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Warum so viele Ostdeutsche AfD und Sahra Wagenknecht wählen

Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk attestiert vielen Ostdeutschen einen „Freiheitsschock“, den sie 1990 erlitten und bis heute nicht völlig verwunden hätten.

Von Oliver Reinhard
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Die DDR-Arbeitsgesellschaft war durchorganisiert wie hier beim Pioniertreffen in Dresden 1982 und umfasste Kultur, Sport, Freizeit, Urlaub. Als sie zusammenbrach, verloren viele auch ihre sozialen Haltepunkte. Diese Erfahrungen sind bis heute wirksam.
Die DDR-Arbeitsgesellschaft war durchorganisiert wie hier beim Pioniertreffen in Dresden 1982 und umfasste Kultur, Sport, Freizeit, Urlaub. Als sie zusammenbrach, verloren viele auch ihre sozialen Haltepunkte. Diese Erfahrungen sind bis heute wirksam. © dpa-Zentralbild

Er ist ein renommierter Kenner der DDR und deren Nachwirkungen bis heute. Mit seinem Buch „Freiheitsschock“ legt der gebürtige Ostberliner Ilko-Sascha Kowalczuk nun eine Anti-Oschmann-Streitschrift vor. Sie schoss auf Anhieb an die Spitze der Bestsellerlisten, seither ist ihr Autor ein viel gefragter Dauergast in den Medien, denn kaum ein ostdeutscher Wissenschaftler spricht derart (selbst-) schonungslos über "den Osten". Wir sprachen mit dem 57-jährigen Historiker und Publizisten darüber, warum es vom Kap Arkona bis Zwickau weniger Bindungen an liberale Werte westlicher Prägung und freiheitliche Demokratie gibt, woher die radikalen und extremistischen Neigungen vieler Menschen sowie die Schwäche des Widerspruchs dagegen rühren – und warum die Russlandfreundlichkeit im Osten Deutschlands so ausgeprägt ist.

Sie halten Freiheit und Demokratie in Deutschland für so stark bedroht wie lange nicht. Warum, Herr Kowalczuk?

Wir befinden uns in Deutschland ja nicht im luftleeren Raum. In vielen Ländern Europas und der Welt sind Extremisten auf dem Vormarsch. In Deutschland können wir das vor allem im Osten beobachten nicht zuletzt am Aufstieg von AfD und BSW. Beide stehen für die Überwindung der repräsentativen Demokratie, beide streben eine Diktatur der Mehrheit an, beide stehen gegen liberale Staatsvorstellungen, gegen westliche Werte und für einen autoritären Staat.

Sie führen den Erfolg dieser Parteien im Osten unter anderem auf einen „Freiheitsschock“ zurück, den viele Ostdeutsche nach 1990 erlebt hätten. Worin genau besteht der ihrer Meinung nach?

Das hat etwas mit falschen Vorstellungen von der Demokratie zu tun und falschen Erwartungshaltungen. Viele glauben, Freiheit und Demokratie würden automatisch auch ein Wohlstandsversprechen beinhalten. Das ist aber nur der seltene Idealfall. Die Neunziger brachten für zahllose Menschen im Osten erst einmal einen großen sozialen Schock. Es gab biografische Brüche, hohe Arbeitslosigkeit – was man im Osten vorher nie gekannt hat -, und massenhafte Abwanderung. Viele mussten sich mühsam umorientieren. Der Wohlstand stellte sich dann erst allmählich ein, auch in Sachsen.

Laut sämtlichen Umfragen sind auch die allermeisten Sächsinnen und Sachsen mit ihrer persönlichen und sozialen Situation zufrieden. Wirkt der Schock trotzdem nach?

Ja, weil in den Neunzigern viel zu wenige begriffen haben: Demokratie heißt eben auch, sich einzumischen, selbst aktiv zu werden, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, weil Demokratie nun mal von Partizipation lebt. Das aber hat nirgendwo im Ostdeutschland in wirklich größerem Maße geklappt. Deshalb ist das, was man Zivilgesellschaft nennt, hier auch nur schwach ausgeprägt. Was man unbedingt anerkennen muss, ist die große Grundverunsicherung seit den Neunzigern, die durch die Finanzkrise von 2008 und ab 2015 durch die Migration bis hin zur digitalen Revolution immer wieder neue Nahrung bekommen hat. Dadurch haben sich viele Menschen im Osten vom liberalen Staat und seinen liberalen Gesellschaftsvorstellungen immer weiter entfremdet. Genau an dem Punkt setzt das Versprechen von AfD und BSW eines autoritären Staates an, der wieder, wie in der DDR, die Menschen aus der Verantwortung nehmen und sich für sie um alles kümmern wird.

Die DDR versprach ihren Bürgerinnen und Bürgern soziale Sicherheit. Im Gegenzug sollte das Volk widerspruchslos mitmachen und sich ansonsten aus der Politik heraushalten. Die Demokratie aber funktioniert nur, wenn die Bürger auch Mitverantwortung für das
Die DDR versprach ihren Bürgerinnen und Bürgern soziale Sicherheit. Im Gegenzug sollte das Volk widerspruchslos mitmachen und sich ansonsten aus der Politik heraushalten. Die Demokratie aber funktioniert nur, wenn die Bürger auch Mitverantwortung für das © dpa-Zentralbild

Sie schreiben in Ihrem Buch, die großen Verlusterfahrungen der Neunziger erstreckten sich nicht nur auf den Arbeitsplatz, sondern auf einen großen Teil der sozialen Beziehungen. Wie meinen Sie das?

Die DDR war sehr stark geprägt durch eine Arbeitsgesellschaft, die ¬- anders als in der Bundesrepublik - wirklich allumfassend war. Zur Arbeitsgesellschaft gehörte auch Kultur, gehörte Sport, gehörte die Urlaubsgestaltung. Und man darf nicht vergessen: 95 Prozent der DDR-Bürger waren de facto Staatsangestellte. Das hat die Mentalität stark geprägt. Und das Erste, das 1990 zusammenbrach, war diese Arbeitsgesellschaft, als Menschen aus den Kombinaten, Betrieben und den staatlichen Einrichtungen entlassen wurden.

Was dann logischerweise zum Zusammenbruch aller Strukturen führte, die vorher Halt gegeben hatten?

Genau. Man hatte sich viel zu lange Illusionen über das westliche System gemacht hat und war mit dessen Glorifizierung gewissermaßen einer Selbsttäuschung erlegen. Alles, was aus dem Westen kam, musste ja gut sein und golden glänzen. Insofern ging es auch darum, alles nachzuahmen. Deshalb gab es keinen größeren Widerstand gegen die Übernahme. Doch die Menschen mussten sehr schmerzhaft erfahren, dass der Westen nicht so golden war, wie sie gedacht hatten. Deshalb haben viele im Osten auch nie wirklich enge Bindungen an die westliche geprägte freiheitlich-liberale Demokratie entwickelt. Im Gegenteil: Da herrschte und herrscht großes Misstrauen vor.

Sahra Wagenknecht und ihr BSW versprechen den Menschen laut Ilko Sascha Kowalczuk einen autoritären Staat, der wie in der DDR die Menschen aus der Verantwortung nehmen und sich für sie um alles kümmern wird.
Sahra Wagenknecht und ihr BSW versprechen den Menschen laut Ilko Sascha Kowalczuk einen autoritären Staat, der wie in der DDR die Menschen aus der Verantwortung nehmen und sich für sie um alles kümmern wird. © Bernd von Jutrczenka/dpa (Symbolbild)

Sie zählen viele Kontinuitäten aus DDR-Zeiten auf, die im Osten weiterhin bestehen, zum Beispiel Nationalismus und Rassismus. Aber gibt es nicht auch die Kontinuität eines Fremdbestimmungsgefühls, früher durch die SED, heute durch „den Westen“?

Wir dürfen eins nicht vergessen: Der Osten hat den Weg selbst bestimmt und hat ihn auch durch Wahlen immer wieder legitimiert. Schnelle DM und schnelle Einheit hatte großen Kosten, was die Mehrheit nicht einkalkuliert hatte. Es ist unstrittig, dass nach 1990 eine sehr große ostdeutsche Repräsentationslücke entstand und es bis heute eine deutliche Dominanz von Westdeutschen innerhalb sämtlicher Führungsschichten und Eliten im Osten gibt. Und es kam ja auch, freundlich ausgedrückt, zu vielen Missverständnissen. Sehr oft wurde der Osten vom Westen wie ein Exot behandelt, und es wurde über ihn gesprochen wie über einen Tierpark. Das hat viele Menschen verletzt.

Vollkommen zu Recht. Und diese Verletzungen und Marginalisierungserfahrungen wirken sich bis heute aus.

Ja! Leider sind wir aus dieser Spirale nie wieder so richtig herausgekommen, weil wir im Osten das lange Zeit auch immer wieder selbst reproduziert haben. Am 18. März 1990 haben sich die Menschen hier durch ihr Votum bei den Volkskammerwahlen für den schnellen Beitritt und die Übernahme der DDR ausgesprochen. Sie wollten diese Einheit, sie wollten die D-Mark, sie wollen BMW statt Trabi und das Rechts- und Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland. Sie wollten die westlichen Institutionen, die in Ihren Augen Stabilität garantierten. In Sachsen und Thüringen konnte das Tempo gar nicht hoch genug sein – schauen Sie sich mal die Wahlergebnisse an. Viele setzten auf den Paternalismus, der ihnen angeboten worden ist.

Was halten Sie von der These, der Osten sei vom Westen kolonialisiert worden?

Nichts. Wer sich in der Kolonialgeschichte auch nur ein bisschen auskennt, der weiß, wie absurd dieser Vergleich ist. Es war keine Kolonialisierung, sondern eine herbeigewählte Demokratisierung. Das Problem für den Westler war: Er hat geglaubt, die Ostler wollen genau diese Demokratie und diese Freiheit, weil er davon ausgegangen ist, diese Begriffe und Werte würden sich selbst erklären. Und es wäre klar, dass dieser Weg nur mit dem Übernehmen von Verantwortung, mit dem Sich-Einbringen und damit gangbar ist, dass man sein Schicksal und seine Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen muss. Aber dazu waren viele nicht bereit.

Vielleicht waren viele dazu auch einfach noch nicht in der Lage?

Genau. Es war nicht nur Unwille im Spiel, sondern auch Überforderung. Viele hatten nicht durchschaut, wie das neue System funktioniert, und es wurde ihnen auch nicht erklärt. Außerdem waren etliche damit vollauf beschäftigt, ihre eigenen Angelegenheiten, die sozialen Verwerfungen und beruflichen Umorientierungen irgendwie zu bewältigen. Denken Sie nur daran, in wie vielen Familien die Kinder ohne ihre Eltern zurechtkommen mussten, weil die damit beansprucht waren, sich in den neuen Verhältnissen zurechtzufinden. Dadurch sind viele überwältigt worden. Und ich denke, nicht wenigen ist erst bewusst geworden, was da eigentlich mit ihnen passiert, als es für vieles schon zu spät war.

Zum Beispiel für eine Identifikation mit der liberalen westlichen Demokratie, unter der sie so viele persönliche Schwierigkeiten bekommen hatten? Das wirkte sich ja in Russland zeitgleich noch stärker aus, weil dort das Elend noch viel schlimmer war als in Ostdeutschland.

Zum Beispiel. Und diese Erfahrungen - das ist der entscheidende Punkt - werden weitergegeben an die jüngeren Generationen. Eben das ist ein wichtiger Grund dafür, dass es im Osten keine lebendige, starke Zivilgesellschaft gibt, die zum Beispiel angesichts von offenem Extremismus, Rassismus und Feindlichkeit gegenüber der repräsentativen Demokratie ebenso offen dagegenhalten würde. Obwohl der Faschismus in Ostdeutschland seit einigen Monaten wieder so deutlich sichtbar ist, wie er es schon in den Neunzigern gewesen war, in den sogenannten Baseballschlägerjahren.

Auch die AfD und ihr Sächsischer Landesvorsitzender Jörg Urban punkten bei vielen Menschen mit ihrem Vorhaben, eine illiberale Demokratie nach ungarischem Vorbild anzustreben, in der nur die Mehrheit zählt und Minderheiten keine Rolle spielen.
Auch die AfD und ihr Sächsischer Landesvorsitzender Jörg Urban punkten bei vielen Menschen mit ihrem Vorhaben, eine illiberale Demokratie nach ungarischem Vorbild anzustreben, in der nur die Mehrheit zählt und Minderheiten keine Rolle spielen. © Sebastian Kahnert/dpa

Gibt es etwas Besonderes an den Demokratievorstellungen Ost?

Ja, etwa darin, dass viele Menschen hier glauben, allein die Tatsache, dass eine Partei demokratisch gewählt wurde, macht sie auch zu einer demokratischen Partei. So ist die AfD zwar eine Partei, die demokratisch gewählt wurde und im Inneren demokratisch organisiert sein mag. Sie steht aber nicht für demokratische Werte. Ebenso wie das Bündnis Sahra Wagenknecht, das nicht mal demokratisch innerparteilich organisiert, sondern streng autokratisch auf eine Person zugeschnitten ist. Das ist praktisch ein Ein-Personen-Wahlverein.

Die Demokratie an sich hält auch in Sachsen eine große Mehrheit für die beste Regierungsform. Allerdings geht es vielen dabei eher um eine illiberale Demokratie nach ungarischem Vorbild …

Die Menschen, auf die Sie sich beziehen, zeichnen sich durch ein merkwürdiges Demokratieverständnis aus, wobei Minderheitenrechte keine Rolle mehr spielen. Sie bevorzugen faktisch eine Diktatur der Mehrheit. Demokratie beruht aber auf Aushandlungen, dabei geht es nicht um Konsens, sondern um Kompromisse, die oftmals mühsam herbeigeführt werden müssen. Wenn man für diese Prozesse kein Verständnis hat - und ich behaupte, viele Ostdeutsche haben dafür kein Verständnis -, dann hat die repräsentative Demokratie, die sich auf das Grundgesetz beruft, ein großes Problem. Eine Parteidemokratie mit einer solchen geringen Parteibindungsquote wie im Osten hat ebenso ein großes Problem wie die Offene Gesellschaft ohne eine lebendige Zivilgesellschaft – wie im Osten.

Ist auch Illiberalität eine Kontinuität, die schon zu DDR-Zeiten begonnen hat?

Schon viel früher. Mit Ausnahme der kurzen Weimarer Republik konnten die Menschen im heutigen Ostdeutschland noch nie wirkliche Erfahrungen mit der Demokratie machen. Was es der SED sehr leicht gemacht hat, diese antidemokratische und illiberale Geschichte fast 40 Jahre fortzuschreiben.

Unser Gesprächspartner Ilko-Sascha Kowalczuk ist Historiker und Publizist sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung der Wissenschaften und Kultur. Er ist einer der renommiertesten deutschen Experten für die Geschichte der D
Unser Gesprächspartner Ilko-Sascha Kowalczuk ist Historiker und Publizist sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung der Wissenschaften und Kultur. Er ist einer der renommiertesten deutschen Experten für die Geschichte der D © dpa

Sie schreiben von einem nicht nur, aber gerade auch im Osten weit verbreitete Gefühl angesichts der vielen Krisen: die Sehnsucht, seine Ruhe zu haben. Genauer: … so wie früher. Für viele heißt das ja ausdrücklich: wie in der DDR.

Eben das lässt die DDR für viele Menschen wieder zu einem Sehnsuchtsort werden. Allerdings hat diese DDR, wie sie da imaginiert wird, niemals existiert. Konkret drückt sich darin die Sehnsucht nach den Vorteilen aus, die ein autoritärer Staat bietet, der den Bürgern verspricht: Wir regieren in eurem Sinne durch, ihr selbst müsst euch um nichts kümmern. Wir sorgen für Ruhe und Sauberkeit und Homogenität – Vorstellungen, die im Osten weit verbreitet sind.

Sie nennen in Ihrem Buch eine weitere Kontinuität: die antiwestliche Haltung. Viele erklären damit die Tatsache, dass es im Osten mehr Russlandnähe und mehr Verständnis für die Politik und Positionen Putins gibt. Sie auch?

Die antiwestliche Haltung war in der DDR-Staatsdoktrin und wurde der gesamten Bevölkerung von Kindesbeinen an ständig impliziert. Und Fakt ist: Es existiert heute wieder zwischen Kap Arkona und Fichtelberg in vielen Köpfen ein unfassbarer Hass auf den Westen, gepaart mit einem sehr stark ausgeprägten Antiamerikanismus. Davon profitieren gleichermaßen AfD und BSW, in deren Programmen, außenpolitischen Inhalten und Äußerungen antiwestliche und prorussischen Sichten ja äußerst dominant sind. Die Nähe zu Russland und dessen Diktator Putin ist vor allem eine Entfernung zum Westen geschuldet. Von Russland selbst haben die meisten Ostdeutschen Null Ahnung!

Nicht nur Politiker von AfD und BSW behaupten ja, „die Ostdeutschen“ hätten mehr Verständnis für Russland, weil sie über das Land und die Menschen besser Bescheid wüssten …

… und das ist totaler Quatsch! Es gab nichts, was im Osten mehr gehasst wurde als der Russischunterricht und die Russen. Nein, man weiß nicht mehr über einen Staat und eine Gesellschaft, nur weil es die Propaganda so will, weil es im Schulunterricht dauerhaft vorkam. Die wenigsten befassten sich damals mit sowjetischer Geschichte, Literatur oder Musik. Die Russlandfreundlichkeit ist eher eine Gegenreaktion auf die USA-Nähe vieler Westdeutscher und des manifesten Hasses auf „den Westen“, nach dem Motto: Meines Feindes Feind ist mein Freund. Deswegen gibt es im Osten auch kaum Solidarität mit der Ukraine, und deswegen wollen viele, dass keine Militärhilfe mehr geleistet wird.

… und die Ukraine notfalls auch einem Unterwerfungsfrieden zustimmt?

Richtig. Noch etwas kommt hinzu: Die Bewunderung vieler Ostdeutscher für ein autoritäres System wie das von Wladimir Putin. Mich macht das wütend – wer nicht an der Seite der Ukraine steht, verrät die Freiheit! Das geht so weit, dass AFD und noch mehr Sahra Wagenknecht mit ihren ewigen Forderungen nach Verhandlungen und notfalls einem Unterwerfungsfrieden der Ukraine letztlich behaupten: Frieden kann nur Putin garantieren. Womit Frau Wagenknecht wieder aufgreift, was die Kommunistische Internationale schon immer gesagt hat: Der Frieden kann nur von Kommunisten garantiert werden, weil dem Kapitalismus der Krieg wesenseigen ist. Warum hat Wagenknecht eigentlich noch nie etwas vom Kreml gefordert, immer nur von der Ukraine oder der Nato?

Weil nicht nur sie meint, der Westen sei für den Krieg hauptverantwortlich?

Eben das steckt dahinter, obwohl das absurd ist. Und es ist doch wirklich aberwitzig, dass Sahra Wagenknecht so etwas jetzt wieder in die Landtagswahlkämpfe in Sachsen, Thüringen und demnächst Brandenburg einbringt, sogar als Koalitionsbedingung, obwohl das ein bundespolitisches Thema ist. Und da bin ich wieder bei meinem Hauptthema: Es gibt keinen Frieden ohne Freiheit. Jeder Frieden ohne Freiheit ist ein Friedhofsfrieden, eine Friedhofsruhe. So wie in der DDR. Aber diese von vielen heute behauptete angeblich friedliche DDR war überhaupt nie friedlich, zu keinem Zeitpunkt ihrer Existenz. Das Regime führte stattdessen Tag für Tag Krieg gegen die eigene Gesellschaft. Das haben viele Menschen im Osten offenbar vergessen. Vielleicht hätten man die Mauer viel sichtbarer als Mahnmal stehenlassen sollen.

Ilko-Sascha Kowalczuk: Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute. Verlag C. H. Beck, 240 Seiten, 22 Euro