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Sächsische Bestseller-Autorin Daniela Krien für Buchpreis nominiert

Wie lebt man weiter nach dem Verlust eines Kindes? Davon erzählt die Leipziger Bestsellerautorin Daniela Krien in ihrem neuen Roman, der für den Buchpreis nominiert ist.

Von Karin Großmann
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Die Schriftstellerin Daniela Krien lebt in Leipzig. 2021 wurde sie mit dem Sächsischen Literaturpreis ausgezeichnet.
Die Schriftstellerin Daniela Krien lebt in Leipzig. 2021 wurde sie mit dem Sächsischen Literaturpreis ausgezeichnet. © dpa/Jan Woitas

Die Trauer ist maßlos. Die Zeit bleibt stehen. Nichts tröstet über den Tod des eigenen Kindes hinweg. Gibt es einen Weg aus der Verzweiflung? Der neue Roman von Daniela Krien, der jetzt für den Deutschen Buchpreis nominiert ist, sucht nach Antwort. Die Leipziger Autorin ist bekannt für psychologische Tiefenbohrung. Sie kann sich ganz und gar in ihre Figuren versetzen. Mit 48 Jahren hat sie Höhen und Tiefen erlebt.

Ihre Icherzählerin Linda ist etwa in diesem Alter, leitete die Kunststiftung einer Bank, liebt Kaschmir und Seide und sieht stets gut frisiert aus. Linda passt in die Reihe von Kriens kultivierten Romanfrauen. Doch nun hat sie sich verkrochen in einen brüchigen Bauernhof, an dem der Fernlastverkehr vorbeidonnert. Sie isst kaum, schläft kaum, spricht kaum, wäscht sich selten und verweigert fast jeden Kontakt. „Das ist ein Tod auf Raten“, sagt eine frühere Freundin. Ein Bussard, der aus heiterem Himmel herabstürzt, wird zum Symbol.

Der Grund für Lindas Rückzug erschließt sich erst nach und nach. Ihre siebzehnjährige Tochter fuhr mit dem Rad zur Arztpraxis wegen der Pille. Sie wolle ja nicht als alte Jungfer sterben, hatte sie noch gescherzt. Beim Abbiegen wurde sie von einem Lkw überrollt. Ein weißes Fahrrad erinnert daran an der Kreuzung. Linda bepflanzt es mit Blumen. In die Trauer mischen sich Selbstvorwürfe. Hätte sie den Unfall verhindern können?

Ein gebrochenes Herz ist kein Mythos

Daniela Krien zeigt eine Frau in ihrem Schmerz: „Ein gebrochenes Herz ist kein Mythos.“ Erinnerungen und Fotografien bezeugen nur die Endgültigkeit des Verlustes. Menschen gehen mit Verlusten auf unterschiedliche Weise um. Leidensfähigkeit ist nie gleich groß. Beziehungen können daran zerbrechen. All das erzählt der Roman. Linda verübelt es ihrem Ehemann Richard, dass er sich nicht aufgibt wie sie. „Auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod hat er sich für das Leben entschieden.“ Er trauert deshalb nicht weniger. Doch Linda verlässt ihn und das ratlose Schweigen.

Als Richard von einer neuen Bekanntschaft spricht, wechselt kurz die Erzählperspektive. Linda redet von sich wie einer Fremden. Sie geht auf Distanz. Doch die Neugier ist größer. Linda forscht der Neuen nach, Brida, der Schriftstellerin. Diese trat schon in Kriens Bestseller „Die Liebe im Ernstfall“ auf. Jetzt konstruiert die Autorin die arg zufällige Begegnung von Brida, Richard und Linda in einer Gartensparte. Eine Erfahrung wiederholt sich: Arbeit hilft. „Hier dagegen ist es mühsam, und mühsam ist gut“, sagt Linda. Ständig gibt es etwas zu tun. Sie muss Holz hacken und sich um Hühner und Hündin kümmern, die sie mit dem Hof übernahm. Verantwortung verankert im Leben.

Das gilt auch für Natascha, die Linda in dem Dorf kennenlernt. „Sie ist die einzige Person, die keine Angst vor meiner Trauer hat.“ Nataschas fast erwachsene Tochter ist Autistin, „inkontinent, nonverbal, auf entrückte Weise schön“ und sehr musikalisch. Hier spiegelt die Autorin eigene Erfahrung. Eine ihrer beiden Töchter erlitt durch eine Impfung im Säuglingsalter bleibende Schäden.

Die unwürdigen Zustände in einer Behindertenwohnstätte, die selbstlose Sorge der Mutter, ihre finanzielle Last, die Reaktionen von Passanten, all das wird sehr genau beschrieben. Ohne Sentimentalität. Manchmal wird die Icherzählerin ziemlich poetisch, wenn sie etwa von farbigen Gefühlen spricht, „die in mir aufblühen, durch mich hindurchgehen, von den Poren meiner Haut ausgeatmet werden und sich im Wind verlieren“. Dann wieder rutscht ihr das ärgerliche Modewort „Momentum“ durch.

Es gibt immer einen Weg

Nach zwei Jahren wird das „dritte Leben“ ohne Mann, Kind und Job normal. Die Trauerwellen ebben allmählich ab. Die Eigentümer des Hofes kündigen zur rechten Zeit. Linda zieht zurück in die Stadt. Sie versöhnt sich mit ihrer Mutter, die sich im Wendeherbst einem westdeutschen Banker angedient und die Tochter entwurzelt hatte. Die biografische Episode erinnert an die Ost-West-Geschichten im Band „Muldental“ von Daniela Krien. 2021 wurde sie mit dem Sächsischen Literaturpreis ausgezeichnet. Im SZ-Gespräch zitierte die Autorin den jüdischen Psychologen Viktor Frankl: Jeder Mensch habe die Freiheit, sich den Verhältnissen zu stellen – sich als Opfer zu sehen oder nicht. Dieses Wissen schwingt im neuen Roman mit.

Daniela Krien zeigt, was Linda letztlich ins Leben zurückbringt: der Blick auf andere Menschen. Linda und Richard verkaufen ihre Leipziger Wohnung. Mit dem Geld hilft sie Nachbarn im Dorf und finanziert die Privatpflege für Nataschas Tochter. „Es gibt immer einen Weg.“ Die Freude anderer stärkt die eigene Lebensfreude. Nun ist es Linda, die tröstet, auch den schwerkranken Richard. Ihre Sehnsucht nach seiner Nähe erwacht wieder. „Immer dieses Trotzdem, das ist es doch, was uns weitertreibt.“ Dass Trauer sich wandelt, dass sie nicht ewig jeden Winkel besetzt, dass man damit leben kann – davon erzählt Daniela Krien berührend und schlüssig.

  • Daniela Krien: Mein drittes Leben. Diogenes, 293 Seiten, 26 Euro.
  • Buchpremiere am 22. August, 19.30 Uhr, Literaturhaus Leipzig