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Der Hüter des Meißner Gedächtnisses

Tom Lauerwald hat den Überblick über Tausende Urkunden, Akten und Dokumente im Stadtarchiv. Nun verabschiedet er sich in der Roten Schule.

Von Harald Daßler
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Mehr als 5.000 Blätter umfasst das historische Archiv, das Stadtarchivar Tom Lauerwald verwaltet und erschließt. Zur topografisch sortierten Sammlung  gehören auch Grafiken, Karten und Urkunden.
Mehr als 5.000 Blätter umfasst das historische Archiv, das Stadtarchivar Tom Lauerwald verwaltet und erschließt. Zur topografisch sortierten Sammlung gehören auch Grafiken, Karten und Urkunden. © Claudia Hübschmann

Meißen. Urbar. So nennt sich ein dicker Wälzer, den Tom Lauerwald vorsichtig aufschlägt. Die handschriftlichen Einträge in diesem Buch sind nicht sofort zu entziffern – die ersten stammen aus dem Jahr 1719. Ähnlich dem heutigen Grundbuch sind in einem Urbar Eigentümerschaften vermerkt, erklärt Tom Lauerwald. Ebenso wurden Veränderungen infolge von Verkäufen eingetragen. Im Urbar ist auch verzeichnet, welche Steuern auf den Grundbesitz fällig sind. Zur Ermittlung des zu zahlenden Betrages wurde auch ein Geschossverzeichnis für jedes Wohnhaus angelegt, berichtet der Stadtarchivar.

Um die Jahrhunderte alten Handschriften lesen und bewerten zu können, sind Archive auf Hilfe angewiesen. Tom Lauerwald nutzt gute Kontakte zum Handschriften-Zentrum der Universitätsbibliothek Leipzig. Das ermöglicht es, auch unvollständiges Material - sogenannte Streusammlungen – zu erfassen und wissenschaftlich zu erschließen. Manchmal lassen sich dabei Querverbindungen zu ganz anderen Sachverhalten oder Personen finden. Zum Beispiel Donatus Kluge, der im Mittelalter einen weit verbreiteten Kommentar zur Bibel verfasst hatte. Kluge, der zwischen 1451 und 1468 als Dozent an der Leipziger Universität tätig war, hat eine Zeitlang in Meißen gelebt und gearbeitet, hat der Stadtarchivar herausgefunden.

Der Urbar gehört zu den besonderen Schätzen im Meißner Stadtarchiv. Aber auch Stadtbücher, Aufzeichnungen zu Rechtsvorgängen wie Erbstreitigkeiten, Grundstücksverkäufen oder Geldleihen werden in den vor acht Jahren neu hergerichteten Räumen des Stadtarchivs im Gebäude der Roten Schule aufbewahrt.

Um 1312 beginnen die im Stadtarchiv aufbewahrten Dokumente. Wesentliche Vorarbeit zur Organisation des Meißner Stadtarchivs hat Prof. Dr. Wilhelm Loose geleistet. Der Theologe und Lehrer war Initiator der Gründung des „Vereins zur Geschichte der Stadt Meißen“, ist in Günter Naumanns Stadtlexikon Meißen nachzulesen: „Von 1880 bis 1884 ordnete er das Meißner Stadtarchiv und machte es damit für die wissenschaftliche Forschung zugänglich. Ab 1881 wirkte er bis zu seinem Tode nebenamtlich als Stadtarchivar.“

Digitalisierung ganz am Anfang

Würde man alle Meißner Archivalien übereinander legen, so ergäbe sich ein Papierstapel, der zwei Kilometer hoch ist. So hat es Tom Lauerwald ausgerechnet, für jetzt. Ein Archiv wächst, und deshalb werden die Räumlichkeiten mit dem Blick auf den nächsten 30 bis 40 Jahre konzipiert, damit genügend Platz für die Tausenden Urkunden, Akten und Dokumente verfügbar ist.

Die Digitalisierung – das Übertragen und Aufbewahren der historischen Dokumente auf elektronische Speichermedien – wird daran auf absehbare Zeit kaum etwas ändern, ist er überzeugt. „Damit stehen wir noch ganz am Anfang“, sagt er. Und noch immer ist nicht alles, was als Gedächtnis Sachsens von Bedeutung ist und in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek (SLUB) aufbewahrt ist, elektronisch abgespeichert. Außerdem gehören zum Bestand des Meißner Stadtarchivs auch Karten und Pläne, Nachlässe, Urkunden und Fotosammlungen, deren Originale zwar digitalisiert werden können, dennoch ihres ideellen Wertes wegen aufbewahrt und zugänglich bleiben sollten. So ist es gesetzlich verankert, schließlich gehört das Archivwesen zu den Pflichtaufgaben einer Kommune.

Seine Leidenschaft für das Archiv ist auch der „Affinität zum Papier“ geschuldet, gibt Tom Lauerwald zu. Schließlich ist er von Beruf Bibliothekar, und er hat ein Studium der Kunstgeschichte, mit Archivwesen im Nebenfach, absolviert. Ein Studium der Verwaltungswissenschaften kam in seiner beruflichen Laufbahn noch hinzu.

Neben dem Entgegennehmen gehört das Erschließen von Archivgut zu den Aufgaben des Archivars. Das ist mehr als das bloße Verwalten der Bestände. Schließlich sollen die Archivalien gefunden werden und verfügbar sein – etwa, wenn Historiker, Journalisten oder Experten zu einer ganz speziellen Frage recherchieren.

Was ins Archiv kommt

Nur ein Bruchteil dessen, was Stadtrat und Verwaltung an Beschlüssen, Haushaltsaufstellungen oder Satzungen produzieren, landet im Archiv. Tom Lauerwald beziffert den Anteil auf drei bis vier Prozent. Außerdem werden im Archiv Dokumente, Fotos, Karten gesammelt, die oft aus Nachlässen stammen. Nach der Meißner Archivsatzung entscheidet der Stadtarchivar über die „Archivwürdigkeit“. In jedem Fall müssen die Unterlagen mindestens 30 Jahre alt sein.

Bis vor zwei Jahren war Tom Lauerwald auch damit beschäftigt, alle DDR-Bestände im Meißner Stadtarchiv zu erschließen. Bei der Beschäftigung mit Regionalgeschichte sollten sich künftig Schüler stärker einbringen – und im Rahmen von Projektarbeiten oder im Leistungskurs Geschichte in die regionale Historie eintauchen. Das passiert „noch viel zu selten“, so seine Wahrnehmung, trotz mancher Bemühungen mit Schulen und Lehrern der Stadt in Kontakt zu kommen und sie für ein solches Vorhaben zu begeistern.

Außerdem betreut der Stadtarchivar eine kleine Fachbibliothek. In dieser „Missnensia“ werden überregional erscheinende Veröffentlichungen mit dem Schwerpunkt Meißen erworben und einsortiert. Auch Zeitungen werden hier aufbewahrt. Die Qualität des Papiers bereitet dem Archivar allerdings Sorgen: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden Zeitungen auf Industriepapier gedruckt – wegen dessen geringer Wetterbeständigkeit sind sie schwierig aufzubewahren.

Seit 2007 hütet Tom Lauerwald das Gedächtnis der Stadt. Nach der Auflösung des städtischen Denkmalschutz-Amtes hat er das Stadtarchiv übernommen, das er allein betreut. Bis zum 31. August. Dann geht Tom Lauerwald, der am Beginn dieses Jahres seinen 65. Geburtstag feierte, in den Ruhestand.

Das Kornhaus im Blick

Dieser Begriff trifft es aber nicht, was er sich für die Zeit nach dem Stadtarchiv vorgenommen hat. Streng genommen steht für ihn nur ein Umzug vom Schreibtisch in der Roten Schule zu dem in seiner Wohnung an. Als Vorsitzender der Otto-und-Emma-Horn-Stiftung hat er noch allerhand zu tun. Vor allem für das Kornhaus, das die Stiftung Ende vorigen Jahres übernommen hat. Er sieht das Projekt „auf einem guten Weg“: Wenn das Dach gesichert ist, können Arbeiten an der Außenhülle beginnen. Dem aktuellen Stand zufolge könnte das im nächsten Mai/Juni erledigt sein. Dann ist der Außenputz an der Reihe. Dazu führt er „bereits intensive Gespräche“. Danach steht der Innenausbau an – und die Antwort auf die Frage, welche Nutzungsmöglichkeiten für das Gebäude auf dem historisch so bedeutsamen Burgberg-Ensemble infrage kommen.

Auch der Winkelkrug wird ihn beschäftigen. Seit die in Meißen sehr beliebte Gaststätte geschlossen ist, zeigt sich noch dringlicher, dass das Haus von innen saniert werden muss, „damit es wieder nutzungsfähig wird“. Außerdem liegt ihm die „Monumenta Misnensia“ am Herzen, die von der Stiftung künftig herausgegeben wird. Ebenso nennt Tom Lauerwald die Bürgerstiftung und Vereine im Triebischtal, die weiter mit Unterstützung durch die Horn-Stiftung rechnen können.

Mit diesen und weiteren Verpflichtungen begründet er auch, warum er das Archiv jetzt verlässt. Gern hätte er einen Nachfolger eingearbeitet. Die Verwaltung habe versucht, die Neubesetzung intern zu regeln, erklärt Bürgermeister Markus Renner, warum die Ausschreibung für die Nachfolge erst jetzt veröffentlicht wurde. Er geht davon aus, das Bewerbungsverfahren bis zum Ende dieses Jahres abzuschließen.