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Wie die Freien Sachsen Herrnhut spalten

In Herrnhut sind die rechtsextremen Freien Sachsen besonders erfolgreich. Das führt zu emotionalen Diskussionen, Halbwahrheiten und Vorwürfen.

Von Anja Beutler
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Der Chef der Freien Sachsen, Martin Kohlmann. (Mitte mit Kappe) im Gespräch mit Demoteilnehmern in Herrnhut am 30. März.
Der Chef der Freien Sachsen, Martin Kohlmann. (Mitte mit Kappe) im Gespräch mit Demoteilnehmern in Herrnhut am 30. März. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Die erste Stadtratssitzung des neu gewählten Herrnhuter Rates ist spürbar anders. Schon optisch: Bürgermeister Willem Riecke hat die Tische im Feuerwehrheim nicht hintereinander, sondern im Rechteck stellen lassen, sodass sich die Räte beim Diskutieren in die Augen schauen müssen. "Das mit dem Anschauen war gar nicht so sehr mein Gedanke", sagt Riecke, der zur Wählergemeinschaft Herrnhuter Liste gehört. "Ich wollte, dass der neue Rat, ein bisschen zusammenrückt - und das ist durchaus symbolisch zu verstehen", fügt er hinzu.

Warum Riecke das in diesem Fall so überdeutlich betont, hat einen guten Grund: Erstmals sind neben dem einen AfD-Kandidaten auch die Freien Sachsen, die vom Verfassungsschutz als Neonationalsozialisten bezeichnet werden, mit zwei Räten - Thomas Lehr und Kristina Dienel - in Herrnhut vertreten. Ihre Wahl und der Wahlkampf vorab haben starke Emotionen geschürt und die Stadtgesellschaft teilweise gespalten.

Das war auch in der ersten Ratssitzung zu spüren: Kristina Dienels Vater Friedbert ergriff in der Bürgersprechstunde das Wort: Seine Familie sehe sich Hass und persönlichen Angriffen ausgesetzt. Sogar das Unternehmen werde boykottiert - erst jüngst habe sogar die freie Schule Schkola als Kunde gekündigt, schilderte er. Dass sich Stammkunden wegen der politischen Aktivitäten von Kristina Dienel vom Unternehmen abgewandt haben, hat die neue Stadträtin unter anderem in Videos auch schon selbst erklärt.

Dass die Schkola als Schule selbst Kunde war und einen Vertrag gekündigt hat, stimmt allerdings nicht, betont Schkola-Geschäftsführerin Ute Wunderlich auf SZ-Nachfrage: "Eine Kollegin, die im Norden des Kreises wohnt, hat privat bei Dienel bestellt und sich die Produkte an die Schule nach Ebersbach liefern lassen, weil eine Lieferung nach Hause nicht möglich war", sagt Schkola-Geschäftsführerin Ute Wunderlich. Sie habe dieses Abo aber kürzlich gekündigt, weil Absprachen nicht eingehalten worden seien. Die Schkola-Küche selbst werde von Marktfrisch aus Rothenburg beliefert.

Kandidaten sind Menschen aus der Stadtgesellschaft

Das Beispiel zeigt: Seit Monaten ist in Herrnhut der Ton rauer geworden, es gibt Gerüchte und Halbwahrheiten - vor allem in den sozialen Netzwerken. Dass es überhaupt so emotional zugeht, liegt daran, dass die Kandidaten der Freien Sachsen mit Dachdeckermeister Thomas Lehr und Kristina Dienel vom gleichnamigen Gartenbauunternehmen mitten aus der Stadtgesellschaft kommen. Es sind Menschen, die viele kennen oder mindestens zu kennen glauben. Vor allem Dienel weht die Ablehnung stark ins Gesicht, weil zwei heftig kritisierte Veranstaltungen mit ihr in Verbindung gebracht werden.

Eine davon ist der "Politische Tanz in den Mai" am 30. April, zu dem im Hof des Naturkostladens Dienel mit Martin Kohlmann nicht nur der Kopf und Gründer der Freien Sachsen erschien, sondern mit ihm weitere Rechtsextreme und Querdenker nicht nur aus der Umgebung. "Das war der Grund, warum wir erstmals ein Zeichen setzen wollten", sagt eine Herrnhuterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung nennen will. Mehr als 50 Menschen haben gegen diese Art Maitanz und für Demokratie demonstriert. Für viele ein persönliches - bis dahin aber - einmaliges Bedürfnis.

Mit den jüngsten Herrnhuter Wahlergebnissen von rund zehn Prozent für die Freien Sachsen und der Sonnenwendfeier in Strahwalde gibt es für die Demokratie-Initiative noch mehr Grund zum Handeln. Erneut waren Rechtsextreme unter den Gästen, das bestätigt auch das Landesamt für Verfassungsschutz. Und obwohl Kristina Dienel betont, selbst nicht dabeigewesen zu sein, verteidigt sie doch die Veranstaltung, die auf einer Fläche stattfand, die in Teilen von ihrer Familie genutzt wird, öffentlich in einem Video. Sie spricht von Traditionspflege. Genau das sieht die neue Initiative, die sich als "Demokratische Bürger der Hutbergregion" formiert hat, anders. 15 bis 20 Personen gehören inzwischen zum festen Kern. "Wir waren bei der Sonnenwendfeier Zaungäste", erzählt ein Mann, der zur Initiative gehört: "Du stehst dort und denkst, die drehen gerade einen 33er-Nazi-Film", schildert er. Er habe SS-Verherrlichung dort persönlich erlebt, fügt er hinzu.

Aufklärung zu den Hintergründen der Freien Sachsen

Die Initiative will deshalb informieren, wofür die Freien Sachsen eigentlich stehen. Dazu hatten sie sich am letzten Mittwoch im August Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen zu einer Lesung nach Herrnhut eingeladen. Nattke hat gemeinsam mit Johannes Kiess im März ein Buch zu den Freien Sachsen veröffentlicht. Sie schildern darin, dass die führenden Köpfe der Partei aus rechtsextremen Initiativen kommen und ihre Strategie ein "Netzwerk von Kräften rechts der AfD" ist. Sie analysieren das Programm der Freien Sachsen, wo klar wird, dass die Freien Sachsen antidemokratisch und im Kern neonationalsozialistisch sind.

Michael Nattke war vom großen Interesse in Herrnhut beeindruckt: "70 Gäste - das war die größte Veranstaltung zum Buch bisher", sagt er. Sein Konzept: Die Gäste sollten Fragen stellen und ohne Scheu von ihren Ängsten sprechen können. Deshalb hatte sich Nattke ausgebeten, dass keine Mitglieder der Freien Sachsen zu der Veranstaltung zugelassen werden und dies mit der sogenannten Antidiskriminierungsklausel legitimiert, die am Eingang veröffentlicht wurde. So wurde Kristina Dienel, die mit drei weiteren Begleitern ebenfalls teilnehmen wollte, der Zutritt von der Security verwehrt. Herrnhuts Bürgermeister Willem Riecke, der die Lesung als "sehr sachlich und sehr ausgewogen" empfand, war mit diesem Ausschluss "nicht glücklich". Zumal das nicht von Anfang an klar so kommuniziert worden war.

Bunter Protest statt persönlicher Vorwürfe

Bunter Protest für Weltoffenheit am 2. September an der Herrnhuter Rathaustür: Eine Bürgerinitiative will den Montagsspaziergängern nicht das Feld überlassen.
Bunter Protest für Weltoffenheit am 2. September an der Herrnhuter Rathaustür: Eine Bürgerinitiative will den Montagsspaziergängern nicht das Feld überlassen. © privat

Die Kritik haben sich die Organisatoren angenommen. Sie wollen dennoch weiter zeigen, dass Herrnhut - frisch gebackenes Weltkulturerbe - für Weltoffenheit steht. Gern auch auf ausgefallene Weise: Verkleidet als Clowns haben sie am ersten September-Montag die Rathaus-Tür mit bunten Kinderzeichnungen beklebt. "Wir wollten den schwarz-weißen Schildern, die von den Montagsspaziergängern jede Woche dort angebracht werden, etwas entgegensetzen", sagt eine Mitstreiterin. Die Teilnehmer des Spaziergangs, der auch von den Freien Sachsen beworben wird, hätten sie ausgelacht, aber es sei alles friedlich geblieben, erzählt ein Mitstreiter der Initiative. Im Nachgang hätten dann sogar manche Anhänger der Demo die vielen Bilder gelobt, weil sie dachten, die Spaziergänger hätten sie aufgehängt, fügt er hinzu.

Auch Bürgermeister Willem Riecke hat die Rathaustür-Aktion gesehen: "Mal was anderes", vermerkt er schmunzelnd, wird aber rasch wieder ernst. Für ihn sei die Arbeit im Stadtrat der Gradmesser. Wenn es da Grund zu einem klaren Statement gebe, werde dies auch geschehen. "Wir haben uns den Rat ja nicht zusammengewürfelt, die Bürger haben entschieden und das werde ich akzeptieren", sagt Riecke.