Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ + Meißen

Diese Nossener Ziegel retten Denkmale in ganz Europa

Ob Romanik, Gotik oder Barock, jede Epoche und jede Region hat ihre eigenen Steine. Sie heute zu brennen, ist echtes Handwerk, das man in Graupzig perfekt beherrscht.

Von Ines Mallek-Klein
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Firmenchef Ralf Huber (r.) erklärt Landesbischof Tobias Bilz (2.v.r.) die Besonderheiten der Ziegel, die sich nicht nur in Farbe und Form unterscheiden. Jede Region habe ihre typischen Ziegel.
Firmenchef Ralf Huber (r.) erklärt Landesbischof Tobias Bilz (2.v.r.) die Besonderheiten der Ziegel, die sich nicht nur in Farbe und Form unterscheiden. Jede Region habe ihre typischen Ziegel. © Claudia Hübschmann

Nossen. Am Wegesrand hascht der Mais im herbstgelben Laub die letzten Sonnenstrahlen vor seiner Ernte. Das Feld gegenüber liegt längst schon brach und wartet darauf, umgeackert zu werden. In der Ferne steht ein großer heller Bau mit Schornstein: das Ziegelwerk von Graupzig. Hier werden seit fast 200 Jahren Ziegel gebrannt, abgesehen von einer kleinen kriegsbedingten Unterbrechung.

Der Betriebshof ist vollgestellt mit Europaletten, die die roten, gelben und bräunlich schimmernden Steine tragen, sortiert nach einem System, das sich Besuchern schwer erschließt. Die 34 Mitarbeiter des Ziegelwerks aber wissen genau, wo welche Paletten stehen. Auch die, die in wenigen Tagen nach Kassel geliefert werden sollen. Dort wird gerade das Gefängnis saniert, das in einem Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Gebäude untergebracht ist. Die Ziegelbauweise ist typisch für Häuser aus dieser Zeit.

Eiszeit sei Dank

An diesem Donnerstagmorgen erhält der Handwerksbetrieb ganz besonderen Besuch. Landesbischof Tobias Bilz hat sich auf den Weg gemacht, um ein Unternehmen zu besuchen, das maßgeblichen Anteil an der Erhaltung von Denkmalen und damit auch Kirchen hat. Das macht das Ziegelwerk in dem kleinen Nossener Ortsteil so besonders. Hat man früher vor allem die Baubetriebe und Baustellen in der Region beliefert, wird man heute deutschland- und europaweit angefragt, sagt Ralf Huber. Er führt das Unternehmen gemeinsam mit seinem Vater Klaus in nunmehr dritter Generation.

Andre Schiebelbein gehört seit zwei Jahrzehnten zum Team des Ziegelwerkes. Er nutzt eine Holzform, um aus der Lehmmasse die Steine zu formen - in Handarbeit.
Andre Schiebelbein gehört seit zwei Jahrzehnten zum Team des Ziegelwerkes. Er nutzt eine Holzform, um aus der Lehmmasse die Steine zu formen - in Handarbeit. © Claudia Hübschmann

Der Standort, hier am Ortseingang der kleinen Gemeinde, er ist kein Zufall. Denn die Gruben mit den wichtigen Rohstoffen liegen direkt hinter dem Werk. Hier werden Lehme und Tone in unterschiedlichsten Qualitäten abgebaut. Würde man tiefer graben, fände man hier sogar noch Reste von Kaolin, die aber schon vor Jahrzehnten unterirdisch abgebaut und in der Meissener Manufaktur zu feinstem Porzellan weiterverarbeitet worden sind.

Die Rohstoffe also liegen hinter der Werkhalle, und dafür ist die Eiszeit verantwortlich, deren dicker Frostpanzer die Materialsammlung von der Ostsee bis in die Lommatzscher Pflege geschoben hat. "Die Qualitäten sind so vielfältig, dass wir hier Ziegel in ganz unterschiedlichen Farben herstellen können, ohne Zusatzstoffe verwenden zu müssen", sagt Ralf Huber und wagt einen Exkurs in die Chemie. Verantwortlich für die rote Farbe im Ziegelstein ist das Eisen im Lehm, das während des Brennprozesses seine Sauerstoffverbindungen verliert. Je mehr Eisen, je dunkler der Stein, so die Grundregel.

Nach der Wende: Volles Risiko

Seniorchef Klaus Huber hat das Unternehmen von seinem Vater übernommen. Der stammte aus dem Elsass, betrieb in Berlin einen großen Weinhandel und flüchtete schließlich Mitte der 1940er-Jahre vor den Bombenangriffen aufs Land. Der Zufall führte den Kaufmann nach Graupzig, wo er sich entschloss, mit einem heimischen Baubetrieb die zerbombte Ziegelei nach Kriegsende wieder aufzubauen. Dass er einen französischen Pass hatte, rettete ihm dabei wohl das Leben, sagt Klaus Huber. In den damaligen Landkreisen Meißen und Riesa gab es viele Ziegelwerke, aber eben auch einen großen Bedarf.

1972 begann dann die Epoche als Staatsbetrieb mit staatlicher Lenkung. Klaus Huber, mittlerweile fünffacher Vater, war Betriebsdirektor und am Ende auch noch ökonomischer Leiter. Nach der Wende dann die Reprivatisierung. Da war gerade der Grundstein für eine neue Werkhalle geplant. Dort sollte ein Tunnelofen installiert werden. Der war in der DDR Standard, wäre aber auf Dauer kaum wirtschaftlich zu betreiben gewesen.

"Wir bauten trotzdem weiter und fanden schließlich einen Hamburger Architekten, der uns einen Gegenlaufofen konzipierte, der in die Halle passte", erinnert sich Klaus Huber. Das bedeutete eine millionenschwere Investition und volles Risiko. Eine Bank aus Stuttgart gab einen Kredit von rund fünf Millionen D-Mark, hinzu kam eine weitere Million als Fördermittel aus Dresden. Geld, das man unter anderem auch in ein Präzessionswalzwerk investierte.

Vieles in der Firmengeschichte geschah nicht ganz freiwillig

Das war der Grundstein. Seitdem habe sich unglaublich viel verändert, nicht nur die Ansprüche der Kunden. Die größte Herausforderung aber seien die Normen für Baustoffe. "Wir müssen hier Ziegel für Gebäude aus der Gotik und Romanik fertigen, die die EU-Normen des 21. Jahrhunderts erfüllen", so Ralf Huber. Es klingt wie die Quadratur des Kreises. Und es sei nur möglich, weil man über die Jahrzehnte unglaublich viel Wissen angehäuft habe über Materialien, ihre Zusammensetzung und ihr Verhalten im Brennprozess, so der Juniorchef. Für den nutzt das Ziegelwerk übrigens Butan.

"Die Entscheidung dazu war nicht ganz freiwillig, wie so vieles in der Firmengeschichte", so Ralf Huber. Die Erdgastrasse liegt gut drei Kilometer vom Firmengelände entfernt. Pläne zum Anschluss gab es schon, "aber der Versorger wollte keine Leitung bauen", so Klaus Huber. Also stellte man sich Butantanks auf dem Hof. Rund 1,1 Tonnen verbraucht man pro Tag und nutzt die entstehende Abwärme gleich, um die Ziegel zu trocknen. Das wurde früher mit Braunkohle gemacht.

"Deshalb brauche ich kein Fitnessstudio"

In der Produktionshalle wird gerade eine Palette mit gebrannten Ziegeln aus dem Ofen gefahren. Die Palette wiegt gut eine Tonne und lässt sich nur über Schienen manövrieren. Jeder einzelne Ziegel muss dann von Hand abgenommen und sortiert werden, nach Größe, Form und auch Qualität. Für B-Ware gibt es eigene Paletten. Beatrice Braunburger arbeitet seit 13 Jahren in dem Unternehmen. Als sie anfing, war der Großteil der Belegschaft männlich. Heute, und das überrascht, ist die Hälfte der Beschäftigten zwischen Walzwerk und Ofen weiblich. Ja, die Arbeit sei körperlich hart, "aber genau deshalb brauche ich kein Fitnessstudio", sagt die junge Frau, streift ihre blauen Handschuhe über und beginnt, die Palette abzuräumen.

Die Ziegel, die als Nächstes gebrannt werden, liegen auf Holzbrettchen fein säuberlich aufgestapelt, hinter Andre Schiebelbein. Er hat eine Holzform vor sich, in die er die feuchte Lehmmasse fallen lässt und dann säuberlich am oberen Rand mit einem Draht abzieht. Seit gut zwei Jahrzehnten macht er diesen Job. Stein für Stein füllt sich das Regal hinter ihm, jeden Tag kommen rund 245 Steine dazu. Und jeder wird irgendwann Teil eines Gebäudes, ersetzt seinen verwitterten Vorgänger in einem Denkmal - und nicht selten trägt dieses einen Kirchturm.