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Das Kruzifix vom Dachboden

Der barocke Altar der Großröhrsdorfer Stadtkirche wird restauriert. Und gibt einem selten gezeigten Schatz Raum.

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© Matthias Schumann

Von Reiner Hanke

Großröhrsdorf. Schmal und steil ist die Leiter auf das Baugerüst am Altar in der Großröhrsdorfer Stadtkirche. Der barocke Bau wurde in den vergangenen Jahren schon umfangreich saniert. Nun verbirgt ein Gerüst den Altar. Pfarrer Norbert Littig steigt die Leiter eine Etage hinauf. Eine Baulampe wirft ein grelles Schlaglicht auf den Altar. Vor einem Monat hat eine Gruppe von drei Restauratoren die Arbeiten begonnen, mit Voruntersuchungen und Reinigungsarbeiten. Zu dieser gehört die Wachauer Restauratorin Tanja Korntheuer-Wardak. An der rechten Säule kleben kleine Zettelchen. Dort hat sie bei der Voruntersuchung Farbe entfernt und Notizen hinterlassen. Derzeit pausieren die Arbeiten - es ist Ferienzeit.

Der Altar in der Großröhrsdorfer Stadtkirche wird restauriert. Das Ensemble mit dem gekreuzigten Jesus und dem Totenkopf glänzt bereits in seiner ganzen Pracht.
Der Altar in der Großröhrsdorfer Stadtkirche wird restauriert. Das Ensemble mit dem gekreuzigten Jesus und dem Totenkopf glänzt bereits in seiner ganzen Pracht. © Matthias Schumann

Betreut werden sie vom renommierten Kleinröhrsdorfer Restaurator Uwe Rähmer. Bekannt als Chefrestaurator einer besonderen Kirche – der Wittenberger Schlosskirche. Auch der Großröhrsdorfer Altar ist ein besonderes Stück. Es ist eine hölzerne Kopie des Altars in der Leipziger Thomaskirche aus der Zeit Johann Sebastian Bachs. Der hatte damals einen Großröhrsdorfer Verehrer, Matthäus Boden. Der hatte in Leipzig zu tun.

Überraschendes unter alten Farbschichten

Er liebte es, wenn Bach in die Tasten der Orgel griff und dabei den wunderschönen Altar zu betrachten. In den verliebt er sich so, dass er ihn für seine Heimatstadt nachbauen ließ. Das Original wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die inzwischen auch Hunderte Jahre alte Kopie überdauerte die Zeit und wird nun saniert. Der Pfarrer erzählt die Geschichte und ist schon ein bisschen stolz, weil dieser Großröhrsdorfer Altar etwas Besonderes ist. Deshalb soll er jetzt restauriert werden. So ist auch geplant, Sünden aus der Vergangenheit auszubügeln. Die sind an den markierten Bereichen der Säule besonders gut zu sehen. Dort hat die Restauratorin Farbe entfernt und Überraschendes freigelegt. So gab es wohl mehrfach Veränderungen in den zurückliegenden 100 Jahren. Zuletzt wurde 1936 eine Marmorierung in Brauntönen aufgetragen. Die soll bald nicht mehr zu sehen sein. So hat die Restauratorin unter der braunen Farbe die ursprüngliche blau-grüne Bemalung ans Licht gebracht. Allerdings ist sie nicht mehr 100-prozentig erhalten. Es würde Unsummen kosten, diese Farbschicht wieder im Original herzustellen, schätzt der Pfarrer realistisch ein. So gut gefüllt ist die Kirchgemeindekasse nicht. Nun ist es die Idee, sich an der historischen Farbschicht zu orientieren und nach dem Vorbild das Braun aus den 1930er Jahren zu übermalen, ebenfalls marmoriert.

Schwindende Hoffnung auf Fürdergeld

Der Denkmalschutz habe sich ebenfalls mit dem Projekt befasst und eine Förderung von 50 Prozent in Aussicht gestellt. Allerdings schwinde in der Gemeinde die Hoffnung, dass doch noch Geld fließt. Deshalb habe man sich nach Jahren der Wartezeit entschlossen, loszulegen und die Restaurierung aus eigener Kraft zu stemmen: „Das Kostenangebot ist ja nur zeitlich begrenzt“, sagt Norbert Littig. Und es werde nicht billiger. Mit rund 40 000 Euro rechnet die Kirchgemeinde jetzt, den Gerüstbau bis knapp unter die Kirchendecke inklusive.

Es handelt sich um einen typisch evangelischen Altar, etwa acht Meter hoch. Mit dem gekreuzigten Jesus in barockem Gold im Zentrum. Über seinem Kopf die Muschel unter den Füßen einen Totenkopf, als Symbol für die Vergänglichkeit mit dem Gekreuzigten darüber als Brücke zur Muschel als Symbol für die Ewigkeit Gottes. Das Ensemble glänzt bereits in seiner ganzen Pracht. Auch der Holzrestaurator hat schon Hand angelegt. So sind da und dort filigrane Teilchen von den Holzornamenten abgebrochen. Sie werden nachgeschnitzt und ersetzt.

Bis Ende September sollen die Restaurierungsarbeiten abgeschlossen sein und zum Kirchweihfest am 8. September bewundert werden können. Bis dahin verdeckt eine gewaltige weiße Leinwand das komplette Gerüst samt Altar. Denn es haben sich in dieser Zeit auch drei Hochzeiten angemeldet, erklärt der Pfarrer: „Vor dem Gerüst wäre es ja nicht sehr feierlich.“ Der Vorschlag kam vom Gerüstbauer, und ein Kirchenvorstand erinnerte sich an ein imposantes Kruzifix, einen Schatz aus dem 15. Jahrhundert ungefähr. Das schlummert auf dem Kirchenboden: „Wir haben es zu zweit heruntergeschleppt und mit Seilen hochgezogen.“ Das Kruzifix stamme noch aus der Vorgängerkirche, schätzt Norbert Littig ein und ist wegen seiner mächtigen Größe von drei Metern eingelagert worden. Es gebe einfach keine passende Wand. Dafür jetzt eine weiße Leinwand. Vor der wurde das Kreuz jetzt in Szene gesetzt.

Das Kruzifix stammt aus vorreformatorischer Zeit und zeigt einen ganz anderen Jesus als jenen im Zentrum des Altars. Einen Leidenden auf groben Balken fixiert. Die Figur stammt aus einer Zeit, in der auch die einfachen Menschen nicht viel zu lachen hatten.

Dieser Christus sollte Trost Spenden und Verständnis für das Leiden der Menschen ausstrahlen, erklärt Norbert Littig: „Nun sind wir gespannt, wie das Kruzifix auf die Gemeinde wirkt, wie sie reagiert.“ Und vielleicht bekommt es ja nach den Altararbeiten einen neuen Platz.

Zum Tag des Denkmals am 10. September will die Kirchgemeinde die im Vorjahr restaurierte Großmannloge öffnen und wertvolle Lutherbibeln aus dem 16. Jahrhundert präsentieren, die sonst unter Verschluss sind. An dem Tag wird auch die Restauratorin da sein und Fragen zum Altar beantworten.