angespannt, dass ich im Grunde nur zum Schlafen in Rabenau war“, sagt er.

Das ändert sich nun grundlegend, bald verbringt Spensberger ganze Nächte im Museum. Nach umfangreichen Umbauten und Sanierungen kann Aehligs Werkstatt 2005 als Schauobjekt eröffnet werden, ein Höhepunkt in der Geschichte des 1931 eröffneten Museums, das sich nun, auf Anregung von Dietrich Noack, Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau nennt. „Am Beispiel des Stuhlbaus in Rabenau“, präzisiert Spensberger, der über Aehligs Maschinen nun doch noch den Stuhlbau und seine Geschichte entdeckt. Und das gleich richtig.

Als sich auf Anregung der Stadt Rabenau ein Verein für das Museum gründet, dem einzigen in ganz Deutschland, das sich dem Stuhlbau widmet, wird der Rentner 2006 dessen Vorsitzender und zugleich Museumsleiter, beides ehrenamtlich. Unter Spensbergers Ägide, unterstützt von einem fachkundigen Beirat und zwei vom Verein angestellten Frauen für die Organisation, blüht das Museum förmlich auf. Räumlich und inhaltlich. Über die Darstellung der Stadtgeschichte und des Stuhlbaues hinaus wird es ein kultureller Treffpunkt für die Rabenauer, es ist der einzige, den sie heute in der Stadt noch haben.

Stuhlbauertage und Buch

Spensberger, für sein Engagement in diesem November mit dem Sächsischen Industriekulturpreis ausgezeichnet, blickt wohlwollend zurück. Aber auch bescheiden, er betont stets, dass der Erfolg nicht allein ihm zu verdanken ist, sondern einer Gemeinschaft Gleichgesinnter. Aber er ist nun mal die Leitfigur, und ohne eine solche geht es nicht.

Und das bleibt er, auch wenn er am Ende dieses Jahres als Museumsleiter aufhört. Den Vorsitz im Verein behält er vorerst für die nächsten zwei Jahre und wird der Arbeitgeber für seine Nachfolgerin Daniela Simon, die schon seit neun Jahren beim Verein angestellt ist. Mit ihr bekommt das Deutsche Stuhlbaumuseum erstmals eine hauptamtliche Leiterin.

Das, findet Spensberger, sei dem Status des Museums, das rund 5 000 Besucher jährlich zählt, durchaus angemessen. Nicht nur wegen der erheblich erweiterten Schau zum Stuhlbau oder der Sonderausstellungen, deren 38. gerade stattfindet, gewidmet dem Advent und Weihnachten: „Lichterglanz in alten Stuben“. Das Museum hat mit dem Buch „Möbel für alle“ zudem ein Standardwerk zur Geschichte der sächsischen Möbelindustrie herausgegeben. Vor allem aber ist es mit seinen Deutschen Stuhlbauertagen seit 2008 auch Fachleuten überregional ein Begriff. 2016 soll die fünfte Auflage stattfinden, zu der unter anderem das Deutsche Stuhlmuseum Eimbeckhausen eingeladen ist.

Honecker und Schmidt an der Wand

Den Gästen aus Niedersachsen wird Spensberger wohl mit bübischer Freude Kurt Aehligs Maschinen vorführen. Um dann im Obergeschoss nach dem historischen den politischen Höhepunkt des Museums zu zeigen, ein blassrotes Plüschsofa mit dem Namen „Potpourri“, hergestellt im VEB Polstermöbelkombinat Oelsa-Rabenau. Bedeutend wird es durch zwei deutsche Staatsmänner, die nicht auf diesem, aber genau auf einem solchen am 11. Dezember 1981 im Schloss Hubertusstock am Werbellinsee nebeneinander saßen: DDR-Staatschef Erich Honecker und Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Den Beweis besorgte Spensberger von der Deutschen Presseagentur, er hängt als große Farbfotografie über dem Möbel. Leider, bedauert Spensberger, kann er nun nicht mehr sagen, einer der beiden lebt noch.

Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau, geöffnet Di bis Do 10-16 Uhr; Fr 10-14 Uhr; So und an Feiertagen 13-17 Uhr; oder nach Anmeldung unter 0351 6413611; am 31. Dezember bleibt das Museum geschlossen.

Hier geht‘s zur Website des Stuhlbaumuseums