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Nach verlorener Wahl: SPD-Mann Frank Richter aus Meißen will Sachsen verlassen

Er ist Theologe, leitete die Landeszentrale für politische Bildung, war CDU-Mitglied und saß zuletzt für die SPD im Landtag. Ein Gespräch über verlorene sozialdemokratische Ideale und die Verrohung einer Gesellschaft.

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Nach 10,1 Prozent der Stimmen in seinem Wahlkreis Meißen 3 2019 holte Frank Richter diesmal nur sechs Prozent – zu wenige für einen Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag.
Nach 10,1 Prozent der Stimmen in seinem Wahlkreis Meißen 3 2019 holte Frank Richter diesmal nur sechs Prozent – zu wenige für einen Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag. © Claudia Hübschmann

Herr Richter, bei der Landtagswahl hat die SPD in Sachsen einstellig abgeschnitten, was sind die Ursachen?

Die SPD hatte 2019, bei der vorigen Landtagswahl, 7,7 Prozent; diesmal 7,3 Prozent. Damit kann die SPD nicht zufrieden sein. Aber es ist kein Absturz, wie manche behaupten. Die SPD in Sachsen mit der SPD in westlichen Bundesländern zu vergleichen, bringt nichts. Ihre Kleinheit in den Zahlen ist keine Kleinheit in der politischen Qualität.

Hatten Sie für die SPD und für sich persönlich mehr erwartet?

Ja. Ich bin enttäuscht, dass so viele ausgerechnet denen ihre Stimme gaben, die sich vor der Diskussion im Meißner Rathaus gedrückt haben. Besonders Frau Kuge von der CDU scheint vom direkten Austausch der Argumente nicht viel zu halten.

Haben Sie Ihre erneute Kandidatur rückblickend bereut?

Nein. Ich habe den Wählern ausführlich mitgeteilt, was ich in den vergangenen Jahren für den Wahlkreis getan habe und was ich in den nächsten fünf Jahren leisten wollte. Die Wählerschaft hat mit großer Mehrheit andere Kandidaten gewählt. Das akzeptiere ich. So geht Demokratie.

Welche Rolle spielte die Arbeit der SPD auf bundespolitische Ebene aus Ihrer Sicht bei der Wahlentscheidung?

Eine große. Ich bin mit vielem, was die Bundesregierung tut, gar nicht zufrieden. Die sächsische SPD erlebt dasselbe, was eine Vertragswerkstatt von VW erlebt, die für das mit bestraft wird, was die Konzernleitung in Wolfsburg an Unsinn verzapft. Das ist ungerecht, aber nicht zu ändern, solange die Wähler den Wahlschein als Strafzettel benutzen und ihn an die falsche Autoscheibe klemmen.

Die Stimmen haben nicht für Ihren Wiedereinzug in den Landtag gereicht, welche beruflichen Pläne gibt es, wo wird man Sie künftig treffen?

Mal sehen. Aktuell räume ich mein Büro auf der Talstraße, ebenso meine Meißner Wohnung. Ich werde Sachsen verlassen, aber im Osten Deutschlands bleiben.

Wie lange haben Sie schon an dem Plan B gearbeitet?

Ich arbeite am "Plan B" seit dem 2. September.

Sie sind ja sehr engagiert im Bereich der Migration, wird das Ihr Steckenpferd bleiben?

Mein Engagement gilt nur am Rande der Migration. Dieses große Thema würde mich überfordern. Ich habe mich auf die Verhinderung ungerechter und unmenschlicher Abschiebungen konzentriert. Rückblickend kann ich sagen: Mit meiner Hilfe konnten elf Abschiebungen rechtskonform verhindert, zwei Personen aus dem Abschiebegefängnis befreit und eine bereits abgeschobene Frau aus Albanien zurückgeholt werden. Derzeit kümmere ich mich um Teona Margoshvili, eine alleinerziehende Mutti aus Georgien. Sie hat drei Mädchen – bestens integriert, gut in der Schule. Im Fall der Abschiebung würden – so die Angst – die Kinder ihrer Mutter entzogen.

Meine These lautet: Manche Abschiebungen müssen sein. Aber: Sachsen schiebt die Falschen ab. Weil man es nicht hinbekommt, die wirklichen Gefährder zu fassen, und weil Minister Schuster seine Abschiebestatistik aufpolieren will, holt man Familien mit Kindern – oft mitten in der Nacht –, holt man Menschen am Arbeitsplatz. Sachsen braucht Arbeitskräfte – gerade auch in Jobs, welche die Deutschen nicht mehr machen wollen –, und schiebt ausgerechnet die ab, die arbeiten können und wollen. Das ist absurd.

Mit welchen Gefühlen beobachten Sie vor diesem Hintergrund die anhaltende Debatte um konsequentere Abschiebung?

Nicht nur das Gefühl, auch der Verstand sagt mir: Die Mitmenschlichkeit befindet sich auf der Rutschbahn. Die Gesellschaft verroht. Manche Worte verraten es. "Illegale Migration", "Migrationsdruck" und "Abschiebung im großen Maßstab" verschleiern, dass es sich dabei um Menschen handelt. So verabscheuungswürdig die Tat des Terroristen von Solingen auch ist, so sehr weigere ich mich, in ihm eine Bestie zu sehen. Niemand wird als Terrorist geboren. Niemand muss als Terrorist sterben. Wir müssen nach den Ursachen der Radikalisierung fragen und überlegen, wie wir sie verhindern können. Politiker, die behaupten, sie könnten solche Taten allein durch "konsequentere Abschiebungen" verhindern, nehme ich nicht ernst. Diese Politiker drücken sich vor vielen Fragen. Was kosten Abschiebungen? Ein Flug, in dem neulich ein einziger Mann aus Sachsen-Anhalt in den Niger abgeschoben wurde, schlug mit 120.000 Euro zu Buche. Wer verdient? Die Fluggesellschaften!

Wie viele Polizisten werden gebraucht? Bei der Abholung einer Meißner Familie nach Georgien befanden sich zwölf Polizisten in der Wohnung, im Bus zum Flughafen noch viel mehr. Welche Kosten entstehen durch den Unterhalt der Abschiebegefängnisse? Was alles muss getan werden, um die Gefahr von Suiziden während der Abschiebung zu verhindern, von Suiziden, über die öffentlich kaum berichtet wird? Wie viel Geld wird an die Aufnahmestaaten – zum Beispiel an die Taliban in Afghanistan – gezahlt, damit sie die Abzuschiebenden überhaupt aufnehmen? Wie viel mehr würde es bringen, wenn wir das Geld für die Integration der hier lebenden Asylsuchenden einsetzen?

Sachsen sucht nach einer neuen Regierungskoalition, welche würden Sie sich wünschen?

Die Wünsche eines einzelnen Politikers sind ziemlich unwichtig. Ich persönlich sähe in einer Minderheitsregierung von CDU und SPD kein Unglück. Sachthemen rücken in den Vordergrund, die Parteipolitik in den Hintergrund.

In der politischen Debatte werben Sie immer dafür, im Gespräch zu bleiben, den Dialog aufrechtzuerhalten. Wie sollte das in Bezug auf die AfD aussehen, die ja immerhin mehr als 30 Prozent der Stimmen bekam? Kann man sie bei der Regierungsbildung ignorieren?

Bei der Regierungsbildung darf sie keine Rolle spielen. Die Gründe, warum die Wähler AfD gewählt haben, hingegen müssen ernst genommen werden.

Mit Blick auf die Bundestagswahl im September 2025, was müsste die SPD jetzt tun, um bei der Wählerzustimmung wieder deutlich zuzulegen?

Die Sozialdemokratie muss ihre Ideale hochhalten: Gerechtigkeit und Ausgleich in der Gesellschaft, Solidarität mit den Schwachen, gleiche Bildungschancen für alle. Damit wird sie vielleicht nicht alle Wahlen gewinnen. Aber sie wird die SPD bleiben, die Deutschland braucht.

  • Das Interview führte Ines Mallek-Klein.