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Löbauer Rentner: "Ich bin gefangen in meiner Wohnung - und mein Betreuer kümmert sich nicht"

Rainer Luckow kann sich kaum bewegen, wohnt in einer völlig verschimmelten Wohnung - doch das muss seinen Betreuer gar nicht zwingend interessieren.

Von Markus van Appeldorn
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In der Wohnung von Rainer Luckow blüht der Schimmel in allen Farben.
In der Wohnung von Rainer Luckow blüht der Schimmel in allen Farben. © Markus van Appeldorn

Rainer Luckow (68) ist ein körperliches Wrack. Nach einem Unfall und einem Dutzend Operationen wurde der frühere Gleisbauer 2005 zum Frührentner. Heute leidet er auch an offenen Beinen. Nicht zuletzt aufgrund seines mittlerweile erheblichen Übergewichts kann er sich selbst auf Krücken kaum fortbewegen. Und in seiner aufgeräumten Wohnung in Löbau blüht der Schimmel großflächig in allen Farben.

Wegen einer psychischen Erkrankung hat das zuständige Amtsgericht Zittau bereits 2017 einen Betreuer für ihn bestellt - diese Betreuung wurde ausweislich eines der SZ vorliegenden Gerichtsbeschlusses erst Anfang September bis 2031 verlängert. Doch Luckow beklagt: "Der Betreuer kümmert sich nicht. Oft muss ich tagelang hungern, weil ich nichts zum Essen daheim habe." Das wirft die Frage auf: Wie weit gehen die Pflichten eines gerichtlich bestellten Betreuers?

"Ich bin Gefangener in meiner eigenen Wohnung", sagt Luckow. Seit über einem Jahr habe er seine Wohnung nicht mehr eigenständig verlassen können. Er wohnt im zweiten Stock eines Mietshauses - an ein Herabsteigen der Treppen ist bei ihm nicht zu denken. Als er neulich mal für ein paar Tage ins Krankenhaus nach Görlitz musste, musste die Löbauer Feuerwehr ihn aus seiner Wohnung holen. Er ist so schlecht zu Fuß, dass er schnell stürzt. Einmal ist er durch die Plexiglasscheibe seiner Schlafzimmertür gestürzt. Doch das sucht er ohnehin inzwischen nicht mehr auf. "Das Bett ist zu niedrig, ich käme da nicht mehr hoch. Ich schlafe auf der Wohnzimmercouch - im Sitzen", sagt er.

Warum ein Betreuer längst nicht für alles zuständig ist

Und sein Betreuer kümmere sich nicht mal darum, dass ihm etwas zu essen eingekauft wird oder dass er mal zu seiner Ärztin nach Herrnhut kommt. Allerdings: Beim Besuch des SZ-Reporters ist der Kühlschrank prall gefüllt und es stehen auch zahlreiche Getränkekisten mit vollen Wasserflaschen in der Küche. "Ich beauftrage ab und zu eine Polin aus Görlitz, die mir was einkauft", sagt er - da müsse er dann aber für einen Einkaufswert von 50 Euro fast 80 Euro bezahlen.

Einmal täglich kommt eine Mitarbeiterin eines Pflegedienstes und wechselt seine Verbände. Einmal monatlich wird er auch mit Sanitätsartikeln und Medikamenten versorgt - über ein Dutzend Pillen muss er täglich einnehmen. Genau in dieser Schilderung seiner Lebensmittel- und Medizinversorgung dürfte der Umstand liegen, warum all das gar nicht zwingend Aufgabe des gerichtlich bestellten Betreuers sein könnte. Der Betreuer macht der SZ gegenüber keine Angaben zu dem Fall - Datenschutzgründe. Die SZ hat aber mit dem Juristen Steffen Klaus zu dem Thema gesprochen. Klaus betreibt in Zittau eine Kanzlei für rechtliche Betreuung, ist selbst in vielen Fällen gerichtlich bestellt und Experte im Betreuungsrecht.

"Über die rechtliche Betreuung gibt es viele Irrtümer. Viele sind der Ansicht, dass der Betreuer sich um sämtliche Lebenssachverhalte kümmern muss - das stimmt aber nicht", sagt er. Nach einer Reform des Betreuungsrechts 2022 sei im Gesetz nicht mehr vom "Wohl" des Betreuten die Rede, sondern von seinen "Wünschen". Demnach müsste sich das Handeln des Betreuers nach den Wünschen des Klienten richten - abseits einiger Ausnahmetatbestände. Und eben: "Wenn ein Betreuter Dinge noch selbst regeln kann, wie etwa hier beschrieben Lebensmitteleinkäufe selbst organisieren, dann ist das nicht Aufgabe seines Betreuers", erklärt Klaus. Ebenso sei es mit der Pflegesituation. Da täglich eine Pflegerin komme und er so auch mit Medikamenten versorgt werde, sei auf diese Art sichergestellt, dass nötigenfalls ein Arzt konsultiert würde, der bei einem Hausbesuch nach dem Patienten schaut. "Nach dem Gesetz sollen die einem Betreuer zugewiesenen Aufgabenbereiche so klein wie möglich sein, um dem Betreuten ein Höchstmaß an dessen gewünschter Lebensführung zu ermöglichen", so Klaus.

An der Flurdecke blüht der Schimmel in vielen Farben.
An der Flurdecke blüht der Schimmel in vielen Farben. © Markus van Appeldorn
Rainer Luckow ist mal durch die Plexiglasscheibe seiner Schlafzimmertür gestürzt.
Rainer Luckow ist mal durch die Plexiglasscheibe seiner Schlafzimmertür gestürzt. © Markus van Appeldorn
Alle Räume der Wohnung sind von Schimmel befallen.
Alle Räume der Wohnung sind von Schimmel befallen. © Markus van Appeldorn

Der komplizierte Weg zu einer neuen Wohnung

Aber dann ist da ja noch die Sache mit der dramatischen Schimmelbildung in Luckows Wohnung - auch eine Gesundheitsgefahr. Er lüftet nie. "Und zeitweise ist auch mal die Heizung ausgefallen", sagt Luckow. Dem widerspricht der beim Vermieter - der Wobau in Löbau - zuständige Sachbearbeiter. "Die Heizung in dem Haus ist nie ausgefallen - wenn man mal davon absieht, dass sie vielleicht mal für einen halben Tag gewartet und deshalb ausgeschaltet wurde", erklärt der. Die Schimmelbildung sei allein durch den Mieter verursacht. Und Luckow gibt auch selbst zu, dass er wegen seiner offenen Beine seine Wohnung selbst stark befeuchtet.

Der Wobau-Sachbearbeiter kennt die Schimmel-Situation in Luckows Wohnung aus eigener Anschauung. Die Kosten für dessen Entfernung schätzt er auf einen fünfstelligen Betrag. "So lange er drin wohnt, hätte das aber überhaupt keinen Zweck, weil der Schimmel sofort wieder da wäre", sagt er. Keinesfalls wolle man Luckow aber vor die Tür setzen. Luckow selbst will schon die längste Zeit eine andere Wohnung haben - und der Wobau-Mitarbeiter wäre ihm dabei sogar gerne behilflich. "Ich habe ihm eine Wohnung in der Nähe empfohlen. Die wäre für ihn auch viel besser geeignet, weil da ein Aufzug installiert ist und sogar ein Pflegedienst im Haus", sagt der Wobau-Mitarbeiter. Allerdings ist die Wobau dort nicht Vermieter.

Luckow müsste sich also selbst kümmern - oder sein Betreuer. "Ich bräuchte jemanden, der da ein paar Gänge für mich erledigt, sich die Wohnung mal anschaut oder auch zum Vermieter geht", sagt er. Bloß: "Wohnungssuche gehört nicht zu den gesetzlich festgeschriebenen Pflichten eines Betreuers", erklärt Betreuungsexperte Steffen Klaus. Wohl aber habe Luckow wegen seines Alters und seines gesundheitlichen Zustandes wahrscheinlich einen Anspruch auf die sogenannte "Wiedereingliederungshilfe". Die müsse beim Kommunalen Sozialverband Sachsen beantragt werden. Normalerweise bestünde diese Hilfe in Sachleistungen, könne aber auch in Geldleistungen umgewandelt werden. Mit diesem Anspruch könnte Luckow dann etwa die Caritas, die Diakonie oder auch die AWO beauftragen, die in solchen Fällen auch Wohnungssuche als Dienstleistung anbieten. Luckow dürfte mit dieser Antragstellung überfordert sein. "Das wäre dann wahrscheinlich tatsächlich eine Aufgabe des Betreuers, einen solchen Antrag zu stellen", sagt Klaus.