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OB-Wahl in Pirna: Was an den Stasi-Vorwürfen gegen einen Kandidaten dran ist

André Liebscher hat seinen Wehrdienst beim DDR-Wachregiment offenbart. Nun läuft eine Debatte, ob er für das OB-Amt tragbar ist. Der Fall und die Rechtslage.

Von Thomas Möckel
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OB-Kandidat André Liebscher: Hat sich für einen dreijährigen Wehrdienst entschieden, um die Chance auf einen Studienplatz zu erhöhen.
OB-Kandidat André Liebscher: Hat sich für einen dreijährigen Wehrdienst entschieden, um die Chance auf einen Studienplatz zu erhöhen. © Daniel Förster

In drei Wochen wählt Pirna einen neuen Oberbürgermeister, der Wahlkampf läuft längst auf Hochtouren. Nicht immer spielen dabei inhaltliche Schwerpunkte der Kandidaten eine Rolle, inzwischen geht es auch ins Persönliche. So wogt derzeit eine Debatte um eine mutmaßliche Tätigkeit des parteilosen Einzelkandidaten André Liebscher für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR; ausgelöst von ihm selbst, seit Tagen zusätzlich von den Freien Wählern befeuert.

Sie werfen ihm vor, er habe hauptamtlich für die Staatssicherheit gearbeitet, angeblich soll er sogar ein sogenannter „Offizier im besonderen Einsatz“ (OibE) gewesen sein. Liebscher dementiert all das, er habe lediglich seinen Wehrdienst beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ abgeleistet – und das nicht einmal die volle Zeit. Sächsische.de fasst die Vorwürfe, den Fall und die Rechtslage zusammen.

Die Vorwürfe

André Liebscher hat vor einigen Wochen bei einem Forum der OB-Kandidaten in Graupa und kürzlich noch einmal in einem Fernsehbeitrag offenbart, dass er seinen DDR-Wehrdienst Ende der 1980er-Jahre beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ absolviert habe – und trat damit selbst eine Debatte über eine mögliche Stasi-Verstrickung los. Vor allem die Freien Wähler werfen ihm nun vor, er sei aufgrund seiner mutmaßlichen Stasi-Tätigkeit untragbar für das OB-Amt.

Dieses Wachregiment war ein militärischer Verband und Teil der bewaffneten Organe der DDR. Es gehörte allerdings offiziell nicht zu den Streitkräften, sondern war dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt, ab Mitte der 1980er-Jahre direkt der Arbeitsgruppe von Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit in der DDR. Das Regiment galt als militärischer Arm des MfS und zählte 1989 rund 11.000 Mann. Laut des Stasi-Unterlagen-Archivs des Bundes wurde das Wachregiment im Dezember 1989 aufgelöst.

Die Mitglieder des Regiments, auch die Wehrdienstleistenden, wurden – allein schon aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Regiment – als hauptamtliche Mitarbeiter des MfS geführt. Doch die Freien Wähler werfen Liebscher nicht nur das vor, zudem soll er auch ein „Offizier im besonderen Einsatz“ (OibE) gewesen sein. Diese „OibE“ bekleideten eine Sonderrolle innerhalb des MfS, es waren hochrangige hauptamtliche Mitarbeiter im Offiziersrang, die zur Durchdringung von anderen wichtigen Stellen des Staatsapparates und der Wirtschaft, aber auch außerhalb der DDR vom MfS eingesetzt wurden. Sie operierten dort stets verdeckt, ausgestattet mit einer ausgedachten Biografie. Sie erhielten in der Regel ein überdurchschnittliches Einkommen.

Der Werdegang

Liebscher selbst dementiert all das, er habe bei dem Wachregiment lediglich seinen Wehrdienst abgeleistet, andere Anhaltspunkte ergäben sich auch aus seiner ihm vorliegenden Stasi-Akte nicht. Liebscher sagt, er habe nach seiner Schulzeit Maschinenbau studieren wollen und sich daher entschieden, sich für einen dreijährigen Wehrdienst zu verpflichten, weil das die Erfolgsaussichten auf einen Studienplatz erhöhte. Bei der Musterung habe man ihm einen Dienst bei den Grenztruppen oder im Wachregiment vorgeschlagen, er entschied sich für Letzteres.

Er sei am 1. April 1988 zum Wachregiment eingezogen worden, stationiert war das Kommando 1 in Berlin-Adlershof. Dort habe er den Rang als „Unteroffizier auf Zeit“ (UaZ) bekleidet. Während des Wehrdienstes habe er ausschließlich das Objekt Schloss Schönhausen – von der DDR „Niederschönhausen“ genannt – bewacht, ein Gästehaus der DDR-Regierung, vor allem für Staatsgäste. Nach Auflösung des Regiments sei er ab Ende 1989 noch eine Zeit im Braunkohletagebau bei Leipzig im Einsatz gewesen und im Januar 1990 nach Hause entlassen worden. Von den ursprünglich geplanten drei Jahren Wehrdienst leistete er ein Jahr und neun Monate ab.

Dass er dabei als Stasi-Mitarbeiter geführt wurde, weiß er, Liebscher dementiert aber, jemals bewusst für das MfS gearbeitet zu haben. „Ich habe lediglich das Objekt bewacht, aber niemals jemanden ausspioniert oder irgendeine Verpflichtung unterschrieben“, sagt er. Gibt man seine Daten in der Internet-Suchplattform www.stasi-liste.online ein, ist er dort als Stasi-Mitarbeiter gelistet, mit Personenkennzahl, Name, Geburtsdatum, seinem Einsatz beim Wachregiment und einem Jahreseinkommen, was dem damaligen Wehrsold entsprach. Eine extra Stasi-Nummer fehlt.

Auch sei er kein „OibE“ gewesen. Auf der Internetplattform sind diese „OibE“ rot markiert, mit Angabe einer speziellen Stasi-Nummer und dem konkreten Einsatzort. Bei Liebschers Angaben ist nichts dergleichen vermerkt, seine Angaben sind auch nicht rot markiert.

Die Rechtslage

Grundsätzlich: Weil hauptamtliche Bürgermeister Wahlbeamte sind, gilt für sie gemäß der Rechtsprechung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts das sächsische Beamtenrecht. Zum Prozedere im Einzelnen: Nach Auskunft des sächsischen Innenministeriums verlangen Vorschriften der Sächsischen Gemeindeordnung (Paragraf 49 Abs. 1) sowie des Sächsischen Kommunalwahlgesetzes (Paragraf 41 Abs. 3) für die Wählbarkeit zum Bürgermeister in beamtenrechtlicher Hinsicht nur, dass der Bewerber die allgemeinen Voraussetzungen für die Berufung ins Beamtenverhältnis zu erfüllen hat.

Hiernach darf gemäß Paragraf 4 Abs. 1 Sächsisches Beamtengesetz in das Beamtenverhältnis grundsätzlich nicht berufen werden, wer für das frühere MfS tätig war und dessen Beschäftigung im öffentlichen Dienst daher als untragbar erscheint. Laut des Ministeriums prüfe nach der Wahl die Rechtsaufsichtsbehörde – in diesem Fall das Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge – die Wahl, dies umfasse auch die Wählbarkeit des Gewählten. Dazu kann die Rechtsaufsicht eine Abfrage beim Beauftragen für die Stasi-Unterlagen stellen.

Grundsätzlich muss die Rechtsaufsicht bei der Prüfung die Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes beachten. Demnach reicht eine frühere Tätigkeit einer Person für das MfS für sich genommen nicht aus, um die Wählbarkeit zum Bürgermeister auszuschließen. Es bedarf vielmehr der Feststellung, dass der Bewerber wegen seiner Tätigkeit für das MfS für das angestrebte Amt untragbar ist. Dieser eigenständige Schritt erfordert eine umfassende, alle beachtlichen Aspekte des jeweiligen Falles einbeziehende Prüfung. Diese Einzelfallprüfung muss ergebnisoffen sein. Laut des Verfassungsgerichtshofes verbiete es sich daher, allein eine festgestellte frühere MfS-Tätigkeit als Indiz für eine Untragbarkeit heranzuziehen.

Die Bewerbung

Liebscher sind nach eigenen Angaben diese Regularien bewusst, er kenne die Bestimmungen des Beamtenrechts. Er habe in seinen Wahlunterlagen auch wahrheitsgemäß Angaben zu seinem Wehrdienst gemacht. Um sicherzugehen, habe er bereits im Mai bei einem Termin bei der Rechtsaufsicht seine Vergangenheit offengelegt und sich erkundigt, ob sein Wehrdienst im Wachregiment im Falle seiner Wahl der Berufung ins Beamtenverhältnis entgegenstehe.

Bei dem Gespräch habe man ihm gesagt, dass es sich in seinem Fall beim Dienst im Wachregiment offensichtlich um einen normalen Wehrdienst handle, er könne daher im Falle eines Wahlsieges verbeamtet werden. „Mit diesem Wissen habe ich mich schließlich erst zur Wahl gestellt“, sagt Liebscher, „andernfalls hätte ich gar nicht erst kandidiert.“