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Wie blickt ein legendärer Kabarettist auf sein Leben, Herr Bernd-Lutz Lange?

Der Leipziger Bernd-Lutz Lange wird am Montag 80 Jahre alt. Im Interview erzählt er von erlebten Umbruchzeiten, erfüllten Träumen – und warum er an Frieden glaubt.

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Legendärer Kabarettist und Sachse: Bernd-Lutz Lange.
Legendärer Kabarettist und Sachse: Bernd-Lutz Lange. © dpa Deutsche Presse Agentur

Bernd-Lutz Lange stammt aus Zwickau auf. Nach einer Gärtnerlehre arbeitete er in der LPG „Sieg des Sozialismus“. 1963 wurde Lange Hilfskraft in einer Volksbuchhandlung und absolvierte eine zweite Berufsausbildung zum Buchhändler. In dieser Zeit sammelte er erste Bühnenerfahrungen als Sänger in den drei Bands. 1966 wurde er Gründungsmitglied des Studentenkabaretts „academixer“. 1988 verließ Lange die „academixer“. Er machte sich als Autor und Kabarettist selbstständig. 2014 verabschiedete er sich von der Bühne. Ein Interviewe mit dem Jubilar.

Herr Lange, haben Sie einen unerfüllten Traum zum 80. Geburtstag?

Ich habe mit 14 Jahren davon geträumt, Schriftsteller oder Autor zu werden. Ich habe mir den Traum erfüllt. Was will ich mehr? Ab jetzt ist jedes Jahr eine Prämie, aber die verringert sich künftig auf Monate und Tage.

Was macht Ihre Generation aus?

Meine Generation darf sich schon deshalb glücklich schätzen, weil wir zwar im Krieg geboren wurden, aber seit fast 80 Jahren in Frieden leben dürfen. Ich hatte als Kind außerdem großes Glück, weil mein Vater, im Gegensatz zu vielen anderen Soldaten, nach Hause zurückkehrte. Die Nachkriegszeit brachte andere Werte als heute hervor, materielle Dinge spielten keine Rolle.

Was spielte eine Rolle?

Nachdem wir am 13. Februar 1945 in der Stöckelstraße 100 in Dresden die Bombennacht überlebt hatten, flüchtete meiner Mutter mit mir als Baby und meinem zwölf Jahre älteren Bruder zu Verwandten nach Zwickau, wo nur etwa 70 Häuser zerstört wurden. Wir überlebten den Krieg. Als Jugendlicher begriff ich, dass wir einer großen Katastrophe entgangen waren. Später wuchs ich auf mit dem Gedanken an den Krieg, mit der Friedenstaube und der Bedrohung durch den Atompilz. Als 1953 während des Arbeiteraufstandes plötzlich der Ausnahmezustand ausgerufen wurde und Panzer bei uns in der Straße standen, bekam ich Angst, weil ich dachte, der Krieg kehrt zurück.

Geht es Ihnen jetzt wieder so, denken Sie, der Krieg kehrt zurück?

Ich habe ein gewisses Gottvertrauen, dass das nicht passieren wird. Apokalyptisches Denken ist mir fern. Doch die Zeit ist kritisch geworden, es muss der diplomatische Druck erhöht werden. Mehr Waffen haben jedenfalls bisher keinen Frieden gebracht, das wirkt eher als Spirale nach oben. Ich hoffe sehr, dass endlich eine friedliche Lösung gefunden wird.

Können Sie im Rückblick sagen, was die beste Zeit Ihres Lebens war?

Ich kann sagen, was die hoffnungsvollste Zeit war.

Darf ich raten?

Wenn es Ihnen Spaß macht.

Die friedliche Revolution 1989 in Leipzig?

Darüber reden wir sicher noch. Aber ich meine die 1960er-Jahre. Ich war jung, absolvierte nach meiner Gärtnerlehre in der Stadtgärtnerei in Zwickau und einer anschließenden kurzen Tätigkeit in der LPG „Sieg des Sozialismus“ in Model eine zweite Ausbildung zum Buchhändler. 1965 zog ich nach Leipzig, um dort ein Studium an der Fachschule für Buchhändler in Leutzsch zu beginnen. 1966 gründete ich gemeinsam mit Gunter Böhnke, Christian Becher und Jürgen Hart das Studentenkabarett „academixer“. Mit meinen Freunden war ich zudem voller Hoffnung, dass der Sozialismus reformiert werden könnte.

Was verstanden Sie darunter?

Wir sahen in Prag, wie es möglich schien, dass Führung und Volk über ihre gesellschaftliche Entwicklung einer Meinung waren. In der DDR ließ sich am 1. Mai 1968 die Parteiführung vom Volk feiern, in Prag ging die Parteiführung gemeinsam mit dem Volk demonstrieren. Es schien ein demokratischer Sozialismus machbar. Dieses neue Gesellschaftsmodell zwischen Sozialismus und Kapitalismus hätte meiner Meinung nach dieser Welt gutgetan. Die Kreativität aller Menschen nutzen und nicht das Diktat einzelner hinnehmen, das schien mir der richtige Weg.

In Ihrem neuen Buch „Café Continental“ nehmen Sie Bezug aufs legendäre Café Corso in Leipzig, wo viele Künstler diskutierten. Wie erlebten Sie Leipzig?

Ich kam aus Zwickau und nahm Leipzig als Weltstadt wahr. Wie ein staunender Junge lief ich durch die Messestadt, lernte Menschen kennen, von denen viele Freunde wurden. Sie machen noch heute neben der Familie für mich den größten Wert des Lebens aus. Im Café Corso philosophierten wir mit Studenten, Künstlern und Wissenschaftlern über die Zukunft des Landes und der Welt. Das war ein Hort der Visionen einer künftigen Gesellschaft, aber den SED-Funktionären ein Dorn im Auge. Im Januar 1968 wurde das Café geschlossen und das Gebäude abgerissen, wegen eines Bauvorhabens, das allerdings nie zur Ausführung kam. Das steht natürlich symbolisch.

Sie gehörten neben Kurt Masur zu den Sechs von Leipzig, die am 9. Oktober zu Gewaltfreiheit als Grundlage für freien Meinungsaustausch aufriefen. Sahen Sie 1989 erneut die Chance, den Sozialismus zu reformieren?

Ich habe im Leipziger Herbst immer an den Prager Frühling gedacht. Erstmals gestanden in dem Aufruf mit uns gemeinsam SED-Funktionäre ein, dass das Land DDR ein Problem hatte. Ein Dialog und Veränderungen schienen möglich. Wir hatten uns in der großen Sorge zusammengefunden, um zu verhindern, dass es an dem Montag den ersten Toten geben könnte. Denn in der Leipziger Volkszeitung hatte ein Kommandeur der Kampfgruppe Tage vorher unverhohlen mit dem Einsatz von Waffen gedroht, um die Demonstrationen zu beenden. Die Führung in Berlin reagierte an diesem 9. Oktober nicht mehr, so konnte vor Ort entschieden werden. Es lebe die Zögerlichkeit der Macht, keiner hat sich ja getraut, etwas zu entscheiden. Es gelang, dass die Truppen sich zurückzogen und nicht eingriffen. Freie Gespräche konnten beginnen, viele Ideen, viel Kreativität der Menschen entwickelten Reformen des Sozialismus. Aber tatsächlich ging die Revolution zur Umsetzung dieser alten neuen Idee nur vom 9. Oktober bis zum 9. November 1989. Nach dem Fall der Mauer war das vorbei.

Fühlten Sie sich erneut als Verlierer Ihrer Hoffnungen?

Ich bin nicht enttäuscht, sondern letztlich ein Gewinner der Revolution, keine Frage. Gemeinsam mit Gunter Böhnke hatte ich mich ja schon 1988 selbstständig gemacht, wir tourten mit einem eigenen Programm und setzten diese Zusammenarbeit nach 1990 fort, zeigten unsere satirischen Stücke im gegründeten MDR. Ich verfasste neue Kabarettprogramme, trat später jahrelang gemeinsam mit Katrin Weber auf, schrieb meine ersten Bücher. Ich konnte mich also beruflich entwickeln und endlich in die ganze Welt reisen. Gleichwohl sehe ich vieles sehr kritisch. Zwar wurde ein morsches Land baulich gerettet, die Flüsse und die Luft sind wieder in Ordnung. Aber symbolisch ist für mich: Die Fassaden sind wieder schön, aber das Innenleben wirkt wie entkernt. Das anonyme Volkseigentum ging über in privates Eigentum. Während wir in Leipzig noch um den Ring gingen, hatten Immobilienhändler aus dem Westen die Häuser am Ring bereits für sich reserviert. Viele Menschen im Osten sind auf der Straße gelandet, auf der sie gerade noch demonstriert hatten.

Ist der große Traum doch unerfüllt geblieben?

Am Ende meines neuen Buches steht der Satz: Ich bin den Hoffnungen, die ich begraben musste, treu geblieben. Es bleibt bei mir keinerlei Verbitterung. Nur mach ich mir viel Gedanken über die momentane Entwicklung. Die Sorgen der Menschen werden von der Ampelregierung nicht ernst genommen, uneingeschränkte Migration zum Beispiel kann nicht funktionieren. Die Politik ist zu ideologisch geworden, die Grünen überfordern mit ihren Forderungen die Menschen und sind nur eingeschränkt dialogfähig. Da muss sich etwas ändern.

War das jetzt Ihr letztes Buch?

Ich befinde mich ja im Zeitalter des Aufräumens. Immer, wenn ich ein Buch geschenkt bekomme, verschenke ich sofort wieder eines aus meiner Bibliothek. Ich finde Zettel in Mappen mit Notizen. Das war auch die Inspiration für „Café Continental“. Aber ich finde immer noch Zettel mit Notizen …

Interview: Peter Ufer

TV-Tipp: „Der lange Langeabend – eine Hommage an Bernd Lutz Lange“, 20. Juli, 20.15 Uhr, MDR