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Pestalozzi-Oberschule: Konflikte sind Teil des Schulalltags

An der Pestalozzi-Oberschule in Meißen kommt eine Schulsozialarbeiterin auf über 500 Schüler. Reicht das heutzutage noch?

Von Andre Schramm
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André Pohlenz, Schulleiter der Pestalozzi-Oberschule. Er unterrichtet jede fünfte Klasse, um die Neuen kennenzulernen.
André Pohlenz, Schulleiter der Pestalozzi-Oberschule. Er unterrichtet jede fünfte Klasse, um die Neuen kennenzulernen. © Claudia Hübschmann

Meißen. Mittwochmorgen, 10 Uhr. Schulleiter André Pohlenz steht im Flur der ersten Etage vor dem verschlossenen Sekretariat. Er hat eigentlich keine Zeit, nimmt sie sich aber trotzdem für ein Gespräch. Eine Sekretärin ist krank, die andere schwanger, der Ersatz in vier Wochen da. Hoffentlich.

Morgens gibt es in der Pesta eine einstudierte Prozedur: den Anwesenheits-Check. Der funktioniert mittlerweile semidigital. Eltern sind angehalten, ihre Schützlinge bis 8 Uhr abzumelden - entweder über den Schulmanager (digital) oder das Telefon. Klappt das? Pohlenz schüttelt den Kopf. Der Lehrer im Klassenzimmer prüft dann per Laptop den gemeldeten Soll- und den tatsächlichen Ist-Zustand. Gibt's eine Diskrepanz, geht im Sekretariat ein Lämpchen an. Das entscheidende Signal, um bei den Eltern anzurufen. Das alles muss möglichst zeitnah erfolgen. Auch später am Tag wird so was gemacht. "Könnte ja sein, dass jemand nach der dritten Stunde heimlich die Biege macht", meint Pohlenz.

Nach der Prügelattacke vor ein paar Wochen, die am Ende keine war, tauchten ein paar Fragen auf: Hat Gewalt an Schulen zugenommen? Ist die Pesta jetzt eine Problemschule? Wie sieht das Konfliktmanagement aus? Kann man Störenfriede nicht einfach von der Schule schmeißen?

"Dass es Konflikte gibt, ist ganz normal. Die gibt es an jeder Schule", sagt Pohlenz. Dass eine bestimmte Klientel besonders häufig auffällig sei, könne er aber nicht bestätigen. "Wir haben sowohl Schüler aus gutbürgerlichem Hause, als auch Jungs und Mädchen aus schwierigen sozialen Verhältnissen, die aus der Reihe tanzen. Fehlverhalten legen Schüler mit und ohne Migrationshintergrund an den Tag. Ein Muster lässt sich beim besten Willen nicht erkennen", versichert er. Ist ein Schüler mit Migrationshintergrund involviert, dann ist die Klärung aber manchmal schwieriger. "Wir haben dann häufig mit sprachlichen Barrieren beim Elternhaus zu tun", meint Pohlenz. In diesen Situationen hilft die Diakonie aus.

Heiße Phase bis zu den Herbstferien

Das Schülerportfolio an der Pesta ist wahnsinnig breit gefächert. "Wir haben da beispielsweise das Mäuschen aus der ländlichen Grundschule in Zadel, das bei uns nun auf den durchsetzungsstarken Jungen von der Johannesschule trifft. Kids vom Mücke-Ring haben plötzlich mit Jungs und Mädchen aus Spaar zu tun. Na klar gibt es da Reibereien. Am Anfang der Fünften wird ausgemacht, wer cool ist, wer was zu sagen hat, und wie weit man beim Mitschüler gehen kann. Der Status definiert sich nicht nur über Klamotten oder Markenschuhe, sondern eben auch über Verhalten. Das ist aber jedes Jahr so – bis zu den Herbstferien", sagt Pohlenz.

In der Oberschule hat man schon vor Jahren darauf reagiert, Projektwochen an den Anfang der fünften Klasse gelegt, um den Klassenverband zu stärken. Man könnte das auch teambildende Maßnahmen nennen. "Früher ist man ins Landheim gefahren, und hatte vielleicht noch einen Wandertag im ganzen Schuljahr. Heute müssen wir uns fast vierteljährlich etwas einfallen lassen, und da rede ich nicht vom trockenen Museumsbesuch. Die Unternehmung muss möglichst alle mitnehmen", sagt Pohlenz.

Irgendwann ist das Konto voll

Gibt es körperliche Auseinandersetzungen, sind die Lehrkräfte angehalten, diese zu beenden. Die Schule hat eine Reihe von Möglichkeiten, auf Fehlverhalten zu reagieren. Zunächst steht das Gespräch mit Schüler, Lehrer und Eltern auf dem Plan. Daneben gibt es Wiedergutmachungsstunden. "Vermüllt jemand das Schulhaus, dann kehrt er eben den Hof. Ist jemand der Meinung, er muss die Toiletten verstopfen, hilft er dem Hausmeister frühmorgens beim Bestücken der Toilettenpapierrollen. Wir achten darauf, dass die Maßnahmen verhältnismäßig sind, und was vorher schon gelaufen ist", meint Pohlenz. Das Strafen-Repertoire verfügt u.a. über den Klassenlehrerverweis und den Ausschluss von Veranstaltungen.

Fruchtet alles nichts, gibt es irgendwann den Schulverweis. Im letzten Schuljahr musste dieser dreimal ausgesprochen werden. So war eine DaZ-Schülerin gegenüber der Lehrerin gewalttätig geworden. Ein anderer hatte ein Messer dabei. "Das sind Einzelfälle, die sich nicht gänzlich verhindern lassen", sagt Pohlenz. Pro Jahr gäbe es auch etwa drei bis fünf anlassbezogene Rucksackkontrollen. Meistens geht's ums Rauchen (ab 18 Jahren erst erlaubt).

Der Pesta-Schulleiter greift nach eigenen Angaben nur ungern zum äußersten Mittel: dem Schulverweis. "Das Problem wird ja im Grunde nur an eine andere Schule verlagert", sagt er. Beim Thema "Drogen" versteht er keinen Spaß. Als ein Schüler einen Grinder (Kiffer-Utensil) mit in die Schule brachte, reichte das schon. "Dann gibt es Fälle, da ist irgendwann das Konto auch voll", sagt er. Angekommen bei der Schulsozialarbeit.

"Ein wichtiger Part sind präventive Maßnahmen. Unsere Schulsozialarbeiterin holt beispielsweise Fachleute zu verschiedenen Themen, wie Mobbing, Drogen, Sexualität, in die Schule", erklärt der Schulleiter. Nicht minder wichtig: Sie führt pro Schuljahr Hunderte Gespräche mit Schülerinnen und Schülern, die Probleme haben. "Es gibt Dinge, die junge Menschen nicht mit ihrem Lehrer besprechen wollen, beispielsweise, wenn sie ein Problem mit ihm haben. Das gilt auch für Differenzen mit Mitschülern. Dort haben sie einen geschützten Raum, und jemanden, der ihnen hilft. Der oder die Betroffene entscheidet stets selbst, wer in die Klärung mit einbezogen wird", sagt Pohlenz.

Trennung im Elternhaus

Zwei Themen, so sagt er, hätten in dem Kontext, an Bedeutung gewonnen. "Die eigene Sexualität, und Trennung im Elternhaus. Meine Wahrnehmung ist, dass Letzteres leider viel zu oft auf dem Rücken der Kinder geschieht, und offenbar auch häufiger als früher", meint der Schulleiter. Er betont, dass Lehrer diesen wichtigen Job des Sozialarbeiters einfach nicht leisten könnten. "Zum einen sind sie dafür nicht ausgebildet, zum anderen fehlt ihnen die Zeit dafür", so Pohlenz.

Im letzten Schuljahr hatte die Pesta noch zwei dieser Stellen à 30 Stunden. Sie werden vom Landkreis verteilt und finanziert. Angestellt sind die Schulsozialarbeiter über einen Träger. Eine Stelle bei 500 Schülern, zwei DaZ-Klassen, 30 Schülern im Produktiven Lernen und immer mehr Lernende mit Förderbedarf klingt in der Tat nicht viel. "Eine ist besser als keine. Genau genommen bräuchten wir allein schon fürs Produktive Lernen eine ganze Stelle. Der Rucksack, den diese Schüler tragen, ist sehr voll", meint der Schulleiter. Immerhin: Man hat bisher alle PL-Teilnehmer zum Abschluss geführt.

Für die Jungs und Mädchen mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ oder „sozial-emotional“ bräuchte die Schule ebenfalls Personal. Man hat sich mit studentischen Honorarkräften beholfen und gute Erfahrungen gemacht. Sie unterstützen Schüler beispielsweise in Sachen Ordnung oder erinnern sie daran mitzuschreiben – tag- oder stundenweise. "Die Begleitung ist nicht fachspezifisch und wird gut bezahlt. Nur ein Führungszeugnis wird von behördlicher Seite benötigt. Interessenten können sich jederzeit bei uns melden", sagt Pohlenz.

In Summe spricht der Schulleiter nicht von einer Zunahme der Gewalt, eher von einer Verlagerung. "Ins Digitale. Heutzutage werden extra Whatsapp-Gruppen aufgemacht, nur um einen Mitschüler zu dissen, der nicht in der Gruppe ist. Die, ich nenne es mal vorsichtig Selbstregulierung, die wir aus unserer Schulzeit vielleicht noch kennen, gibt es so nicht mehr", sagt er. Auch das Sozialverhalten habe sich grundlegend geändert.

Meißens Bürgermeister Markus Renner hat schon Gespräche geführt in Sachen "Schulsozialarbeit". Er plädiert dafür, Schulsozialarbeiter nach Bedarf einzusetzen. "Wir haben es in Meißen mit anderen sozialen Strukturen zu tun als beispielsweise in Radebeul. Darauf muss man bei der Verteilung der Stellen einfach Rücksicht nehmen", erklärt er.