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Nach 35 Jahren: "Kehrseiten" wieder in Meißen zu sehen

Die Ausstellung, die 1989 den Verfall in der Stadt dokumentierte, ist in der Frauenkirche erneut aufgebaut worden.

Von Harald Daßler
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Daniel Bahrmann beim Aufbau der "Kehrseiten"-Ausstellung in der Meißner Frauenkirche.
Daniel Bahrmann beim Aufbau der "Kehrseiten"-Ausstellung in der Meißner Frauenkirche. © Claudia Hübschmann

Meißen. In diese Ecke blickt sofort, wer die Frauenkirche betritt. Die Schwarz-Weiß-Fotos auf den Tafeln kommen bekannt vor – nicht nur, weil die Aufnahmen in Meißen entstanden sind. 1988/89 hatten Juliane Adler und Leonore Lobeck eine Anregung des damaligen Superintendenten der evangelischen Kirche Eduard Berger aufgegriffen, und den Verfall an den Häusern in der Meißner Altstadt dokumentiert.

Besuchen Sie Meißen, solange es noch steht! Dieser bittere Satz war in jenen Jahren immer wieder zu vernehmen. Mit einigen Ausbesserungsarbeiten an Dächern und Fassaden ließ sich nicht übertünchen, dass die Wirtschaftskraft der DDR nicht ausreichte, um die historische Bausubstanz in den Städten zu erhalten. Ebenso offensichtlich waren die Ursachen dafür: staatlich festgesetzte Mieten, die Eigentümern wie staatlichen Baubetrieben keinen Spielraum zur Sanierung ließen, industrielles Bauen, das auch zulasten des Bauhandwerks ging, oder das Fehlen eines Abwassernetzes in der Meißner Innenstadt, was die Ausstattung der historischen Häuser mit modernen Bädern und WC von vornherein ausschloss. In den Schubladen lagen Pläne zum Abriss.

Ausgangspunkt der friedlichen Revolution

Die Fotos von Leonore Lobeck und kurze Texte von Juliane Adler, die am 28. April 1989 erstmals in der Frauenkirche gezeigt wurden, waren ein Paukenschlag. "Diese Ausstellung wurde ein Ausgangspunkt der friedlichen Revolution in Meißen", erinnert Pfarrer Bernd Oehler: Von den "Kehrseiten" schlägt sich der Bogen zur Gründung des Neuen Forums in Meißen am 19. Oktober 1989 in der Lutherkirche – und zur ersten großen Demo auf dem Markt am 24. Oktober 1989.

Allenthalben Tristesse und Verfall: Juliane Adler und Leonore Lobeck hatten 1988/89 den ruinösen Zustand in der historischen Meißner Altstadt dokumentiert.
Allenthalben Tristesse und Verfall: Juliane Adler und Leonore Lobeck hatten 1988/89 den ruinösen Zustand in der historischen Meißner Altstadt dokumentiert. © Stadt Meißen
Die am Ende der DDR aufgenommen Fotos sind bis zum 9. September in er Frauenkirche zu sehen.
Die am Ende der DDR aufgenommen Fotos sind bis zum 9. September in er Frauenkirche zu sehen. © Stadt Meißen

Um das wieder in Erinnerung zu rufen, werden die Bilder und Texte jetzt erneut präsentiert. Die einzelnen Tafeln waren im Stadtmuseum aufbewahrt worden. Gemeinsam mit dem Kulturverein hat der Verein Buntes Meißen es möglich gemacht, die Tafeln nun wieder öffentlich zu zeigen, so Bernd Oehler.

Als Mitglied beider Vereine war der Meißner Fotograf und Kunstpreisträger Daniel Bahrmann am Aufbau in der Frauenkirche beteiligt. Hier kann die Dokumentation, die am Montagabend feierlich eröffnet worden ist, bis zum 9. September zu den Öffnungszeiten der Kirche in Augenschein genommen werden.

Anstoß zur Rettung der historischen Bausubstanz

Seit dem Herbst 1989 ist die "Kehrseiten"-Ausstellung zwei weitere Male in der Meißner Frauenkirche aufgebaut worden. Nun, bei der dritten Wiederholung, wird noch sichtbarer als bisher, was in Meißen geleistet wurde, um die historische Bausubstanz in der Altstadt nicht nur zu retten, sondern denkmalgerecht zu sanieren und darin Wohnraum für die Meißner zu schaffen. Damit ist sie auch "eine Würdigung der aufgewendeten Wertschöpfung der letzten 35 Jahre", so Bernd Oehler. Dabei fallen vor allem das finanzielle Engagement und die Risikobereitschaft von privaten Bauherren ins Gewicht.

Die "Kehrseiten"-Ausstellung hatte in Meißen auch bewirkt, dass sich das Kuratorium "Rettet Meißen – Jetzt!" gründete. Darin hatten sich Bürger der Stadt sowie Architekten, Baufachleute und Künstler zusammengefunden, um Geld für konkrete Projekte zu sammeln. Das Kuratorium hat großen Anteil daran, dass das Prälatenhaus an den Roten Stufen 3 in den 90er-Jahren vor dem Verfall gerettet werden konnte.

Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung erinnert Bernd Oehler an die Zivilcourage, "zu der wir uns mit Stephan Nierade und Bernd Callwitz auf der Marktbronze verpflichtet haben. Die ist heute erkennbar wieder notwendig, um unsere Demokratie am Leben zu erhalten."