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"Wir werden als erste geschlossen": Museen unter Rechtsruck-Druck

In Zeiten gesellschaftlicher Spannungen müssen Museen Stellung beziehen. Wie weit sollten sie gehen, wo Grenzen ziehen, fragt eine Tagung in Dresden.

Von Oliver Reinhard
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Wie blicken Museen in de Zukunft? Verzweifelt, alarmiert oder zuversichtlich, wie dieses Trio im Hygiene Museum? Hunderte Fachleute haben das in Dresden diskutiert.
Wie blicken Museen in de Zukunft? Verzweifelt, alarmiert oder zuversichtlich, wie dieses Trio im Hygiene Museum? Hunderte Fachleute haben das in Dresden diskutiert. © Oliver Killig

Das Wahre, Gute, Schöne zeigen und damit der Bildung und Erbauung dienen – hartnäckig stemmen sich Museen gegen die ebenso hartnäckige Fehlannahme, eben das sei ihre vornehmliche Aufgabe und ihr eigentlicher Zweck. Und sollte es je einen Grundkonsens gegeben haben, was das Wahre, Gute, Schöne und Richtige sei; er wurde spätestens zerrieben in den seit einigen Jahren und bislang unaufhaltsam wachsenden und sich zuspitzenden gesellschaftlichen und politischen Konflikten. Jene „klaren Grundwerte“, die der Deutsche Museumsbund als Orientierung empfiehlt „bei der Entwicklung eines reflektierten Selbstverständnisses“, sind längst verunklarte Objekte teils erbitterter Debatten und werden vielfach schlicht abgelehnt.

Als die Bundesbeauftragte für Kultur, Claudia Roth, im Grußwort zur Tagung „Museen als aktive Orte der Demokratie“ im Deutschen Hygiene-Museum Dresden sagt, „Museen können dem Orientierungsverlust entgegenwirken“, lässt Hausherrin Iris Edenheiser das nicht unkommentiert: „Museen sollen die Kastanien für die Politik aus dem Feuer holen.“ Bundeskulturstiftungs-Leiterin Katarzyna Wielga wird noch klipper und klarer: „Wir werden nichts verhindern, was im politischen Raum nicht zu verhindern ist.“ Auch Museen sind keine Reparaturwerkstätten für die Demokratie.

Anspruch: auch demokratische Vielfalt zeigen

Hunderte Fachleute sind nach Dresden gekommen, um sich von Mittwoch bis Freitag darüber auszutauschen, wie sich die Aufgaben der Museen verändert haben. Die Gretchenfragen der Tagung: „Wie können Museen als Orte kultureller und politischer Bildung aktiviert werden? Gibt es Grenzen der Demokratisierung?“ Und: „Wie positionieren sie sich, wenn populistische, autoritäre und extremistische Bewegungen und Parteien sich gegen demokratische Grundwerte wie Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Pluralismus aussprechen?“

Das „wenn“ meint eigentlich „jetzt, wo“. In Sachsen und Thüringen kratzen politische Kräfte an den Mehrheiten oder überschreiten sie bereits, die das Grundverständnis von Museen infrage stellen oder entsorgen wollen: die Darstellung von Vielfalt, von Diversität, den Wesenszug einer freiheitlich-liberalen Demokratie.

"Schwules Museum wird als eines der Ersten geschlossen"

In Ländern wie Polen lässt sich beobachten, welche Folgen eine Re-Nationalisierung und -Patriotisierung von Museen zeitigen. Vielfach gibt es dort keine selbstkritischen Auseinandersetzungen mehr mit der eigenen Kultur und Geschichte. Obendrein stehen wie einst auch hierzulande nur alteingesessene Mehrheiten und deren Interessen im Fokus, die von Minderheiten werden oft ausgeblendet. Ergebnis: Man zeigt herbeikonstruierte Homogenität statt reale Heterogenität.

„Staatliche Museen sind politisch abhängig“, so Schriftsteller Max Czollek. Er verweist auf die Zusage von Mitteln; das würden Museen in Thüringen bald zu spüren bekommen. Czolleks Seufzer „Wir werden weniger werden“ mag nach Drama Queen klingen, unberechtigt ist er nicht. „Das Schwule Museum wird als eines der Ersten geschlossen werden“, sagt die Leiterin dieser Berliner Institution, Birgit Bosold. Mit Blick auf Sachsen, wo eben jene Kräfte in zwei Landkreisen bereits versucht haben, Stellen von Beauftragten etwa für Gleichstellung, Integration, Sorben und Ausländer zu kürzen oder zu kippen, kann man Bosold schwerlich widersprechen.

"Das Museum ist eine Polarisierungsmaschine"

Was also tun? Wie umgehen damit, dass Museen zunehmend mit reaktionären Einflüssen konfrontiert sind, über Publikumsreaktionen, über Shitstorms, über sonstige Übergriffe bis zum Hakenkreuz im Gästebuch? Das Wort „Resilienz“ ist auch da stark in Mode. „Bloß nicht!“, warnt die Dresdner Politikwissenschaftlerin Anja Besand. „Wir dürfen vieles nicht einfach nur aushalten.“ Ihre Mahnung erinnert daran: „Resilienz“ wird oft als „erdulden“ und „ertragen“ verstanden, was auf Dulden und Tragen hinauslaufen kann. Auch von Diskriminierung, auch von Rassismus. Bonaventure Ndikung vom Berliner Haus der Kulturen der Welt inspiriert das zum Bonmot: „Wir können es uns nicht leisten, keinen Widerstand zu leisten.“

Marion Ackermann spricht angesichts der „Umwidmung unserer alten Werte“ einen Begriff aus, der eh im Raum schwebt. „Das Konzept der wehrhaften Demokratie wird immer präsenter“, sagt die Leiterin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. „Wir haben in den letzten drei Jahren viel mehr ausgeschlossen und Grenzen gezogen. Rote Linien sind für uns neue Erfahrungen.“ Der traditionellen Erwartung vieler Traditionalisten an Museen – „Macht was Schönes, löst keine Konflikte aus“ – erteilt Ackermann ebenfalls eine Abfuhr: „Das ist weder die Aufgabe von Kunst noch der Museen.“ Nicht anders Anja Besand. Reaktionäre Ideen in die Museumsarbeit einbinden? „Da bin ich nicht so dabei. Das Museum ist eine Polarisierungsmaschine, und das ist gut für die Demokratie.“

Soll man in Museen gendern oder nicht?

Wie schwer das mitunter auszuhalten ist, spiegelt zum Beispiel Sibylle Lichtensteiner aus der Schweiz, Leiterin des Stapferhauses Lenzburg, im Ansatz verwandt mit dem des Hygiene-Museums. Sie und ihr Team haben unter anderem eine Ausstellung zum Thema „Geschlecht“ gemacht und dabei intensiv mit Jugendlichen zusammengearbeitet. Mit schönen und weniger schönen Erfahrungen. „Manche Reaktionen waren sehr unangenehm, in einigen Schulklassen herrschte massive Homophobie.“ Doch das müsse man aushalten, so Lichtensteiner. „Was bleibt uns anderes übrig, außer am Dialog festzuhalten?“

An dieser Stelle und auch sonst gelegentlich, obwohl leider zu wenig und zu soft, flimmert eine Kontroverse auf. Soll man die Grenzen des zu Ertragenden so weit ziehen wie am Stapferhaus – oder viel früher einschreiten? Dafür gibt es keine verbindliche Regel. Ebenso wenig dafür, ob man in Museen gendern sollte. „Wir tun das oft, haben es aber bei ,Geschlecht‘ absichtlich nicht gemacht“, sagt Lichtensteiner, „weil wir auch für empfindsame Cis-Männer niedrigschwellig sein wollten.“

Viele Museen sind nicht wirklich demokratisch

Das sehen andere Diskutierende, die auch verbal niemanden unangesprochen lassen wollen, nicht so. „Wir haben ohnehin viel zu wenig Diversität in den Museen bei den Themen, beim Personal, in den Gremien“, stellte Sithara Weeratunga vom Leipziger Museum der Bildenden Künste klar. Insofern seien auch Museen selbst vielfach nicht wirklich demokratisch.

Für die Dresdner Tagung gilt das immerhin nicht. Vertreterinnen und Vertreter der Kulturpolitik sind ebenso dabei wie Menschen von großen und kleinen Institutionen. Sie tauschen sich in Panels und Workshops aus, wechseln Erfahrungen, lernen voneinander. Ein weiterer hoher Anspruch an sich selbst ist Partizipation, ist Teilhabe, ist demokratisches Arbeiten. Schließlich ist die Veranstaltung das Finale eines gleichnamigen vierjährigen Großprojekts, dem es auch darum ging, wie man aus den Häusern den „Outreach“ übt. Also den Gang in die Regionen, zu Menschen, die Museen oft nicht erreichen, um sie in die Arbeit zu integrieren.

Konfliktscheue gehört zur Vielfalt

So wie das Oderbruch Museum Altranft von Kenneth Anders. „Wie konzentrieren uns auf Themen, die für die Menschen vor Ort eh schon wichtig sind wie Wasser, Natur, Landwirtschaft“, schildert er. Diese Inhalte werden von den Oderbruchern selbst eingebracht und vom Museum umgesetzt. Anders setzt dabei „auf Beschreibungen, nicht auf Urteile und Bewertungen.“ Was man auch als Konfliktscheue und Haltungslosigkeit verstehen könne, sagt eine Tagungs-Besucherin leise zur Nachbarin.

Aber auch dies gehört zur Vielfalt der Veranstaltung. Wie weit gespannt sie ist, zeigt gelegentlich schon die Sprache. Etwa wenn Kenneth Anders von „Landschaften“ sowie „freundlichen Bildern“ spricht und Doreen Mende von den Staatlichen Kunstsammlungen „Perspektiven verflochtener Internationalitäten“ elaboriert. Die Museumslandschaft kann und wird das aushalten. Die Demokratie sowieso.