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Neue Studie: Oberland-Orte sind Gewinner der neuen Landlust

Berliner Forscher sehen eine Trendumkehr: Jetzt ziehen mehr Großstädter aufs Land als Dorfbewohner in die Stadt. Wer mehr als alle anderen Orte im Kreis Görlitz davon profitiert.

Von Romy Altmann-Kuehr & Frank-Uwe Michel
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Ländliche Idylle: Beiersdorf gehört zu den Zuzugs-Gewinnern.
Ländliche Idylle: Beiersdorf gehört zu den Zuzugs-Gewinnern. © Matthias Weber

Landflucht ist schon seit einigen Jahren ein großes Thema. Die Speckgürtel der größeren Städte werden immer breiter. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung belegt das jetzt wieder einmal mit konkreten Zahlen. In einer aktuellen Studie mit dem Titel "Landlust neu vermessen" haben die Wissenschaftler festgestellt, dass immer mehr Großstädter aufs Land ziehen.

Oberland-Orte zählen zu den Gewinnern

Eine deutliche Aussage der Studie: "Der ländliche Raum im Osten holt auf." Dabei kam heraus, dass auch der Landkreis Görlitz profitiert und mehr Einwohner gewinnt - hier vor allem kleinere Orte im Oberland. Die größten positiven Auswirkungen gibt es im untersuchten Zeitraum zwischen 2018 und 2020 in Oppach, Beiersdorf, Kottmar, Seifhennersdorf und Mittelherwigsdorf. Sie haben ein positives Saldo von jeweils +7, können sich also über mehr Zu- als Wegzüge freuen. Das ist im Kreis Görlitz der beste Wert in der Studie.

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Gemeinden schaffen Bauland

Woran liegt das? Was gibt es in den Orten, was Zuzügler woanders nicht finden? "Ganz klar: Günstiges Bauland", antwortet der Beiersdorfer Bürgermeister Hagen Kettmann (parteilos) auf diese Frage. Die Gemeinde bot in ihrem Wohngebiet Grundstücke für 33 Euro pro Quadratmeter an. Für jedes mitgebrachte Kind gewährte sie einen zusätzlichen Rabatt von vier Euro. "Das hat viele junge Familien animiert, bei uns zu bauen", so Kettmann. Folglich sind inzwischen alle Grundstücke weg. Und auch, wenn im Dorf ein bestehendes Haus frei wird, ist es nicht lange auf dem Markt, erzählt er.

Auch die anderen genannten Gemeinden gehören zu denen, die neues Bauland geschaffen haben. Das ist mit einigem verwaltungstechnischen Aufwand verbunden, Bebauungspläne müssen erstellt und genehmigt werden.

Im Ortsteil Eibau der Gemeinde Kottmar sind auf einer Fläche bei der Gewichtheberhalle Baugrundstücke erschlossen worden, die nun alle verkauft sind. Mit dem Abriss des ehemaligen Daminowerkes in unmittelbarer Nachbarschaft schafft die Gemeinde weiteres Bauland.

Oppach hat an der Grahbergstraße ein neues Wohngebiet erschlossen. Von den sieben Grundstücken wird auf einem derzeit ein Haus gebaut, ein zweites Grundstück befinde sich grade im Verkauf, berichtet die Bürgermeisterin. Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage seien Bauwillige derzeit vorsichtig. Sylvia Hölzel hat beobachtet, dass dafür die Nachfrage nach Bestandshäusern steigt. "Da kann man sofort einziehen und dann nach und nach ausbauen."

An der Grahbergstraße in Oppach gibt es Platz für Bauwillige.
An der Grahbergstraße in Oppach gibt es Platz für Bauwillige. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Die Infrastruktur stimmt

Oppachs Bürgermeisterin Sylvia Hölzel (parteilos) bestätigt aus ihrer Erfahrung, was die Berliner Forscher herausgefunden haben. "Es ist generell ein großes Interesse für den ländlichen Raum zu bemerken." Oppach habe da mit seiner zentralen Lage ein großes Pfund. Man wohne im Grünen, durch die beiden Bundesstraßen sei man aber eben auch flott in Bautzen und auf der Autobahn. Diese Infrastruktur sei enorm wichtig.

Die sieht Hagen Kettmann auch in Beiersdorf gegeben - aus seiner Sicht ein weiterer Grund für den Zuzug. "Bei uns im Ort gibt's alles, was man so braucht: Bäcker, Fleischer, einen Einkaufsladen, ein Ärztehaus, Zahnarzt, Kita, Grundschule, Hort", zählt er auf. Da habe man anderen Orten einiges voraus. Und in die nächstgelegenen Städte mit noch mehr Möglichkeiten wie Bautzen oder Löbau sei es nicht weit. "Zudem fährt noch jede Stunde ein Bus bis in den späten Abend hinein."

Zusammenhalt als Wohlfühlfaktor

In ihrer Arbeit haben die Fachleute des Berlin-Institutes Zahlen aus den Jahren 2008 bis 2010 und 2018 bis 2020 miteinander verglichen und sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich innerhalb von zehn Jahren der Trend zum Umzug von der Großstadt aufs Land deutlich verstärkt hat. Zuletzt erzielten zwei von drei Landgemeinden Wanderungsgewinne, zuvor konnte sich nur jeder vierte Ort auf dem Land über einen positiven Saldo aus Weg- und Zuzügen freuen.

Für Bürgermeister Hagen Kettmann spielt der Zusammenhalt auf den Dörfern eine große Rolle als Wohlfühlfaktor. Das Dorfleben wieder mehr zu aktivieren hat er sich für sein Ehrenamt als Bürgermeister unter anderem als Ziel gesteckt. Und das fruchtet. Erst Anfang Juli hatten die Beiersdorfer in Gemeinschaft das 750-jährige Ortsjubiläum gestemmt. So ziemlich jeder Beiersdorfer hat mitgemacht, erzählt der Bürgermeister. Jeder Verein hat eine Aufgabe übernommen. Dorffeste und Geselligkeit sind überall an der Tagesordnung: Kottmar feierte mit großem Engagement der Einwohner vor Kurzem das 800-jährige Bestehen der Ortsteile Ober- und Niedercunnersdorf.

Internet an jeder Milchkanne

In einer nächsten Studie im Sommer 2023 will das Berlin-Institut dann speziell die sächsischen Landgemeinden genauer untersuchen, berichtet Sprecherin Lilian Beck. Denn das aktuelle Werk bezieht sich auf ganz Deutschland. Betrachtet werde dann, "wie Alteingesessene und Zugezogene das Gemeindeleben vor Ort gestalten."

Ulrike Neumann aus Oppach ist Landschaftsarchitektin. Sie sagt: "Wir brauchen gutes Internet an jeder Milchkanne."
Ulrike Neumann aus Oppach ist Landschaftsarchitektin. Sie sagt: "Wir brauchen gutes Internet an jeder Milchkanne." ©  Archivfoto: Rafael Sampedro

Diesen Effekt möchte Ulrike Neumann noch verstärken. Die 46-Jährige stammt aus Oppach und war längere Zeit nur während ihres Studiums weg. Mit ihrem Büro für Landschaftsarchitektur und Regionalmanagement setzt sie sich aber schon seit vielen Jahren für optimale Bedingungen für Zuzügler ein. Zum 20-jährigen Bestehen ihrer Firma vor zwei Jahren sagte sie der SZ: "Wir müssen mehr auf uns vertrauen und überlegen, was wollen wir in zwanzig, dreißig Jahren sein. Wir müssen die Geschichte für den Wandel selbst schreiben."

Doch was sollte sich unbedingt ändern, damit noch mehr Städter die kleinen Orte für sich entdecken? Ulrike Neumann: "Wir brauchen gutes Internet an jeder Milchkanne. Dann können wir die Kopplung von Arbeit und Arbeitsort aufheben." Das sieht auch die Oppacher Bürgermeisterin als ausschlaggebenden Aspekt. Aufgrund von Homeoffice-Regelungen und anderen neuen Möglichkeiten im Arbeitsleben sei es heute durchaus machbar, hier zu leben und für eine Firma zu arbeiten, die woanders angesiedelt ist. Zudem gebe es auch gute Arbeitsangebote in und um die Gemeinde, so Sylvia Hölzel.