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Meißen

Wahlforum Meißen: "Neue Atomreaktoren sind auch für Sachsen eine Option"

Das Wahlforum in Meißen fand ohne CDU und AfD statt. Überraschende Bekenntnisse gab es trotzdem und eine Debatte, ob Schulessen kostenlos sein sollte.

Von Ines Mallek-Klein
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Die Besucher des Wahlforums konnten mit abstimmen, beispielsweise, wie sicher sie sich in ihrer Gemeinde fühlen.
Die Besucher des Wahlforums konnten mit abstimmen, beispielsweise, wie sicher sie sich in ihrer Gemeinde fühlen. © Ines Mallek-Klein

Meißen. Es ist voll an diesem Mittwochabend auf dem Meißner Marktplatz. An kaum einem Tisch von Ratskeller bis Brauhaus ist noch ein Platz frei. Die Gäste hier werden nicht nur kulinarisch versorgt, sie werden ganz nebenbei auch noch Augenzeuge eines politischen Diskurses in mehreren Akten. Anlass ist ein Wahlforum, organisiert von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, das im Vorfeld der Landtagswahlen am 1. September in Meißen und an 59 anderen Orten des Freistaates stattfindet. Wer auf das Podium darf, entscheiden die Organisatoren der Landeszentrale, die Parteien den Vorzug geben, die bereits Mandate im aktuellen Landtag innehaben oder laut Umfragen gute Chancen haben werden, ab Herbst 2024 ein Mandat zu erringen. Die Freien Wähler gehören nach der Lesart nicht dazu und das ärgert Andre Langerfeld. Er ist Direktkandidat im Wahlkreis 38 für Meißen, Klipphausen, Nossen, Niederau und Weinböhla.

Langerfeld liegt im Streit mit der Landeszentrale und das nicht erst seit jetzt. 2019 strengte die Wählervereinigung eine Klage an, forderte ihre Beteiligung, was vom Dresdner Verwaltungsgericht allerdings abgewiesen wurde. Diesmal zog Langerfeld nicht vor Gericht, sondern mit orangefarbenem Sonnenschirm vor das Meißner Rathaus. Die Partei mit ihren sachsenweit 120 Mitgliedern möge klein erscheinen, die dahinter stehenden Vereine hätten aber mehrere Tausend Mitglieder, stellen mittlerweile neun Bürgermeister und sind in sechs der zehn sächsischen Kreistage drittstärkste politische Kraft, vor der SPD und der FDP. "Man kann uns nicht wegdiskutieren", so Langerfeld und der Landesvorsitzende Thomas Weidinger ist sicher "Wir werden den Einzug in den sächsischen Landtag schaffen".

Gut eine Stunde nimmt sich Langerfeld Zeit, um mit potenziellen Wählern ins Gespräch zu kommen, dann baut er ab. Vor dem Schmuckladen haben drei Streifenwagen Stellung bezogen. Sie sind aber nicht wegen der Freien Wähler da, sondern wegen der Freien Sachsen. Auch ihnen wurde kein Platz im Podium angeboten, was die Rechtsextremen dazu veranlasste, Gegendemos anzukündigen. Ihre Vorhut sind drei älter Damen, eine davon im schönen grasgrünen Sommerkleid mit großem Strohhut. Sie seien "Omas gegen links und für Frieden", wie sie selbst sagen. Auf den Pappschildern werben sie mit dem Versprechen, dass mit ihnen der Wechsel im Land gelinge und reaktivieren den Wendespruch "Wir sind das Volk". Wir, so versichern sie, machen das hier für unsere Enkel, während nebenan der Direktkandidat Peter Schreiber aus Strehla die mangelnde Pressefreiheit im Land beklagt. Eine echte Gefahr geht von diesen Kundgebungsteilnehmern nicht aus, weshalb auch die Polizei bald zwei ihrer Streifenwagen wieder abzieht.

Unterdessen formieren sich die fünf Podiumsteilnehmer und zwei Moderatoren im Ratssaal. Es ist heiß, trotz der geöffneten Fenster. Und jeder der knapp 70 Besucher muss, bevor er auf seinem Stuhl Platz nehmen kann, seine Tasche kontrollieren lassen. Die Sorge vor Übergriffen scheint groß, was auch die Präsenz von drei Security-Mitarbeitern im Saal erklärt. Dort fehlen die beiden Vertreter der Fraktionen, die bei der letzten Wahl die meisten Stimmen auf sich vereinen konnten. Daniela Kuge (CDU) zog es vor, sich mit Ministerpräsident Michael Kretschmer und einigen Bikern auf der Freilichtbühne Gellertberg zu einem Picknick zu treffen und Thomas Kirste (AfD) hatte eine eigene Wahlkampfveranstaltung im Groitzscher Hof in Klipphausen anberaumt.

Und so waren Linke, FDP, Grüne, BSW und SPD unter sich. Kontroversen gab es kaum, allenfalls um die Verwendung der Steuergelder. Während Stefan Hartmann von den Linken für kostenloses Schulessen warb, was bei 540.000 Schülern in ganz Sachsen Ausgaben von rund 700 Millionen Euro bedeuten würde, warb Martin Bahrmann (FDP) für die schwarze Null und den sorgsamen Umgang mit den Staatsfinanzen. Hartmann konterte, das Geld sei da. Sachsen zahle jedes Jahr eine Milliarde Euro in einen Beamtenfonds ein, der möglicherweise nie benötigt werde.

Doch nicht nur das Essen in der Schule war Thema, auch die Bildung selbst. Lutz Thieme, ein Unternehmer der für den BSW kandidiert, sieht hier großen Nachholebedarf, Frank Richter (SPD) plädierte dafür, die Aus- und Weiterbildung von Migranten zu verbessern, auch um das Arbeitskräfteproblem zu lösen und Heiko Reinhold (Grüne) ist der Ansicht, dass Schule ihre Inhalte lebenspraktischer vermitteln müsse.

Konkrete Themen aus Meißen und dem Umland kamen kaum zur Sprache, dafür aber die Energieversorgung. Die soll für Unternehmen und Privatleute bezahlbar sein, aber auch nachhaltig. Dass der Kohleausstieg in Sachsen vor 2038 kommen wird, mutmaßten die Vertreter aller Parteien - wenn auch nicht ideologische, sondern mutmaßlich marktwirtschaftliche Gründe dazu führen werden. Martin Bahrmann (FDP) hatte dann auch gleich einen Vorschlag, woher der Strom kommen kann, wenn mal kein Wind weht und keine Sonne scheint. "Neue Atomreaktoren sind auch für Sachsen eine Option", so Bahrmann. Da wurde es zum ersten und einzigen Mal laut im Saal - und es war kein Applaus.