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Zeiss Dresden sagt dem Energiehunger von Rechenzentren den Kampf an

Die digitale Welt braucht zu viel Energie. Internationale Teams haben in Dresden erste Software-Lösungen zur Reduzierung entwickelt. Besonders ein Trend schraubt den Strombedarf hoch.

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Am Programmier- und Denkmarathon in Dresden beteiligten sich Entwickler und Programmierer aus Deutschland, Estland, England und Indien.
Am Programmier- und Denkmarathon in Dresden beteiligten sich Entwickler und Programmierer aus Deutschland, Estland, England und Indien. © Zeiss Digital Innovation

Von Heiko Weckbrodt

Dresden. Künstliche Intelligenz (KI), Kryptowährungen, Streaming-Videodienste, der wachsende Bedarf an Cloud-Rechenzentren und andere Digitalisierungs-Trends haben eine ökologische Kehrseite, die Nutzer dieser schönen neuen digitalen Welten selten wahrnehmen: Mit ihnen steigt der Energieverbrauch der weltweit installierten Computer stark an. In Europa hat es zwischen innerhalb einer Dekade einen Zuwachs um über 55 Prozent gegeben: Verbrauchten die europäischen Rechenzentren im Jahr 2010 knapp 56 Terawattstunden (TWh) Energie, waren es zehn Jahre später bereits fast 87 TWh. Dies entspreche rund 2,7 Prozent des europäischen Strombedarfs, heißt es in einer Fraunhofer-Studie für das Bundeswirtschaftsministerium.

Allerdings dies ist nur der Anfang – und lediglich ein Ausschnitt. Denn weit mehr Rechenzentren als in Europa stehen in Nordamerika und Asien, vor allem aber ist eine Trendumkehr noch nicht mehr absehbar. Denn um beispielsweise Bitcoins elektronisch zu schürfen, schuften Tag und Nacht, 365 Tage im Jahr, private Rechnerfarmen in der Mongolei, in Kasachstan, China und anderen Ländern, gespeist oft mit Strom aus riesigen Kohlekraftwerken. Und was auch gern übersehen wird: Fragen wir ChatGPT nach einer Auskunft aus dem Internet, liegt der Stromverbrauch Schätzungen des niederländischen Datenökonomen Alex de Vries zufolge etwa 30 Mal so hoch wie bei einer schlichten Google-Abfrage. Und angesichts des weltweiten KI-Hypes wird künftig weit mehr Strom in das Anlernen und den Betrieb neuer Künstlicher Intelligenzen fließen.

Eine Stellschraube, um diese ernste ökologische „Nebenwirkung“ der Digitalisierung in den Griff zu bekommen, könnte die Software sein, die auf all diesen Computern läuft, davon sind die Experten der Dresdner Programmierschmiede „Zeiss Digital Innovation“ (ZDI) überzeugt. Die sächsischen Zeissianer haben daher unter dem Fokusthema „Nachhaltigkeit in der Softwareentwicklung“ einen sogenannten Thingkathon ausgerichtet. An diesem Programmier- und Denkmarathon in Dresden beteiligten sich ein Dutzend Entwickler, Programmierer und andere Kreative aus Deutschland, Estland, England und Indien. In spontan zusammengewürfelten Teams entwickelten sie binnen drei Tagen erste Lösungsansätze für sparsame und nachhaltige Computerprogramme. Der Tenor der Siegerentwürfe: Um den Energieverbrauch von Software im laufenden Betrieb, aber auch schon während der Genese zu dämpfen, muss man diesen Verbrauch erst mal messen können. Und ein weiterer Befund der interkulturellen Tüftler: Nicht alles, was deutsche Ingenieurskunst an ausfallsichere Technik zu schaffen vermag, ist auch unbedingt ökologisch effizient.

Neue Perspektiven durch interkulturellen Blick von außen

Regelrecht fasziniert von den gefundenen Lösungen war hinterher Zeissianer Hendrik Lösch, der die Herausforderungen an die Thingkathoner mit formuliert hatte: „Wir haben ganz wunderbare und auch anwendbare Resultate aus diesem Wettbewerb mitgenommen, von denen wir einige auch bei uns weiterverfolgen wollen“, sagt er. Die Arbeitsatmosphäre sei großartig gewesen und es habe sich wieder einmal gezeigt, welch neue Perspektiven sich plötzlich durch den interdisziplinären und interkulturellen Blick von außen eröffnen können.

Denn archetypisch für viele andere dezentrale, vernetzte Elektronikgeräte mit Software an Bord, wie sie eben auch Zeiss konstruiert, hatte ZDI für den Wettbewerb ein Szenario gewählt, dass in deutschen Drogeriemärkten wie „dm“ typisch ist: Photo-Annahmestationen, in die Kunden per Handy, Speicherstift oder auf anderen Wegen ihre Bilder eingeben, um sie dann ausdrucken zu lassen. Die Software dafür ist teils auf den Geräten, teils in den per Internet verbundenen Cloud-Rechenzentren installiert und kümmert sich unter anderem auch um die Verteilung der Aufträge und Rücklieferung der gefüllten Phototaschen. Die Teams im Thingkathon sollten nun binnen drei Tagen Ansätze finden, wie sich der Strom- und generelle Ressourcenverbrauch der Stationen softwareseitig drücken lässt – im laufenden Betrieb, aber auch schon während der Programmierung.

Wie sich indes bald herausstellte, kannten viele der internationalen Wettbewerbs-Teilnehmer solche Photostationen aus ihren Ländern gar nicht, mussten sich das erst mal in einem Drogeriemarkt anschauen. Wohl vor allem durch diesen unvoreingenommenen Blick schlug das estnische Team „Pro Expert“ den Deutschen vor, die Stationen so umzuprogrammieren, dass sie sich bei sinkenden Kundenandrang nach und nach abschalten – und umgekehrt nur dann ein Gerät diesen Energiedämmer verlässt, wenn das jeweils letzte freie Gerät gerade von einem Nutzer belegt worden ist. „Auf die Idee muss man eben auch erst mal kommen“, meinten hinterher Hendrik Lösch wie auch Danny Städter vom „Smart Systems Hub Dresden“, der den Denkmarathon mit organisiert hatte. Zwar baut Zeiss keine Photostationen und braucht solche Sparkonzepte eher für augenärztliche Geräte oder andere Medizintechnik. Dennoch überlegen die Organisatoren nun, diese konkrete Idee der Esten direkt einmal an „dm“ weiterzuleiten.

Den 1. Platz errangen allerdings letztlich die „Carbon Cutters“ - frei übersetzt: die CO2-Schneider. In diesem Team hatten sich drei Studenten der HTW und der TU Dresden sowie Rico Pommerenke vom Dresdner Softwarehaus „Otto Group Solution Provider“ (OSP) zusammengetan und sich auf die Frage konzentriert, wie sich sparsame Software und Softwareentwicklung überhaupt quantifizieren lässt. Sie ersannen daher ein Messsystem für den Energieverbrauch der Photostationen und anderer programmierbarer Systeme. Beispielhaft zeigten sie dann, wie sich damit der Stromverbrauch verschiedener Software-Versionen miteinander vergleichen lässt, solange, bis die optimale Programmvariante gefunden ist.

Die „Carbon Cutters“ - frei übersetzt: die CO2-Schneider - haben den Wettbewerb zu den "dm"-Photostationen gewonnen.
Die „Carbon Cutters“ - frei übersetzt: die CO2-Schneider - haben den Wettbewerb zu den "dm"-Photostationen gewonnen. © Zeiss Digital Innovation

„Bei uns in der OSP steht das Thema nachhaltiges Programmieren längst auf der Agenda“, erzählt Rico Pommerenke. „Deshalb hat mich dieser Thingkathon auch sofort interessiert.“ Und sei so gekommen, wie er es sich erhofft hatte: „Ich habe vom gemeinsamen Brainstorming mit den anderen ganz viele Ideen für meine Arbeit mitgenommen. Manchmal hat mir richtig der Kopf gebrummt vor lauter Ideen. Vielleicht machen wir so einen Hackathon auch mal intern in unserem Unternehmen.“

Die Dresdner Otto-Tochter wie auch ZDI sind im Übrigen nicht die ersten und einzigen Unternehmen, in denen die Themen „Software“ und „Ressourcenverbrauch“ zunehmend gemeinsam gedacht werden: Angesichts hoher Energiepreise suchen immer mehr Betriebe nach Wegen, um auch den Stromhunger ihrer informationstechnologischen Infrastrukturen zu bändigen. Hinzu kommen wachsende Nachhaltigkeits-Berichtspflichten für die Wirtschaft. „In der Vergangenheit hatten viele diesem Thema zu wenig Beachtung geschenkt“, schätzt Hendrik Lösch ein. „Gerade Softwareunternehmen beschäftigt dieses Herausforderung aber früher als andere.“ Ein Grund: Schon heute fragen die Kunden in den Software-Häusern nach, wie sie mit den gelieferten Programmen morgen ihre Berichtspflichten und ökologischen Ziele erfüllen können. Von daher sollte der Dresdner Thingkathon dafür einerseits erste Lösungsansätze prototypisch liefern, anderseits aber auch einen Paradigmen-Wechsel in der Programmier-Gemeinde anstoßen: „Die Idee ist, die Leute dafür zu sensibilisieren, schon bei der Software-Entwicklung den Ressourcenverbrauch mitzudenken“, erklärt Danny Städter.

Thema beschäftigt Forscher aus Sachsen schon länger

Dabei beschäftigt die Sorge vor einem regelrecht explodierendem Energiebedarf der schönen neuen Digitalwelt, in die sich unsere Gesellschaft peu à peu transformiert, nicht erst seit gestern die Experten – gerade auch am Mikroelektronik-Standort Dresden: Schon ab 2008 knöpfte sich das sächsische Spitzencluster „Cool Silicon“ den Energieverbrauch moderner Computerchips systematisch vor. Und Prof. Gerhard Fettweis, der diesen Verbund zeitweise geleitet hatte, erinnert sich noch gut: „Bereits vor 20 Jahren hatte ich eine Promotion betreut, in der wir versuchten, einen ,energie-effizienten Compiler’ zu bauen.“ Zur Erklärung: Solche „Compiler“ sind eine Art Dolmetscher zwischen den Programmzeilen, die der Mensch entwirft, und der Maschinensprache, die ein Computerchip versteht. In dieser Doktorarbeit untersuchte Dr. Attila Römer, der spätere Chef der Dresdner Ortungstechnik-Firma „Metirionic“, wieviel Energie jede Programmzeile, jede Instruktion, verzehrt – und wie stark dieser Hunger vom vorherigem Programmablauf abhängt. In Zeiten von extrem ressourcenhungrigen Digitaltechnologien wie Bitcoin und KI-Training gewinne dieses alte Thema nun eine ganz neue Bedeutung.

Wieviel Strom sich nun beispielsweise durch optimierte Software und Software-Entwicklung einsparen lässt, ist allerdings immer noch nicht glasklar ermittelt. Branchen-Experten schätzen aber, dass sich dadurch der Energieverbrauch und letztlich auch der Kohlendioxid-Ausstoß um zehn bis 15 Prozent senken lässt – allein für Deutschland gerechnet entspräche das der Jahres-Energieproduktion eines kompletten Kernkraftwerkes. Gelänge es, zu nachhaltiger Software zu gelangen, dann sei das nicht nur ein gewisser Kostenvorteil für den jeweiligen Betrieb, sondern habe auch eine wichtige ökologische Dimension, meint Rico Pommerenke von OSP: Die informationstechnologische Branche habe „nicht unerheblichen Einfluss“ auf die weltweiten Treibhausgas-Bilanzen und biete von daher „eine Chance dem Klimawandel entgegenzuwirken. Besonders, weil unser Code und unsere Infrastruktur oft nicht optimal sind: Laut Intel sind ineffiziente Infrastrukturen und Software für über 50 Prozent der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren verantwortlich.“