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Weshalb Mittelsachsen pro Jahr 240 neue Wohnungen bauen müsste

Mit diesen sollen abgewohnte Wohnungen in alten Häusern ersetzt werden. Knapp 19.000 Wohnungen werden derzeit im Landkreis nicht genutzt. Scharfe Kritik richtet sich an den Bund.

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Beim Bau von Einfamilienhäusern halten sich die Menschen zurück. In Mehrfamilienhäusern stehen viele Wohnungen leer. Manch eine kann aufgrund ihres Zustandes gar nicht mehr vermietet werden.
Beim Bau von Einfamilienhäusern halten sich die Menschen zurück. In Mehrfamilienhäusern stehen viele Wohnungen leer. Manch eine kann aufgrund ihres Zustandes gar nicht mehr vermietet werden. © Dietmar Thomas

Mittelsachsen. Es muss gebaut werden: Bis 2028 braucht der Landkreis Mittelsachsen den Neubau von rund 240 Wohnungen – und zwar pro Jahr. Diese Wohnungsbau-Prognose für die kommenden vier Jahre hat das Pestel-Institut in einer aktuellen Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt ermittelt.

„Es führt kein Weg daran vorbei: Im Kreis Mittelsachsen müssen Wohnungen neu gebaut werden. Schon allein, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt“, sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut.

Der Wissenschaftler erwartet allerdings, dass das Baupensum zurückgeht: Günther spricht von einem „lahmenden Wohnungsneubau, dem mehr und mehr die Luft ausgeht“. So gab es in den ersten fünf Monaten dieses Jahres im ganzen Kreis Mittelsachsen lediglich für 73 neue Wohnungen eine Baugenehmigung.

Zum Vergleich: In 2023 waren es im gleichen Zeitraum immerhin noch 213 Baugenehmigungen. „Damit ist die Bereitschaft, in Mittelsachsen neuen Wohnraum zu schaffen, innerhalb von nur einem Jahr um 66 Prozent zurückgegangen“, so Günther.

Am Wohnungsbedarf im Landkreis ändere auch die Zahl leerstehender Wohnungen nichts: Der aktuelle Zensus registriert für Mittelsachsen immerhin rund 18.830 Wohnungen, die nicht genutzt werden. Das seien 10,9 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand im Landkreis.

Ein Großteil davon – nämlich rund 12.520 Wohnungen – stehe jedoch schon seit einem Jahr oder länger leer. „Das sind immerhin rund 66 Prozent vom Leerstand. Dabei geht es allerdings oft um Wohnungen, die auch keiner mehr bewohnen kann. Sie müssten vorher komplett – also aufwendig und damit teuer – saniert werden“, sagt Matthias Günther.

Hauseigentümer verunsichert

Grundsätzlich sei ein gewisser Wohnungsleerstand aber immer auch notwendig. „Rund drei Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Schon allein, um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt machen zu können“, sagt Günther.

Aber es werde nur selten gelingen, Wohnungen, die lange leer stehen, wieder zu aktivieren und auf den Markt zu bringen.

Denn viele Hauseigentümer hielten sich mit einer Sanierung zurück: „In ihren Augen ist sie oft auch ein Wagnis. Die Eigentümer sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften – zum Beispiel bei Klimaschutz-Auflagen – wann kommen. Es fehlt einfach die politische Verlässlichkeit. Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben“, kritisiert der Leiter des Pestel-Instituts. Außerdem hapere es bei vielen am nötigen Geld.

Streit aus dem Weg gehen

Weitere Gründe, warum leerstehende Wohnungen nicht vermietet werden, seien Erbstreitigkeiten, durch die kein Mietvertrag zustande kommt. Oft scheuten sich Hauseigentümer auch, sich einen Mieter ins eigene Haus zu holen, mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen.

Für Matthias Günther steht deshalb fest: „Am Neubau von Wohnungen führt daher auch im Kreis Mittelsachsen kein Weg vorbei.“

Das Pestel-Institut hat die Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) durchgeführt.

Für dessen Präsidentin macht die Untersuchung eines deutlich: „Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leerstehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht. Politiker, die das gerade versuchen, betreiben Augenwischerei.“

Sie erteilt damit der Aufforderung von Klara Geywitz (SPD) eine klare Absage. Die Bundesbauministerin hatte zuletzt den Menschen, die eine Wohnung suchen, geraten, aufs Land zu ziehen.

Abspecken der Vorgaben nötig

Für die Verbandschefin steht fest: „Der Wohnungsbau ist auch im Kreis Mittelsachsen das Bohren dicker Bretter.“ Um voranzukommen, fordert Metzger, die Baustandards zu senken: „Einfacher bauen – und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr.“ Es müsse ein „starkes Abspecken“ bei Normen und Auflagen geben – im Bund, bei den Ländern und Kommunen.

Katharina Metzger warnt: „Am Ende stoppen überzogene Förderkriterien, Normen und Auflagen den Neubau von Wohnungen – von hoch geschraubten Klimaschutzmaßnahmen, ohne die es keine Förderung gibt, bis zu Stellplätzen, ohne die erst gar nicht gebaut werden darf.“

Scharfe Kritik richtet Metzger an den Bund: „Es passiert zu wenig. Und was jetzt passiert, kommt zu spät. Wer 400.000 Neubauwohnungen – darunter 100.000 neu gebaute Sozialwohnungen – im Wahlkampf verspricht und im Koalitionsvertrag festschreibt, darf nicht erst ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl wach werden.“ Ohne eine stärkere staatliche Unterstützung würden weder der notwendige Neubau noch die Sanierungen von Wohnungen im erforderlichen Umfang gelingen.

Außerdem kritisiert Metzger gemeinsam mit den Wissenschaftlern vom Pestel-Institut den geplanten Bundeshaushalt für 2025: Darin fehlten dringend notwendige Fördermittel für den Wohnungsneubau – allen voran für den sozialen Wohnungsbau. Der benötigt nach Berechnungen des Pestel-Instituts mindestens 12 Milliarden Euro pro Jahr von Bund und Ländern. Der Bund stelle für 2025 jedoch lediglich 3,5 Milliarden Euro bereit.

Neubau-Zahlen gehen in den Keller

Aktuell erlebe die Wohnungsbau-Branche „einen regelrechten Absturz“. Viele Unternehmen hätten bereits Kapazitäten abbauen müssen. „Die Neubau-Zahlen gehen in den Keller. Mauerstein-Hersteller zum Beispiel schließen Werke.

Die Entlassungswelle rollt: Der Bau verliert Beschäftigte – darunter gute Fachkräfte. Dabei ist das das Letzte, was sich Deutschland jetzt erlauben darf“, so Katharina Metzger.

Die Verbandspräsidentin des Baustoff-Fachhandels warnt gemeinsam mit dem Pestel-Institut vor einer „Absturz-Spirale beim Wohnungsneubau“. Die Situation sei fatal: „Wohnungsnot trifft auf Nicht-Wohnungsbau.

Diese toxische Entwicklung muss dringend gestoppt werden.“ Denn Wohnungsmangel schaffe soziale Spannungen. „Wenn sich Menschen wochen- und monatelang um eine neue Wohnung kümmern müssen, dann braut sich da etwas zusammen. Das ist Gift für das soziale Miteinander in der Gesellschaft“, so Katharina Metzger.