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Per Anhalter von Altenberg nach Bad Schandau - ein Selbstversuch

Zwei Reporterinnen von Sächsische.de wollten es wissen und hielten den Daumen am Straßenrand hoch. Sie machten erstaunliche Erfahrungen.

Von Mareike Huisinga & Luisa Kallauch
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Funktioniert das System Trampen heute noch? Mareike Huisinga und Luisa Kallauch (vorn) 
machten den Selbstversuch im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Nach dem Foto ging es dann auf die richtige Straßenseite.
Funktioniert das System Trampen heute noch? Mareike Huisinga und Luisa Kallauch (vorn) machten den Selbstversuch im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Nach dem Foto ging es dann auf die richtige Straßenseite. © Egbert Kamprath

Eine Schnapsidee? Vielleicht. Aber wir wollten es wissen. Nämlich, ob man heutzutage überhaupt noch trampen kann. Wird man mitgenommen oder bleiben wir am Straßenrand stehen? Die Route ist mit Bedacht gewählt: von Altenberg durch das lauschige Müglitztal nach Heidenau und von dort aus auf der B172 nach Bad Schandau. Der Ansatz: ergebnisoffen. Falls wir nicht wegkommen, dann wechseln wir kurzerhand in die Öffis, nämlich Müglitztalbahn, S-Bahn oder Rumpelbus. Doch soweit sollte es nicht kommen.

Los geht es um 10.30 Uhr am Ortsausgang Altenberg in Richtung Geising. Es ist schon ein komisches Gefühl an einer Busparkbucht zu stehen und auf das nächste Auto zu warten, das hoffentlich anhält. Fehlanzeige. Die beiden Jungs in dem Pkw mit Oberallgäu-Kennzeichen fahren gleich mal an uns vorbei. Auch das Pärchen aus dem Landkreis Landsberg am Lech ist lieber für sich alleine, als sich Unbekannte ins Auto zu holen. Andere fahren ebenfalls achtlos vorüber, manche schauen irritiert. Achselzuckend werden wir angelächelt, wenn im Auto kein Platz für zwei Mitfahrer ist.

Älterer Herr ist zu DDR-Zeiten gerne getrampt

Jetzt nur nicht nervös werden. Und tatsächlich nach circa zehn Minuten hält ein älterer Herr mit freundlichem Gesicht, vermutlich um die 70 Jahre alt. Er würde uns allerdings nur bis nach Geising bringen können, weil er dann weiterfährt in Richtung Fürstenau, wo er heute bei dem schönen Wetter eine längere Wanderung machen wolle. Ist doch schon ein guter Anfang! Schnell steigen wir hinten ein. Als Jugendlicher zu DDR-Zeiten sei er auch oft per Anhalter gefahren. "Das ging immer sehr gut", blickt er zurück. In Geising verabschieden wir uns.

Jetzt ist es 10.55 Uhr als ein blauer Kombi anhält. Drinnen sitzen zwei junge Männer. Sie kennen sich in der Gegend überhaupt nicht aus. Sie kommen gerade aus Ungarn von einem Motorsportevent. Der Mann auf dem Beifahrersitz hat sich die Fingerkuppe mit einem Messer aus Versehen abgeschnitten, weshalb sie jetzt zur Uniklinik nach Dresden düsen. Aber bis zum Autobahnzubringer in Lauenstein nehmen sie uns mit. Der Fahrer, der Chef des Duos, macht klare Ansagen und räumt erstmal seine Tablets von der Rückbank nach vorne, weil er fürchtet, wir könnten sie mitgehen lassen. "Nichts gegen euch, aber man weiß ja nie", sagt er. Und wir finden, gegen eine gesunde Vorsicht ist durchaus nichts einzuwenden, die haben wir ja auch. "Bock" auf ein Interview hat der Fahrer übrigens auch nicht, als wir verkünden, dass wir von der Zeitung sind. Ebenfalls okay, schließlich haben wir ein kostenfreies Taxi.

In Lauenstein springen wir raus und wünschen dem Verletzten, dessen Daumenverband ungesund aussieht, noch gute Besserung.

Keine Chance zu trampen auf der Strecke nach Bärenstein. Hier anzuhalten, wäre für die Autofahrer aufgrund der engen Kurven auch zu gefährlich gewesen.
Keine Chance zu trampen auf der Strecke nach Bärenstein. Hier anzuhalten, wäre für die Autofahrer aufgrund der engen Kurven auch zu gefährlich gewesen. © Luisa Kallauch

Zu Fuß von Lauenstein nach Bärenstein

Dann beginnt eine Durststrecke, vielmehr eine Wanderstrecke, denn in dem Ort Lauenstein scheint die Akzeptanz für Tramper eher gering zu sein. So laufen wir die nächsten zwei Kilometer am Straßenrand bis nach Bärenstein. Fußweg? Fehlanzeige. Die Stimmung sinkt, die Sonne prasselt auf uns und ein vorbeirauschender Lkw fegt uns fast von der Strecke.

Aber dann, in Bärenstein, hält Sabine an. Sie wohnt in Glashütte, hört in ihrem mit Kuscheltierschildkröten ausgestatteten Auto ABBA und ist gut drauf. Überhaupt hat sie eine feine Einstellung, wie wir finden. Denn sie stoppt nicht nur für Anhalter, die auf dieser Strecke ohnehin selten genug vorkommen, sondern auch unter anderem für ältere Damen am Straßenrand. "Ich frage dann, ob alles in Ordnung ist, oder ob sie Hilfe brauchen", sagt die Uhrmacherin mit Herz, die es wichtig findet, auf Menschen zu achten, sie wahrzunehmen. Sie meint es ehrlich. Ihre philanthropische Ansicht ist unser Glück, sonst würden vermutlich immer noch an Bärensteins Huthaus stehen. In Glashütte lässt sie uns passenderweise am Glascontainer raus. Vorher stellt sie allerdings noch fest, dass es in Glashütte leider zu wenig Angebote für die Jugend gibt, womit sie vermutlich nicht die Einzige ist, die das bedauert.

Selfie am Glascontainer in Glashütte: Wir haben viel Elan nach den ersten angenehmen Mitfahrgelegenheiten. Es stellt sich jedoch heraus, dass wir hier eine Weile ohne fahrbaren Untersatz stehen und warten.
Selfie am Glascontainer in Glashütte: Wir haben viel Elan nach den ersten angenehmen Mitfahrgelegenheiten. Es stellt sich jedoch heraus, dass wir hier eine Weile ohne fahrbaren Untersatz stehen und warten. © Luisa Kallauch

Polizei: "gesundes Maß an Misstrauen" nötig

Glashütte. 11.30 Uhr. Es wird spannend. Von dem gegenüberliegenden Parkplatz steigt eine ältere Dame aus ihrem quietschgrünen flotten Jeep aus. Sie fragt uns nach einer Tankstelle. Den Weg können wir ihr schnell beschreiben, die nächste Tankstelle ist gleich um die Ecke. Sie braust los und in diesem Moment radelt ein Herr mit Strohhut an uns vorbei. Kollektives Duzen ist beim Trampen wohl angesagt. "Soll ich euch mitnehmen?", fragt er gutgelaunt und auch wir müssen lachen. Etwas später rauscht ein fast leerer Autobus des ÖPNV an uns vorbei, gefolgt von einem Autofahrer, der uns drohend die Faust hinstreckt, warum auch immer. Wir haben ihm bestimmt nichts getan.

Das stellt uns vor die Frage, wie gefährlich ist es, per Anhalter zu fahren? "Vorfälle im Zusammenhang mit Trampen sind mir in der jüngeren Vergangenheit im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge nicht gegenwärtig", teilt Polizeisprecher Marko Laske mit. Unbestritten sei allerdings die Tatsache, dass man grundsätzlich ein gesundes Maß an Misstrauen an den Tag legen sollte. Von einer polizeilichen Bewertung zum Thema Trampen möchte der Sprecher hingegen Abstand nehmen.

Mitfahrzentralen im ländlichen Raum gefordert

Glück haben wir mit dem guten Nico, der aus Schlottwitz stammt, und uns vom Standort Glascontainer in Glashütte nach Heidenau bringt, wo er etwas zu erledigen hat. Er persönlich würde nie trampen, das sei eine Zeitverschwendung. Damit hat er vermutlich recht. Dennoch steht er umweltfreundlichen Alternativen gegenüber dem Prinzip "Eine Person in einem Auto" durchaus offen gegenüber. Mitfahrzentralen findet er beispielsweise klasse. "So etwas müsste auch im ländlichen Raum organisiert werden. Besonders, da die Müglitztalbahn oft unzuverlässig fährt", meint Nico.

Just in diesem Moment fahren wir an dem alten Bahnhof von Burkhardswalde-Maxen vorbei, der ziemlich zugewachsen ist. "Das ist der größte Schandfleck im ganzen Müglitztal, nichts passiert hier", ärgert er sich. Wenige Kilometer weiter haben wir einen erfreulicheren Anblick, nämlich das imposante Schloss Weesenstein. Gleich hinter der Ortschaft grasen idyllisch Kühe am Hang. Man fühlt sich etwas an Bayern erinnert.

Passant will Bus-Fahrkarte für Tramperinnen zahlen

Mit der Idylle ist es in Heidenau vorbei, als wir bei der Star-Tankstelle an der stark befahrenen B172 aussteigen. Lärm, Hitze, Beton. Es ist 12.25 Uhr. Zeit für eine kurze Rast. Dann stellen wir uns wieder an die Straße. Autos rauschen an uns vorbei, die Mittagssonne brennt herunter, Schatten haben wir an dieser Stelle nicht. So richtig Spaß macht dieser Selbstversuch im Moment tatsächlich auch nicht.

Unser erster Retter ist ein Fußgänger auf dem Bürgersteig, der ziemlich ausgetretene Schuhe trägt. Er fragt uns, wohin wir wollen. "Nach Bad Schandau." Einen Moment überlegt er, rechnet im Kopf und sagt: "Ich könnte euch das Geld für den Bus bis Pirna geben." Wir sind echt baff, klären ihn schnell auf, dass wir für die Zeitung über unsere Tramper-Erfahrungen eine Reportage schreiben. Der Mann mit dem hellen direkten Blick versteht, nickt, wünscht uns viel Glück und geht weiter. Keine Selbstverständlichkeit, dass jemand, der offenbar sein Geld selber dringend benötigt, Fremden helfen möchte. Wir sind beeindruckt.

Unser zweiter Retter ist ein Flüchtling aus Syrien, der in Heidenau wohnt, und nach Pirna zur Ausländerbehörde will. Er nimmt uns in seinem klimatisierten Auto, das er von einem Freund geliehen hat, mit bis zum Sonnenstein.

Die gute Nachricht: Menschen schauen auf Menschen

Dort kommen wir um 13.26 Uhr an. Und müssen nicht lange auf unseren nächsten Lift warten. Eine Dame hält nach nur fünf Minuten an. "Ich freue mich immer, wenn ich jemanden mitnehmen kann, weil so selten noch getrampt wird", sagt sie offen und meint es auch so. An der Ostsee habe sie Mitfahrbänke gesehen und auch selber ausprobiert. "Ein super System", sagt die Fahrerin aus Dresden, die einen Kleingarten in Königstein besitzt, an dem sie hängt und wo sie uns herauslässt. Wir bedanken uns, worauf sie sich vielmehr bei uns bedankt: "Da hatte ich heute auch noch ein besonderes Erlebnis", schmunzelt sie.

Klare Sache: Wir sind mittlerweile auf der Zielgeraden. Nach Bad Schandau scheint es jetzt nur noch einen Katzensprung zu sein. Und wirklich, lange müssen wir nicht warten, ein Pkw hält an. Die freundliche Pirnaerin hinter dem Steuer nimmt uns bis nach Schandau mit. Um 14.15 Uhr erreichen wir unser Ziel. Irgendwie baff, aber auch sehr glücklich.

"Hey Jungs, könnt ihr mal ein Foto von uns machen? Wir sind Touristen", rufen wir einer Dreier-Gruppe zu. Touris sind wir nicht, doch der Trip hat uns auch für die Landschaft die Augen geöffnet.
"Hey Jungs, könnt ihr mal ein Foto von uns machen? Wir sind Touristen", rufen wir einer Dreier-Gruppe zu. Touris sind wir nicht, doch der Trip hat uns auch für die Landschaft die Augen geöffnet. © Luisa Kallauch

Unser Fazit? Das Verhältnis Strecke-Zeit ist in der Tat nicht so ganz überzeugend. Für die Strecke von rund 65 Kilometer haben wir knapp vier Stunden benötigt. Mit dem Auto bewältigt man exakt die gleiche Strecke in gut einer Stunde und 15 Minuten. Ungefähr zwei Stunden müsste man mit öffentlichen Verkehrsmitteln - der Müglitztalbahn und der S-Bahn - einplanen.

Aber dafür hatten wir einen anderen, viel größeren Gewinn. Denn wir sind vielen unterschiedlichen offenen Menschen begegnet, die nicht nur an sich denken, sondern auch auf andere schauen. Mit ihnen haben wir gute und durchaus keine oberflächlichen Gespräche geführt. Dabei wurde auch deutlich, dass sich die Menschen mehr positive Nachrichten in den Medien wünschen. Und die kommt hier: Oft wird geklagt, dass die soziale Kälte zunehme und das gesellschaftliche Klima rauer werde. Das können wir nach unserem Abenteuer Trampen durch den Landkreis SOE nicht bestätigen. Wir haben uns keine Sekunde unwohl gefühlt. Im Gegenteil. Und dafür sagen wir Danke!