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Leben in Angst: Eine Mutter droht ihre Kinder bei der Abschiebung aus Meißen zu verlieren

Sie kommen aus Georgien und sind ausreisepflichtig. Doch wenn Teona Margoshvili gehen muss, kommen ihre Töchter zu ihrem geschiedenen Mann, einem konservativen Moslem.

Von Ines Mallek-Klein
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Teona Margoshvili hat Angst vor der Abschiebung. Sie würde nicht nur ihre neue Heimat Meißen, sondern auch ihre drei Töchter Lina, Elina und Laina (v.l.n.r.) verlieren.
Teona Margoshvili hat Angst vor der Abschiebung. Sie würde nicht nur ihre neue Heimat Meißen, sondern auch ihre drei Töchter Lina, Elina und Laina (v.l.n.r.) verlieren. © Claudia Hübschmann

Meißen. Nachts ist es immer am schlimmsten. Wann immer vor dem Mehrfamilienhaus im Meißner Triebischtal ein Auto hält und die Türen ins Schloss fallen, springt Teona Margoshvili aus dem Bett und schaut aus dem Fenster. Im Hinterkopf die bange Frage: Kommen Sie uns jetzt holen?

Ihren Mann haben sie schon geholt. Das war am 27. April 2023. Er war ins Landratsamt einbestellt, wurde dort verhaftet und in das Gefängnis nach Dresden gebracht. "Wir haben zwei Tage lang nichts von ihm gehört, weil er nicht telefonieren durfte, wussten nicht, wo er war", sagt die junge Mutter. Sie ahnte schon das Schlimmste, und es kam genau so. Am 4. Mai hob der Flieger mit ihrem Mann in Richtung Georgien ab. Das Land, das einst zur Sowjetunion gehörte, gilt als sicherer Herkunftsstaat, eine Abschiebung ist damit rechtlich legitimiert. Aber ist sie auch human?

30 Minuten, um zu packen

Teona Margoshvili lebte mit ihrem Mann in Georgien, hat ihn dort kennen- und lieben gelernt. Beide haben tschetschenische Wurzeln, und das machte sie auch in Georgien zu Fremden, die noch dazu unter dem ständigen Verdacht standen, kriminell zu sein. Es gab immer wieder Ärger mit den Behörden. Da entscheid sich die junge Familie, mit ihrer damals zweijährigen Tochter zu fliehen. Das war 2014.

Sie kamen nach Meißen, fest entschlossen, hier sesshaft zu werden, eine Arbeit zu finden und den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Doch der Asylantrag wurde abgelehnt, es gäbe keinen Grund für ein Schutzersuchen in Deutschland.

Die Abschiebung fand schließlich 2019 statt. Polizisten kamen mitten in der Nacht. Elf Männer für zwei Erwachsene und drei kleine Mädchen. Elina, heute sieben und stolze Abc-Schützin der St. Afra-Grundschule, war damals zwei. Sie hat keine Erinnerungen an die Stunden im Bus, das quälende Warten auf dem Flughafen und die Rückreise im Flieger. Ihre Mutter schon. "Sie war krank, hatte Durchfall und bekam über Stunden nichts zu essen, nichts zu trinken", sagt Teona Margoshvili.

Der Familie blieben ganze 30 Minuten, das Nötigste zu packen. Finanziell waren sie nahezu mittellos. Die bescheidenen Reserven lagen auf einem Konto der Sparkasse Meißen, an das sie nach der Abschiebung nicht mehr herankamen.

"Ich habe mich als Frau allein sehr unwohl gefühlt"

Schnell war klar, sie werden es noch einmal versuchen nach Deutschland zu kommen. Auch weil sich die politische Lage in Georgien verändert, Russland immer größeren Einfluss nimmt. "Ich möchte, dass meine Mädchen in Freiheit aufwachsen", sagt Teona Margoshvili. Sie selbst ist muslimischen Glaubens, genau wie ihr Mann, der sei deutlich konservativer, da habe es auch immer wieder Streit gegeben.

Und trotzdem ist die fünfköpfige Familie 2022 ein zweites Mal gen Deutschland aufgebrochen, über die Türkei. Dort lebte die junge Mutter mit ihren Kindern zeitweise allein, weil ihr Mann in Polen einen Job gefunden hatte. "Ich habe mich da als Frau allein sehr unwohl gefühlt", sagt die junge Mutter. Also kam ihr Mann wieder in die Türkei, und gemeinsam startete man mit dem Flixbus Richtung Deutschland.

Erste Adresse in Sachsen war Chemnitz, von dort wurde die Familie wieder Meißen zugewiesen. Es folgten ein neuer Asylantrag und eine neue Ablehnung. Familie Margoshvili ging in Berufung, aber auch die wurde abgewiesen. Blieb noch der Antrag bei der Härtefallkommission, aber auch der brachte keinen Erfolg.

Seitdem gibt es keine Nacht mehr ohne Angst. Doch die Lage hat sich noch verschärft, nicht nur wegen der aktuellen politischen Debatte in Deutschland darüber, dass mehr Geflüchtete in kürzerer Zeit abgeschoben werden sollen. Teonas Mann, seit mehr als einem Jahr wieder in Georgien, hat die Scheidung eingereicht, die mittlerweile rechtskräftig ist.

In Tiflis Jura studiert

Warum er sich trennte? Teona Margoshvili konnte das nie so richtig mit ihm klären. Heute ist der Gesprächsfaden zwischen den beiden gänzlich abgerissen, so groß die Enttäuschung und Wut. Nur die Töchter, die telefonieren alle 14 Tage mit ihrem Vater. Der hat nach georgischem Recht Anspruch auf seine Kinder, die auch seinen Familiennamen tragen. Für Teona Margoshvili würde also die Abschiebung nicht nur eine Rückkehr nach Georgien mit ungewisser Zukunft bedeuten. Sie läuft auch Gefahr, ihre drei Mädchen zu verlieren.

Damit, so die Einschätzung ihres Anwalts, hat sich die rechtliche Situation geändert. Er will nun im Oktober erneut Widerspruch einlegen. Ziel ist, für die kleine Familie wenigstens eine Duldung durchzusetzen. Damit könnte Teona Margoshvili eine Arbeitserlaubnis beantragen. Sie habe an der Universität in Tiflis Jura studiert und kenne sich auch mit Computern aus. Dass sie seit 2014 zum Nichtstun verdammt sei, sei unerträglich. Abgesehen von der wirtschaftlichen Härte.

Sie bekommt seit gut neun Monaten Gutscheine zum Einkaufen. Erst vor ein paar Tagen war sie im Supermarkt und wollte Brot holen, mit einer Marke, die das Datum des Folgetags trug. "Wir haben nichts mehr zu essen zu Hause, meine Mädchen hatten Hunger", so Teona. Doch die Verkäuferin blieb hart. Sie könne morgen mit der Marke wiederkommen, dann gäbe es auch ein Brot. Teona schaut zu Boden und knetet ihre Hände. Ihre Kinder sollen die Tränen der Verzweiflung nicht sehen. Eine Bekannte lieh dann zehn Euro, mit denen sie kurz vor Ladenschluss im Norma das Nötigste holen konnte.

Ein Fantasiedokument

900 Euro hat sie für die vierköpfige Familie im Monat zur Verfügung, mehrheitlich in Form von Gutscheinen. Sie wolle nicht undankbar erscheinen, aber so könne sie ihren Töchtern nicht einmal ein Paar Socken kaufen, ganz zu schweigen von der Winterjacke und Schuhen. Aus den Sachen vom letzten Jahr ist die zehnjährige Laina längst herausgewachsen.

"Ich möchte so gern mein eigenes Geld verdienen, um für meine Kinder sorgen zu können. Selbst Putzen würde ich gehen, aber ich darf es nicht", sagt Teona. Noch nicht mal einen Sprachkurs habe sie seit 2014 besucht. Und doch übt sie immer wieder die Antworten auf den Einbürgerungstest. Sie könnte, ist sie überzeugt, alle 33 Fragen fehlerfrei beantworten.

Am Donnerstagmorgen um 9 Uhr musste Teona Margoshvili wieder zum Landratsamt. Mit dabei ein schlichtes DIN-A4-Blatt, das sie sorgsam gefaltet immer in ihrem Portemonnaie dabei hat. Es trägt den schönen Titel „Bescheinigung über den vorübergehenden Aufenthalt ohne amtliches Aufenthaltsdokument“. Der Flüchtlingsrat nennt den Zettel "Fantasiedokument, das vor allem in Sachsen ausgestellt wird", allerdings ohne Rechtsgrundlage, wie die Flüchtlingshelfer immer wieder betonten.

Die Bescheinigung ist befristet auf maximal eine Woche. Und manchmal sind es nur drei Tage, wie die Stempel zeigen. Eine Abschiebung kann aber auch dieser Zettel nicht verhindern.

Meistgenutzte App: Der Deportationsalarm

Während Teona Margoshvili erzählt, flechtet ihre größte Tochter Laina ein Armband. Elina, die Kleinste, hat sich das Handy ihrer Mutter genommen und schaut eine Serie auf Kika. Und die Mittlere, Lina (8), hört aufmerksam zu. Sie alle sprechen sehr gutes Deutsch, gehören zu den Besten ihrer Klasse und sind voll integriert. Laina möchte einmal Zahnärztin werden oder bei der Feuerwehr als Retterin arbeiten. Und für Elina ist klar, sie will als Polizistin Gangster jagen, hier in Deutschland.

Man könne, sagt ein engagierter Flüchtlingshelfer aus Meißen, diese Integrationsleistung der Kinder in der Ausländerbehörde als Pluspunkt werten und zumindest eine Duldung gewähren. Das gäbe nicht viel, aber etwas mehr Sicherheit.

Und bis dahin bleibt der Deportationsalarm eine der meist genutzten Apps auf Teonas Handy. Hier wird über die aktuellen Abschiebeflüge von Deutschland aus informiert. Die nächste Maschine nach Georgien wird am 26. September von Düsseldorf aus abheben. In den Nächten davor ist bei Teona an Schlaf kaum zu denken - auch, ohne dass Autotüren auf der Straße zufallen.