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„Publikum hätte besser informiert werden können“: Panikforscher zum Feuer beim Highfield-Festival

Eine Massenpanik blieb aus, als auf dem Highfield-Festival zwei Gondeln eines Riesenrads brannten. War es also die richtige Strategie, das Konzert nicht zu unterbrechen? Das sagt Panikforscher Dirk Helbing zum Vorgehen der Verantwortlichen.

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Zwei Gondeln des Riesenrads auf dem Highfield-Festival am Störmthaler See haben am Samstagabend Feuer gefangen.
Zwei Gondeln des Riesenrads auf dem Highfield-Festival am Störmthaler See haben am Samstagabend Feuer gefangen. © SPM-Gruppe/dpa

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Leipzig. Als beim Highfield-Festival zwei Gondeln eines Riesenrads brennen, setzt Rapper Ski Aggu sein Konzert fort. „Ich will eure Ohren, ich will eure Aufmerksamkeit“, fordert er. Doch einige rufen ihm aus der Menge entgegen: „Halt’s Maul!“ Später wird er über Instagram erklären, dass er über einen Knopf in seinem Ohr gebeten worden sei, im Dialog mit den Fans zu bleiben. „Damit keine Massenpanik entsteht.“ War es am Samstagabend angesichts der Katastrophe die richtige Strategie? Oder ein Mangel an Pietät? Wir haben den Panikforscher Dirk Helbing von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich gefragt.

War es richtig, dass Rapper Ski Aggu mit seinem Konzert weitergemacht hat, als wäre nichts?

Der Künstler ist Anweisungen des Veranstalters gefolgt und hat damit wahrscheinlich die vereinbarten Sicherheitsprozeduren eingehalten. Er scheint das Beste gegeben zu haben, um die Menge von der Katastrophe abzulenken. Sehr gut kam das Gesagte allerdings nicht an. Ich kann verstehen, warum sich manche darüber geärgert haben. Gegenüber den Opfern des Riesenrad-Brands fand ich es aber eher pietätlos, dass das Musikfestival hinterher weiterging. Und dass man auch auf das Feuerwerk nicht verzichtete. Für die Verletzten, ihre Familien und Freunde tut es mir sehr leid.

Wie groß ist das Risiko einer Massenpanik in so einem Fall und mit welchem Verhalten können Verantwortliche die Gefahr minimieren?

Das lässt sich leider nicht pauschal beantworten, denn es gibt zu wenige Fälle dieser Art. Generell muss eine Veranstaltung so vorbereitet und gemanagt werden, dass sie ohne Massenpanik oder größere andere Gefahren für Leib und Leben von Teilnehmerinnen und Teilnehmern evakuierbar ist. Eine Angst vor einer Massenpanik sollte also bei guter Vorbereitung ungerechtfertigt sein. Von größeren Abweichungen von eingeübten Notfallplänen ist in der Regel abzuraten. Improvisation kann zusätzliche Gefahren bergen.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass erst recht Panik ausgebrochen wäre, hätte man das Konzert für eine ausdrückliche Durchsage unterbrochen, dass alle Ruhe bewahren sollen?

Es muss möglich sein, bei einem Massenevent Durchsagen in Krisensituationen zu machen, ohne dass eine Massenpanik ausbricht. Dafür sind geeignete Vorbereitungen zu treffen. Es wäre beispielsweise denkbar gewesen, dass die Sicherheitskräfte frühzeitig eine Durchsage über die Festivalanlage machen. In einem solchen Fall wäre die Vorgehensweise vermutlich glaubhafter und wirksamer gewesen. Das Publikum hätte insgesamt auch besser informiert werden können. Man hätte etwa darum bitten können, Telefonate zu unterlassen, um das Netz nicht zu überlasten. Etwas erstaunt bin ich darüber, dass es für das Riesenrad nicht für die Menge erkennbar eine Sicherheitscrew gab, die alles im Griff hatte.

Ist es im Nachhinein ein Glück im Unglück, dass es unter rund 30.000 Menschen nicht noch mehr Verletzte gab? Oder liegt es auch daran, dass richtig und gut reagiert wurde?

Ein wenig Glück im Unglück war vermutlich dabei, angesichts der Tatsache, dass offenbar improvisiert wurde. Spontan fallen mir zwei Massenveranstaltungen ein, wo man ähnlich vorgegangen ist. Die erste betraf ein Fußballspiel 2015 in Paris. Dort gab es außerhalb des Stade de France mehrere Terroranschläge, unter anderem in einem Konzertsaal. Für die Menge war es eindeutig sicherer, im Stadion zu bleiben. Der andere Fall betraf eine Faschingsveranstaltung 2010 mit mehr als 8000 Gästen in Köln. Hier war es eindeutig sicherer, die Menge zu evakuieren. In beiden Fällen ist der Plan aufgegangen. In Leipzig nur zum Teil, denn viele Leute liefen zum Riesenrad.

Zu Person

Dirk Helbing, 1965 in Aalen geboren, ist sowohl Physiker als auch Soziologe. Seit 2007 forscht und lehrt er als Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Seine Studien zur Modellierung von Verkehrsströmen – aber auch von Massenpaniken – haben die Wissenschaft über diese Phänomene stark geprägt. Von 2000 bis 2006 hatte Helbing einen Lehrstuhl an der TU Dresden, bevor es ihn beruflich in die Schweiz zog.