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SZ + Pirna

Mit Axt und Baseballschläger: Ehepaar überfällt Jugendliche in Neustadt

Denis H. und seine Frau Jenny fühlen sich von Böllern drangsaliert. Eines Nachts ziehen sie bewaffnet durch den Stadtpark von Neustadt/Sachsen. Was dort passiert, ist ein Fall fürs Gericht.

Von Katarina Gust
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Arthur-Richter-Park in Neustadt: Ein Ehepaar ging hier am 10. September 2023 mit Baseballschläger und Axt auf eine Gruppe Jugendliche los. Ein 16-Jähriger wird verletzt.
Arthur-Richter-Park in Neustadt: Ein Ehepaar ging hier am 10. September 2023 mit Baseballschläger und Axt auf eine Gruppe Jugendliche los. Ein 16-Jähriger wird verletzt. © Archivfoto: Daniel Wagner

Es ist eine Szene wie aus einem Film. Eine Gruppe Jugendliche läuft nachts durch einen Park. Wie aus dem Nichts taucht plötzlich ein Pärchen auf - bewaffnet mit einer Axt und einem Baseballschläger - und greift die Passanten an.

Was nach Fiktion klingt, ist im Stadtpark in Neustadt zu ernsten Realität geworden. So beschreiben es vier der Betroffenen, die am Montag als Zeugen vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht in Pirna ausgesagt haben.

Die drei 16-Jährigen und ein 19-Jähriger liefen demnach am 10. September 2023 gegen Mitternacht durch den Arthur-Richter-Park in Neustadt. Sie kamen von einer privaten Party, wollten einen der Jugendlichen nach Hause begleiten. "Plötzlich sprangen ein Mann und eine Frau aus dem Gebüsch, mit langen Gegenständen in den Händen", schildert ein Zeuge. Bei den Gegenständen handelt es sich um eine Axt und einen Baseballschläger. Die Jugendgruppe erschrickt. Von "Todesangst" ist die Rede. Die jungen Männer flüchten, rennen in verschiedene Richtung davon. Auch Tobias L. Der 16-Jährige kommt jedoch nicht weit, er stürzt. Genau das wird ihm zum Verhängnis.

Baseballschläger trifft Opfer mehrfach am Kopf

Die Angreifer, Denis H. und seine Frau Jenny H., sind schnell bei ihm. Der 43-Jährige bedroht den 16-Jährigen mit seiner Axt - stumpf zwar, wie sich später herausstellen wird, aber etwa 80 Zentimeter lang. Tobias solle sich nicht bewegen, sich hinsetzen oder auf den Boden legen. "Ich hab einen erwischt", soll H. zu seiner Frau gerufen haben. Jetzt übernimmt Jenny H. und schlägt auf Tobias ein. Kopf, Gesicht, Rumpf, Beine, Arme, Ellbogen und der Rücken - Tobias wird mehrfach getroffen. Mindestens neunmal, schätzt er anhand seiner Verletzungen, höchstens 20 Mal. Prellungen, Platz- und Schnittwunden sind die Folge.

Irgendwie gelingt es dem 16-Jährigen, zu entkommen. Erst versteckt er sich nahe der Neustädter Feuerwehr. "Da habe ich Blut gespuckt, weil die Lippe getroffen wurde", sagt er vor Gericht aus. Tobias läuft schließlich zurück zur Party, Polizei und ein Rettungswagen werden alarmiert. Eine Nacht verbringt er im Krankenhaus. Ein Rechtsmediziner bestätigt, dass Tobias stockschlagtypische Verletzungen aufweist - auch auf dem Schädel. Eine akute Lebensgefahr habe für ihn zwar nicht bestanden. Dennoch habe er stumpfe Gewalt erlebt.

Denis und Jenny H. werden kurz nach dem Angriff von einer Polizeistreife nahe dem Stadtpark aufgegriffen und vernommen. Wie es dazu kommen konnte? Vor Gericht schildert das Ehepaar, dass sie sich seit längerer Zeit von illegalen Böllern drangsaliert fühlen - vor allem ihre Haustiere, die die Knaller regelmäßig aufschrecken und einschüchtern würden. Mehrere Anzeigen bei der Polizei, Gespräche mit der Schiller-Oberschule - nichts habe geholfen. Im Arthur-Richter-Park werde weiter geböllert.

Erinnerungen vor Gericht nur bruchstückhaft

Auch an dem besagten Abend. Jenny H. kommt von einer Gassirunde zurück, auf der wieder Böller zu hören waren. Sie und ihr Mann fassen einen folgenschweren Entschluss. "Wir wollten das unterbinden. Diejenigen, die böllern, zur Rede stellen", sagt Denis H. Was genau er und seine mitangeklagte Frau im Stadtpark getan haben, daran haben beide nach eigenen Angaben nur bruchstückhafte Erinnerungen. Der 43-Jährige, der ein Alkoholproblem hat und regelmäßig Cannabis konsumiert, hat auch an dem Tag getrunken: vier bis fünf Flaschen Met auf einem Mittelalterfest, dazu wurde Cannabis geraucht. Etwa 1,5 Promille wurden ihm nach der Tat per Alkoholtest bescheinigt. Seine Frau Jenny, die ebenfalls ein Alkoholproblem zugibt, hatte etwa 0,7 Promille.

Auch sie kann oder will sich vor Gericht nicht an Details erinnern. Ihre Verteidigerin liest eine Erklärung für sie vor. Darin ist von schweren psychischen Problemen die Rede, konkret von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs. Seit 2019 sei sie in therapeutischer Behandlung, inklusive Suchtberatung. Der Alkoholkonsum am Tag der Tat und der Druck, den sie aufgrund der permanenten Böllerei ausgesetzt sei, seien der Auslöser gewesen, heißt es in der Erklärung. Ob sie selbst zugeschlagen hat mit dem Baseballschläger? Jenny geht davon aus, dass sie es nicht tat. Es seien vermutlich eher Fausthiebe gewesen. Genau könne sie es aber nicht sagen.

Das Ehepaar ging zudem davon aus, dass die Jugendlichen im Stadtpark Böller geworfen hatten. Vor allem, weil sie so schnell weggelaufen seien. "Wer wegläuft, hat Unsinn gemacht", davon seien sie überzeugt gewesen.

Angeklagter ist mehrfach vorbestraft

Nach dem Vorfall habe Denis H. eine Panikattacke erlitten und sich in eine stationäre psychologische Behandlung begeben. Wegen psychischer Auffälligkeiten sei der 43-Jährige schon zuvor in Behandlung gewesen. H. ist - im Gegensatz zu seiner Frau - zudem mehrfach vorbestraft. Sechs Einträge finden sich, darunter gefährliche Körperverletzung, Nötigung, vorsätzliche Körperverletzung, Bedrohung, versuchte schwere räuberische Erpressung. Der letzte Eintrag stammt von 2015.

Vor dem Jugendschöffengericht müssen sich Denis und Jenny H. nun wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Die Staatsanwaltschaft sieht in dem Vorfall eine besonders brutale und rohe Tat. Beide wollten aus niedrigen Beweggründen Selbstjustiz verüben. Das zeige, dass die Angeklagten keinen Respekt vor dem Rechtsstaat hätten. Es sei ein Wunder, dass das Opfer nicht schlimmer verletzt wurde. Die Verletzungen am Kopf hätten lebensbedrohlich sein können. Aus diesem Grund fordert die Staatsanwaltschaft für Denis H. eine Freiheitsstrafe über zwei Jahre und sechs Monate - ohne Bewährung. Jenny H. soll ebenfalls eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung bekommen - über zwei Jahre und vier Monate.

Staatsanwaltschaft fordert Gefängnisstrafe - für beide

Die Verteidigung versucht, eine drohende Haftstrafe abzuwenden. Denis H. habe sich nach seinen zahlreichen Jugendstrafen resozialisiert. Er habe sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. "Er war dabei, hat aber nicht zugeschlagen", argumentierte sein Anwalt. Eine Freiheitsstrafe würde ihn aus der Bahn werfen. Auch die Anwältin von Jenny H. verteidigte ihre Mandantin, die während der Verhandlung mehrfach in Tränen ausbrach. Sie schließt aus, dass Jenny H. mit dem Baseballschläger zugeschlagen hat. "Bei zehn Schlägen würde er nicht mehr aufstehen", sagte die Juristin.

Der vorsitzende Richter und seine zwei Schöffen, die das Jugendschöffengericht bildeten, folgten dieser Argumentation nicht. Sie berücksichtigten zwar das Teilgeständnis der Angeklagten und auch die Wiedergutmachung in Form von 5.000 Euro, die Jenny H. Opfer Tobias L. freiwillig zahlen wird. Die typischen zweistreifigen Rötungen am Körper des Opfers seien aber eindeutig Schlägen mit einem Baseballschläger zuzuordnen. Das Gericht spricht die Angeklagten am Ende der schweren gemeinschaftlichen Körperverletzung schuldig. Denis H. und Jenny H. werden - wie von der Staatsanwaltschaft gefordert - zu einer Freiheitsstrafe über zwei Jahre und sechs Monate beziehungsweise zwei Jahre und vier Monate verurteilt, jeweils ohne Bewährung. Gegen das Urteil kann noch Revision eingelegt werden.