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Was tun, wenn ein Neunjähriger nachts einnässt?

SZ-Kolumnist Veit Rößner erklärt, wie Eltern helfen können und welche Therapien wirken. 

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Prof. Dr. med. Veit Rößner gibt Rat.
Prof. Dr. med. Veit Rößner gibt Rat. ©  SZ-Montage

Unser Sohn (9) nässt nachts häufig ein. Weil er sich dafür schämt, will er im kommenden Jahr nicht mit auf Abschlussfahrt. Das fänden wir aber sehr schade. Wie können wir ihm helfen, das Problem zu lösen?

Nächtliches Einnässen kommt im Kindesalter sehr häufig vor. Rund 20 Prozent der Vierjährigen und noch jeder zehnte Siebenjährige sind betroffen. Ein großer Teil der Betroffenen hat das Problem vererbt bekommen. So gibt es Familien, in denen viele, insbesondere der männlichen Familienmitglieder in der Kindheit nachts eingenässt haben, ohne dass eine psychische Störung ursächlich ist. Meist handelt es sich schlichtweg um eine Reifungsverzögerung des zentralen Nervensystems. Bei den Betroffenen ist der Aufwachmechanismus bei Blasendehnungsreiz später als gewöhnlich ausgereift.

Normalerweise beginnt sich bei Kindern im Alter von zwei Jahren ein Blasenfüllungsgefühl zu entwickeln. Etwa ab dem dritten Lebensjahr ist ein Entwicklungsstand erreicht, welcher eine zunehmende Kontrolle des Blasenschließmuskels ermöglicht. Blasenkontrolle wird dabei zuerst tagsüber und etwa vier Monate später nachts erlernt. Die Variationsbreite ist hierbei jedoch beim einzelnen Kind sehr groß. Von einer Störung wird daher erst im Alter von fünf Jahren gesprochen.

Die anstehende Übernachtung Ihres Sohnes ist in jedem Fall ein später, aber wichtiger Anlass, tätig zu werden. Ein solches Ereignis kann eine gute Therapiemotivation für die Kinder sein. Es gibt bewährte Strategien, mit denen Sie Ihr Kind einerseits unterstützen können, aber es auch selbst aktiv werden kann. Diese erfordern jedoch diszipliniertes Durchhaltevermögen.

Zuerst müssen selbstverständlich mögliche körperliche Ursachen, wie beispielsweise Harnwegsinfekte oder angeborene anatomische Fehlbildungen ausgeschlossen oder gegebenenfalls behandelt werden. Die sind allerdings eher selten alleiniger Grund des Einnässens. Wenn hier alles in Ordnung ist, sollte die Suche nach besonderen Belastungsfaktoren und die Erhebung einer ausführlichen Anamnese erfolgen.

Dann folgt eine umfassende Aufklärung der Familie über Ursachen und Therapiemöglichkeiten des Einnässens und über den richtigen Umgang mit den direkten und indirekten Auswirkungen. Dann erfassen die Eltern in der Regel über mehrere Wochen hinweg nasse und trockene Nächte. Dies allein führt bereits in zehn bis 15 Prozent der Fälle zur Trockenheit.

Falls nicht, kann die Erfassung im Sinne eines Sonne-Wolken-Kalenders, der von den Kindern möglichst selbstständig geführt werden sollte, fortgesetzt werden. Eine vorher definierte Anzahl an Sonnen wird dann gegen eine Belohnung eingetauscht. Hierbei sind gemeinsame Aktivitäten mit zusätzlicher Zuwendung für das Kind materiellen Belohnungen vorzuziehen. Allerdings müssen die Eltern und der begleitende Therapeut hier sehr darauf achten, dass das eigentliche Ziel einer Motivation und Aufmerksamkeitslenkung nicht durch zu viel Misserfolg in Druck und Frustration umschlägt.

Ein weiteres bewährtes Mittel ist die apparative Verhaltenstherapie, die auch mit dem Sonne-Wolkenplan kombiniert werden kann. Hierbei kommt üblicherweise eine Klingelhose oder Klingelmatte zum Einsatz. Ein integrierter Sensor für erste Anzeichen von Feuchtigkeit löst einen lauten Ton aus, der das Kind weckt und an den Toilettengang und Wäschewechsel erinnert. Werden die Kinder durch den Ton anfangs nicht wach, kann es sein, dass die geweckten Eltern dies übernehmen müssen. Das erfordert viel Ausdauer und Kraft – auch durch die Eltern, was sich allerdings langfristig lohnt. Denn auch bei anfangs kleinen Misserfolgen muss das Kind stets motiviert werden, eventuell auch nur den Resturin auf der Toilette zu entleeren. Nach einigen Wochen koppelt sich der Reiz „Harndrang“ dann automatisch mit dem Signal „Aufwachen“ und „Harn einhalten“. Bei konsequenter Anwendung werden mit diesem Verfahren 60 bis 70 Prozent der Kinder komplett trocken.

Steht die Übernachtung bereits unmittelbar bevor, werden mitunter kurzfristig auch Medikamente eingesetzt. Sie stellen aber immer nur eine vorübergehende, unterdrückende und keinesfalls heilende Behandlungsoption dar. Daher ersetzen sie nicht die bereits beschriebenen Therapieoptionen. Spätestens nach zwölf Wochen sollte ein Absetzversuch erfolgen, bei dem es meist zum Wiederauftreten des Einnässens kommt.

Haben auch Sie eine Frage an den Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. med. Veit Rößner vom Dresdner Uniklinikum? Schreiben Sie an die Sächsische Zeitung, Nutzwerk, 01055 Dresden oder eine Mail an [email protected]