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Landkreis Meißen: Flüchtlingshilfe im Blindflug

Auch die Kommunen im Elbland kommen mit der Aufnahme von Flüchtlingen an ihre Grenzen. Dass die Aufnahme zentral koordiniert wird, macht es nicht einfacher.

Von Ines Mallek-Klein
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Die Kommunen haben keinen Einfluss auf die zugewiesenen Flüchtlinge, müssen aber am Ende die Integrationsarbeit leisten. Das überfordert die Gemeinden, die sich mehr Unterstützung von Land und Bund wünschen.
Die Kommunen haben keinen Einfluss auf die zugewiesenen Flüchtlinge, müssen aber am Ende die Integrationsarbeit leisten. Das überfordert die Gemeinden, die sich mehr Unterstützung von Land und Bund wünschen. © SAE Sächsische Zeitung

Meißen. Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos) weiß nur so in etwa, wie viele Flüchtlinge sich in seiner Stadt gerade aufhalten und woher sie kommen. Das klingt nicht gerade vertrauenerweckend, liege aber daran, dass der Landkreis Meißen die Verteilung zentral koordiniert. Ähnliche Auskünfte erhält, wer in den Rathäusern Großenhain oder Meißen nachfragt. In Riesa zieht man die Statistik des Einwohnermeldeamts zurate. Anhand dieser ist ablesbar, dass zum 31. Dezember 2022 etwa 530 Menschen aus der Ukraine und 320 Personen aus Syrien in der Stadt lebten. Ergänzt werde die größte Gruppe ausländischer Bürger durch 200 Flüchtlinge aus Afghanistan und 120 Iraker. In welchem konkreten Status ihrer Anerkennung sich die Betreffenden gerade befinden, könne man aber nicht sagen, erklärt der Sprecher der Stadt, Uwe Päsler. Auch er verweist an den Landkreis.

Fest steht, es läuft nicht rund mit der Unterbringung und vor allem Integration der Flüchtlinge. Eine Botschaft, die Kommunen und Landkreise vor einigen Tagen auch nach Berlin gesendet haben. Ein Flüchtlingsgipfel mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser sollte den erhofften Befreiungsschlag bringen. Doch das Treffen enttäuschte. Faeser machte keine finanziellen Zusagen und verwies auf die 2,75 Milliarden, die der Bund in diesem Jahr bereitstellt. Es sei nicht erkennbar, dass man in Berlin die Nöte der Kommunen hinreichend verstanden habe, hieß es im Anschluss an das Treffen.

Sie sind, auch das ergibt die Umfrage in den Rathäusern des Elblandes, an ihrer Belastungsgrenze angekommen oder haben diese sogar schon überschritten. "Wir als Stadtverwaltung schätzen den Wohnungsmarkt als gesättigt ein und sehen wenig Potenzial für die Unterbringung weiterer Geflüchteter", heißt es aus dem Rathaus in Meißen. Und weiter: "Die Kitas und Schulen in der Stadt sind ebenso an der Kapazitätsgrenze angelangt. Insbesondere der Zuzug der Ukrainerinnen und Ukrainer hat baulich sowie personell die letzten Reserven aufgebraucht". Ohne die Unterstützung von Ehrenamtlern ging es gar nicht. Ihnen dankt die Stadt Meißen ausdrücklich, dass sie den Geflüchteten eine erste Orientierung in der neuen Heimat geben, Hilfe bei der Wohnungssuche leisten oder bei bürokratischen Fragen weiterhelfen.

Vorhandene Kapazitäten sind sehr begrenzt

In Großenhain sind von den rund 19.000 Einwohnern etwa 1.200 nicht deutscher Nationalität, knapp 500 von ihnen verfügen aber über einen Pass einer der EU-Staaten. Nach Auskunft der Stadtsprecherin kommen 240 Geflüchtete aus der Ukraine, 95 Personen aus Syrien und 46 aus dem Irak. Wer nach Großenhain kommt, entscheidet der Landkreis, der auch Verträge mit privaten Vermietern oder Wohnungsgesellschaften schließt.

In Coswig beispielsweise gibt es keine Sammelunterkünfte. Die geflüchteten Menschen leben in Wohnungen verschiedener Eigentümer, verteilt über das gesamte Stadtgebiet. "Zweifellos sind die vorhandenen Kapazitäten sehr begrenzt", sagt die Stadtsprecherin und ergänzt, "wir sind in ständigem Kontakt mit der städtischen Wohnbau- und Verwaltungs-GmbH, aber auch mit anderen Vermietern." Ein- oder Umzüge kosten nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Man habe sich deshalb mit dem Landkreis darauf verständigt, mehr Flüchtlinge in ihren Gewährwohnungen zu belassen.

Doch neben Wohnraum brauche es aber eben auch Kitaplätze, Kapazitäten an den Schulen mit eigenen DAZ-Klassen, Sprachkurse für Erwachsene und am Ende Jobs. Die Kitas in Coswig seien bis vor Kurzem zu über 100 Prozent ausgelastet gewesen, jetzt gäbe es eine geringe Zahl freier Plätze. "Allerdings stellt die Arbeit mit geflüchteten Kindern das Personal der Kitas vor gewaltige Herausforderungen", weiß man im Coswiger Rathaus. Hier ist man froh, über das Engagement der städtischen JuCo Soziale Arbeit gGmbH. Sie betreibt neben Kitas auch die Möbel- und Kleiderkammer.

Die größte Anzahl an Flüchtlingen nimmt, gemessen an der Einwohnerzahl, derzeit Riesa auf. Diese Ungleichheit hat Oberbürgermeister Marco Müller (CDU) bereits mehrfach kritisiert und erst in der vorvergangenen Woche sah sich die AG Integration Riesa veranlasst, einen offenen Brief zu schreiben. Der ging an zahlreiche Politiker von Bund, Land und Kreis. Es ist nicht allein ein Hilferuf, sondern auch ein Papier, in dem Lösungsvorschläge unterbreitet werden, in dem beispielsweise berentete Pädagogen wieder reaktiviert werden und man die Qualifikationsvoraussetzungen für Personal herabsetzt. "Wenn Integration gelingen soll, müssen wir gemeinsam ehrlich und konsequent auch an der Basis die Voraussetzungen dafür schaffen. Dabei bitten wir Sie dringend um Gehör und um Ihre Unterstützung", heißt es eindringlich am Ende des Briefes.

Kreis trägt zehn Prozent der Kosten

Nach Auskunft des Landratsamtes leben derzeit 4.271 Asylsuchende, Kriegsflüchtlinge, Spätaussiedler und Ortskräfte aus Afghanistan im Landkreis. Bei den Asylbewerbern rechnet man mit 100 bis 120 Zuweisungen pro Monat. Für die anderen Personengruppen sei eine Prognose schwierig. Und auch auf die Frage, ob das Erdbeben in Syrien und der Türkei die Flüchtlingsströme noch einmal verstärken werde, sei derzeit völlig offen.

Noch gäbe es rund 730 freie Plätze in den Unterkünften kreisweit, wobei knapp 500 auf Asylbewerber entfallen. Der Landkreis bereite die Anmietung weiterer Großobjekte vor, um Gemeinschaftsunterkünfte zu schaffen, auch weil der Bund – anders als in anderen Regionen – keine eigenen Gebäude zur Verfügung stellt. Im vergangenen Jahr wurden 400.000 Euro investiert, um die Einrichtungen herzurichten. Große Sanierungen hätten dabei aber nicht stattgefunden und seien auch 2023 nicht geplant.

Der Landkreis bekommt die Kosten für die untergebrachte Personen nur zu 90 Prozent erstattet. Sie liegen rund 880 Euro pro Monat, der Landkreis muss davon 88 Euro tragen. Gerechnet auf die Gesamtzahl sind das rund 375.000 Euro pro Monat und rund 4,5 Millionen Euro pro Jahr.