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Kunst-Eklat in Pirna: Der Streit um ein umstrittenes Bild

OB Klaus-Peter Hanke lässt vor dem Tag der Kunst ein Bild des Künstlers Christopher H. Simpson wieder abhängen. Seitdem schlagen die Wogen hoch.

Von Thomas Möckel
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Nach kurzer Zeit wieder abgehängt: "Die Kritiker haben etwas hysterisch reagiert, dann ist die Stadt eingeknickt."
Nach kurzer Zeit wieder abgehängt: "Die Kritiker haben etwas hysterisch reagiert, dann ist die Stadt eingeknickt." © Daniel Förster

Die „Documenta 15“ vor reichlich einem Jahr war von einem Skandal überschattet. Bei der internationalen Kunstschau in Kassel hatte die indonesische Künstlergruppe Taring Padi am zentralen Platz der Documenta ein antisemitisches Banner aufgehängt. Der Aufschrei und die Entrüstung darüber waren groß, viele sahen dieses Werk nicht mehr von der Kunstfreiheit gedeckt. Zunächst wurde das Banner verhüllt, nach anhaltendem Protest aber einen Tag später komplett abgebaut.

Weniger international, aber nicht minder skandalträchtig ging es zum Auftakt des diesjährigen „Tag der Kunst“ in Pirna zu, die große Freiluft-Galerie in den Altstadtgassen, organisiert vom Kunstverein „Sächsische Schweiz“. Die Kultur-Aktion steht diesmal unter dem Thema „Zwischenwelten“, lokale Künstler stellen ihre dazu entstandenen Werke aus, die Galerie ist bei vielen Kunstfreunden beliebt.

In diesem Jahr allerdings entzweit ein Bild Befürworter und Kritiker auf gravierende Weise, es geht um massive Vorwürfe gegen den Künstler, um die Entscheidung der Stadt, das Bild wieder abzuhängen, darum, ob das Skizzierte in dieser Weise noch von der Kunstfreiheit gedeckt ist. Die Lager sind äußerst gespalten.

Symbole von Verschwörungstheoretikern

Entbrannt ist der Zwist über das Bild des britisch-deutschen Malers Christopher H. Simpson mit Atelier in Stadt Wehlen, es trägt den etwas sperrigen Titel „Durch die Ampel, mit der Ampel, für die Ampel – zwischen kaiserlicher Macht und ein Kesselbuntes voll Sachzwangspolitik“. Es zeigt die Konterfeis von Bundeskanzler Olaf Scholz, von Außenministerin Annalena Baerbock, von der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, von Wirtschaftsminister Robert Habeck und von Finanzminister Christian Lindner. Darüber thront ein Porträt von Kaiser Wilhelm, ganz unten findet sich ein Porträt von Klaus Schwab, Direktor des Weltwirtschaftsforums und Autor des Buches „The Great Reset“ (Der große Neustart), auch dieser Schriftzug findet sich auf dem Bild. In der Bildmitte, als Ampel angeordnet, zeigt Simpson die Hauptkriegstreiber und Verantwortlichen des Holocaust: Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Hermann Göring.

Verstörend auf die Kritiker wirkt vor allem die gewählte Symbolik, in der sie unter anderem Antisemitismus, Verschwörungstheorie-Bildnisse und Homophobie erkennen wollen. Letzteres unterstellen sie, weil Lauterbach eine Spritze mit regenbogenfarbenem Impfstoff in der Hand hält. Zudem könne die heutige Regierung nicht mit den Nazi-Verbrechern verglichen werden. Annalena Baerbocks Stirn ziert das sogenannte „Auge Gottes“, ein Auge in einem Dreieck, umgeben von Sonnenstrahlen. Es stammt aus der ägyptischen Mythologie, kommt im Christentum vor, das Zeichen findet sich in einigen Kirchen. Heutige Verschwörungstheoretiker bringen es mit Geheimgesellschaften in Verbindung, die nach einer neuen Weltordnung streben – es steht beispielsweise für die Freimaurer, die Illuminaten oder die jüdische Weltverschwörung.

So ähnlich verhält es sich auch mit Klaus Schwab. In seinem Buch geht es um die Initiative des Weltwirtschaftsforums, die Weltgesellschaft und die Weltwirtschaft nach der Corona-Pandemie neu zu gestalten. Dabei soll ein stärkerer Fokus auf Gerechtigkeit, Gesellschaft und Nachhaltigkeit gelegt werden. Doch einige Gruppen und Autoren verwenden den Ausdruck „Great Reset“ für angebliche Weltherrschaftspläne einer mächtigen Elite, die die Pandemie inszeniert habe, um diese für sich ausnutzen.

Künstler Christopher H. Simpson: Der Vorwurf, dass ich ein Antisemit sein soll, ist geradezu absurd.
Künstler Christopher H. Simpson: Der Vorwurf, dass ich ein Antisemit sein soll, ist geradezu absurd. © Marko Förster

Verfassungsfeindlicher Inhalt?

Simpsons Bild hing gerade mal eine halbe Stunde in der Öffentlichkeit, da entschied Pirnas Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke (parteilos), es wieder abzunehmen. Nach seiner Aussage soll das Bild in einem Rahmen gezeigt werden, der eine kritische Einordnung und eine Diskussion zulässt. Es gelte, das Bild in einen Kontext zu stellen. Mit dem Kunstverein bespricht die Stadt derzeit, wie in dieser Angelegenheit weiter vorgegangen werden soll.

Vorausgegangen war offensichtlich ein Streit, der in zwei langen Statements mündete, deren Absender allerdings anonym sind. Auf einem Zettel an einem Regenrohr in der Schmiedestraße ist zu lesen, dass Simpsons Bild von aufmerksamen Anwohnern und Nachbarn als Propaganda verfassungsfeindlicher und antidemokratischer Inhalte verstanden und interpretiert worden sei. Ohne Einordnung sei es nicht eindeutig als Satire oder Persiflage zu erkennen und daher als bedenklich wahrgenommen worden. Daher sei es wieder abgenommen worden.

„Tag der Kunst“-Kurator Volker Lenkeit versah daraufhin die Hinweise zum Künstler mit dem Vermerk „Dank aufmerksamer Anwohner als entartet deklariert – wurde vom OB Hanke die Abhängung angeordnet“. Auf einem Zettel darunter heißt es nun, in der Auseinandersetzung um das hetzerische und diskriminierende Plakat eines lokalen Künstlers greife der Kunstverein nun auf Geschichtsrevisionismus zurück. Dass er sich dieses Begriffs bediene, zeige auch, dass er weder an einer inhaltlichen Auseinandersetzung interessiert sei noch auf eine selbstkritische Haltung zurückgreifen könne. Darunter findet sich lediglich der Hinweis „Pirnaer Bürger*innen“.

Umstrittenes Simpson-Bild: Kritik am vergangenen und aufkeimenden Totalitarismus.
Umstrittenes Simpson-Bild: Kritik am vergangenen und aufkeimenden Totalitarismus. © Daniel Förster

Bewusst künstlerisch provoziert

Der Kunstverein hatte bereits am Freitag gegen die Entscheidung von Hanke protestiert. Laut Vereinschefin Brigitta Arnold wäre es besser gewesen, das Bild hängenzulassen, um die Bevölkerung nicht zu entmündigen und eine Diskussion im öffentlichen Raum zuzulassen. Letztendlich, so resümiert sie, habe die ganze Diskussion gute Werbung für den „Tag der Kunst“ gebracht. Auch Volker Lenkeit, der seit 20 Jahren den „Tag der Kunst“ kuratiert, kann den ganzen Aufriss um das Bild nicht verstehen. "Wenn ich Künstler anspreche, ob sie ein Kunstwerk zum gewählten Thema anfertigen", sagt er, "dann sind ja gerade auch kritische Bilder gewollt." Simpsons Collage beinhalte eine scharfe Gesellschaftskritik, aber Antisemitismus könne er in dem Bild nicht erkennen.

Auch der Schöpfer, der schon als Redner bei mehreren Querdenker-Demonstrationen auftrat, versteht die Aufregung um sein Bild nicht, sämtliche Vorwürfe diesbezüglich bezeichnet er als gegenstandslos. Vor allem wehrt er sich dagegen, als Antisemit stigmatisiert zu werden. "Ich bin selbst erst vor kurzem in einem anderen Zusammenhang als Judensau beschimpft worden", sagt Simpson, "und jetzt soll ich ein Antisemit sein? Da stimmt doch etwas nicht." Der Vorwurf sei geradezu absurd.

Er sei ein großer Freund der jüdischen Kultur und daher alles andere als ein Antisemit, er gehöre auch nicht zu einer rechten Verschwörung. Sein Bild sieht er in erster Linie als drastische Kritik am vergangenen und nun wieder aufkeimenden Totalitarismus. Die Ampel stehe als Symbol dafür, dass die Bundesregierung von oben her diktiere, wann das Volk bei Grün fahren dürfe und bei Rot stehenbleiben müsse. Es handle sich um eine Karikatur, mit der er warnen und eigene Ängste ausdrücken möchte. Dass er dabei mit seiner Darstellung provoziert, ist ihm bewusst. Eine öffentliche Debatte im Rathaus über sein Bild würde er sehr begrüßen. „Denn die Kritiker haben ein bisschen hysterisch reagiert“, sagt Simpson, „und dann ist die Stadt eingeknickt.“