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SZ + Zittau

15 Jahre um die Welt: Waltersdorfer bereist über 60 Länder

Etliche Menschen aus Löbau-Zittau hat es ins Ausland gezogen, wo sie teils ungewöhnliche Lebenswege gehen. Die SZ hat einige aufgespürt. Im vorerst letzten Teil der Serie: Tino Rischawy aus Waltersdorf.

Von Andrea Thomas
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Eine von Tino Rischawys Leidenschaften ist das Surfen.
Eine von Tino Rischawys Leidenschaften ist das Surfen. © privat

Dass Auswandern nicht zwangsläufig ankommen an einem bestimmten Ort bedeutet, zeigt das Beispiel von Tino Rischawy aus Waltersdorf, der vor 19 Jahren seine Heimat verließ. Bereits als Kind träumte er sich aus seiner kleinen Welt heraus, weit weg in die Berge, wo es mehr und länger schneite als an der Lausche, und ans Meer. „Natürlich wollte ich beides auf einmal“, sagt der Waltersdorfer mit erfrischenden Lachen, der später seiner Intuition folgte, um diesen Sehnsuchtsort zu finden. Er weiß, dass viele kein Verständnis für seinen unkonventionellen Lebensstil haben. Aber auch, dass manche ihn heimlich darum beneidet und bewundert haben.

Von klein auf zog es ihn hinaus in die Natur, wo beim Skateboard fahren oder Snowboarden kein Trick zu schwierig, kein Gefälle zu steil sein konnte. Der mutige Junge brauchte den Adrenalinkick. Erst als jugendliche Rechtsradikale auf den aufgeweckten 12-Jährigen mit dem krausen Haar, das seine ghanesischen Wurzeln verrät, aufmerksam wurden, zog Angst in seinen Alltag ein.

Nach der 11. Klasse verließ er das Gymnasium, um in Dippoldiswalde eine Ausbildung als Chemielaborant zu machen. Anders als erwartet, entwickelte sich sein Leben im Wohnheim. Er vermisste seine Familie, die Freunde und den Sport. Zunehmende Leere versuchte er mit Alkohol, Zigaretten und Computerspielen zu kompensieren. Als er einer Psychologin sagte, dass er weg wolle, vielleicht nach Kanada, meinte sie, er solle es probieren. Mit diesem Ziel im Hinterkopf schloss Tino die Lehre ab und bestand 2008 das Fach-Abi als Jahrgangsbester.

Doch seine Ersparnisse reichten nicht für das Vorhaben. Für die Unterstützung seiner Familie ist er deshalb heute noch dankbar. Mit dem Work-&-Travel-Visum für Kanada in der Tasche flog er nach Vancouver. Dort hielt er sich mit Jobs in Supermärkten über Wasser, bis er hörte, dass man im bekannten Skigebiet Whistler Blackcomb Saisonkräfte suchte. Ein Glücksfall. Er stellte sich vor, bekam den Job und arbeitete hoch motiviert für vier Monate in einer Bergbaude auf 2.247 Metern Höhe. Jeden freien Moment frönte der Snowboardfreak seinem Hobby. Wenn er mit lässigen Schwüngen Spuren im pudrigen Schnee hinterließ, vergaß er alles um sich herum und fühlte wieder Leichtigkeit.

Vor Ort schloss er sich Gleichgesinnten an, die von einem Roadtrip durch den Westen Kanadas und der USA bis Mexiko träumten. Erspartes legten sie zusammen, kauften einen alten Ford und gingen gemeinsam auf Tour. "Was für eine geile Zeit! Die Eindrücke, jeden Tag etwas Neues! Wir übernachteten zu dritt im Auto oder als Couchsurfer", erinnert sich der heute 36-Jährige und erzählt, dass er als gefühlt neuer Mensch nach Deutschland zurückgekommen sei. Er begann ein Studium der Biotechnologie in Berlin, brach es nach drei Wochen ab, weil die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben in der Natur größer war.

Minimalismus auf Rädern: Das Paar lebt im Van

Tino Rischawy beim Snowboarden in Lech in Österreich.
Tino Rischawy beim Snowboarden in Lech in Österreich. © privat
Mit Freundin Katharina.
Mit Freundin Katharina. © privat
Das Paar vor seinem alten Wohnmobil, mit dem es durch Europa tourt.
Das Paar vor seinem alten Wohnmobil, mit dem es durch Europa tourt. © privat

In 15 Jahren hat es den Weltenbummler mittlerweile in über 60 Länder verschlagen. Nur während der Wintersaison blieb er seiner österreichischen Wahlheimat Lech am Arlberg treu. Im Nobelskiort arbeitete der Oberlausitzer bis 2016 fast jedes Jahr für vier Monate im 5-Sterne-Hotel Sonnenburg. Dort war der coole Typ mit der positiven Ausstrahlung gern gesehen. Prominente Gäste mochten ihn, hörten staunend zu, wenn er an der Bar Drinks mixte und dabei von seinen Erlebnissen erzählte. Früh, noch bevor der Gästebetrieb begann, hinterließ er als Erster mit dem Snowboard Spuren im Schnee. Bis heute ist Lech für ihn ein Dreh- und Angelpunkt. Aber nicht allein wegen des Snowboardens, sondern weil er dort als Outdoor- und Actionfotograf gefragt ist.

Der Verdienst reichte zum Bestreiten seines Lebensunterhalts für den Rest des Jahres, wenn es ihn an exotische Orte trieb, wo die perfekte Welle zum Surfen lockte. „Wenn man in der Weite des Ozeans auf sich allein gestellt ist und versucht, mit der Natur in Einklang zu kommen, begreift man, wie klein der Mensch im Universum ist", beschreibt Tino das Phänomen.

Um in Panamas Inselparadies Bocas del Toro mit Freunden abgelegene Surfspots zu erreichen, besorgte er ein altes motorisiertes Holzboot. Im Dschungel Costa Ricas pachtete er ein heruntergekommenes Haus, brachte es in Ordnung und nutzte es als Hostel. Jahrelang experimentierte er mit seiner Digicam, um Emotionen des Moments so einzufangen, sodass der Betrachter des Fotos diese nachempfinden kann. Erst wenn das Licht, der Winkel und der Moment perfekt sind, drückt er auf den Auslöser, um dem Augenblick Dauer zu verleihen.

Sesshaft wurde er nirgends. Nur in Indonesien verlor er sein Nomadenherz für längere Zeit. Er mag die Menschen, deren Sprache er spricht, schwärmt von der kulturellen Vielfalt. Fünf Jahre erkundete der leidenschaftliche Surfer das Archipel der 17.000 Inseln. Über sein Netzwerk auf Facebook fand er Gleichgesinnte, die ihn bei seinen Abenteuern auf unbewohnten Inseln begleiteten.

2017 geriet sein gewohntes Leben aus den Fugen. Aufgrund eines schweren Unfalls und einer zweimaligen Infektion mit der Tropenkrankheit Dengue-Fieber verbrachte er fast zwei Jahre in Krankenhäusern und hatte Zeit zum Nachdenken. Zwischen Schmerz, Demut und Dankbarkeit begriff er, dass er seine Einstellung zum Leben, das er leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte, ändern müsse.

Seit Corona tourt er in einem alten Van durch Europa. An Minimalismus ist er gewöhnt, viel braucht er nicht. Nur auf sein Surfbrett und seine Freundin Katharina möchte er nicht verzichten. Von der Kommunikationsdesignerin hat er gelernt, die Sprache seiner Bilder zu vervollkommnen. Seit zwei Jahren betreiben sie gemeinsam ein Fotobusiness. Zu ihren Kunden zählen Luxushotels und große Firmen, wie Vans, Salzwasser oder Zalando. Seine Arbeiten beschreibt das ambitionierte Fotografenpaar, seien keine Inszenierungen der Makellosigkeit, wie oft bei klassischer Fotografie, sondern Ausdruck eines modernen Lebensgefühls: frisch, positiv und unangepasst. Gerade haben sie für eine Sommersurfkampagne der Kaffeemarke Grønenberg auf Mallorca fotografiert.

"Wir könnten unseren Kalender mit Aufträgen vollpacken. Aber eine klassische Dienstleistung ist nicht unser Ding. Wir wollen Spaß an unserem Job haben, tun alles mit ganz viel Herz und nehmen uns Zeit. Das macht unsere Fotografie einzigartig", sagt der Lebenskünstler, der seine Freiheit liebt.