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Die Kultur kann Sachsen auch nicht retten

Von Caspar David Friedrich bis Purple Disco Machine: Sachsen ist eine Kulturhochburg. Schön und gut. Doch das ist kein Heilmittel für die Demokratie. Ein Kommentar.

Von Marcus Thielking
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Romantik und Rassismus: Sachsens Kultur ist spitze, löst aber nicht die Probleme der Politik, meint Feuilleton-Chef Marcus Thielking.
Romantik und Rassismus: Sachsens Kultur ist spitze, löst aber nicht die Probleme der Politik, meint Feuilleton-Chef Marcus Thielking. © SKD/SHK/bpa/SZ

Hier ist mal wieder ganz schön was los. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eröffnen am Wochenende die Jubiläumsschau zu Caspar David Friedrich, die Zigtausende Besucher anlocken wird. Als Kontrastprogramm rocken die Böhsen Onkelz zwei Konzerte in der Rinne, ebenfalls vor Zigtausenden Fans. Vor einer Woche trat bei den Filmnächten am Elbufer der Dresdner DJ Purple Disco Machine auf, der voriges Jahr mit einem Grammy endgültig den internationalen Durchbruch geschafft hat.

Sachsen ist gerade ein Zentrum der Pop- und Hochkultur. Dieses Jahr gewann der Auschwitz-Film „The Zone of Interest“ einen Oscar – in den Hauptrollen die Leipzigerin Sandra Hüller und der Dresdner Christian Friedel. Im Dresdner Blockhaus wurde das Archiv der Avantgarden eröffnet, eine der größten Sammlungen moderner Kunst, in spektakulärer Architektur. Herrnhut ist Weltkulturerbe. Chemnitz wird nächstes Jahr Kulturhauptstadt Europas sein. Fünf Autorinnen und Autoren aus Leipzig sind für den Deutschen Buchpreis nominiert. Von der regen freien Szene und Subkultur ganz zu schweigen. Unser Freistaat hat die höchsten Pro-Kopf-Kulturausgaben in Deutschland. In der sächsischen Verfassung ist Kultur als Staatsziel verankert.

Avantgarde und AfD?

So bildet Sachsens Kulturlandschaft einen krassen Kontrast zu den düsteren Nachrichten und Bildern, die sonst aus diesem Bundesland kommen: Wut- und Hassreden, Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus. Wie passt das zusammen? Romantik und Rassismus, Pop und Protest, Avantgarde und AfD – Sachsen hat viele Kehrseiten. Das ist umso seltsamer, als in Politik und Medien oft beschworen wird, wie wichtig Kultur für Demokratie und Gemeinsinn sei. Hätte es je eines Gegenbeweises für diesen angeblichen Zusammenhang bedurft, dann wäre Sachsen das treffendste und traurigste Beispiel.

Vor der Landtagswahl hat die Interessengemeinschaft Landeskulturverbände die Parteien zur Kulturpolitik befragt und selbst eine Stellungnahme formuliert: Kunst und Kultur, heißt es da, seien „von zentraler Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ und „Grundbausteine für gelebte Demokratie“. Im Wahlkampf hat Kultur zwar bislang kaum eine Rolle gespielt. Doch die Programme der Parteien schwärmen von deren politischer Bedeutung – sei es für „Vielfalt“, „Diversität“ und „Interkulturalität“ (SPD), sei es zur Förderung der „sächsischen Identität“ sowie der „Heimatpflege und des regionalen Brauchtums“ (AfD).

Der Dresdner Tino Piontek, alias Purple Disco Machine, wurde voriges Jahr mit dem Musikpreis Grammy ausgezeichnet.
Der Dresdner Tino Piontek, alias Purple Disco Machine, wurde voriges Jahr mit dem Musikpreis Grammy ausgezeichnet. © SZ/Veit Hengst

Natürlich hatte Kultur immer auch eine politische Dimension. Die Kunstfreiheit ist nicht ohne Grund eines der zentralen Grundrechte. Sie gibt der Kultur das Recht, sich politisch einzumischen. Sie soll aber auch garantieren, dass Politik sich nicht einmischt in die Kultur. Deshalb müssten Künstlerinnen und Künstler misstrauisch werden, wenn sie für politische Zwecke herhalten sollen, und sei es für eine noch so gute Sache.

Dass Kultur Demokratie und Zusammenhalt fördert, klingt erst mal gut und richtig. Skepsis ist jedoch angebracht, wenn aus der Kulturförderung ein staatlicher Appell abgeleitet wird. Gerade mit Blick auf Sachsen kann es schon gar nicht sein, dass die Kunst als Reparaturbetrieb herhalten soll für gesellschaftliche Missstände, deren Ursachen deutlich tiefer liegen als in der Anzahl von Orchestern, Museen und Theatern. Die Demokratie braucht erst mal Lehrer, Polizisten und Wohnungen.

Kunst darf auch böse sein

Gewiss ist es richtig, dass Kultur das Miteinander fördern kann. Sie kann auch einen Beitrag zur Bildung leisten und dabei helfen, sich in andere hineinzuversetzen – wichtige Grundlagen für Demokratie. Kultur ist nicht zuletzt ein beträchtlicher Wirtschaftsfaktor. Auf der anderen Seite darf und soll Kunst auch böse sein und kritisch. Sie sorgt eben nicht nur für Zusammenhalt, sondern auch für Konflikte und Reibung. Das eigentliche Wesen der Kultur besteht sowieso darin, dass sie gar nicht auf einen bestimmten Zweck gerichtet ist. Der Philosoph Immanuel Kant hat dies das „interesselose Wohlgefallen“ der Kunst genannt.

Dass der Staat Kultur finanziert und die Kultur zugleich dem Staat nutzen soll, hat in Deutschland seit Jahrhunderten Tradition. In der DDR wurde Kunst massiv gefördert, im Sinne einer „sozialistischen Nationalkultur“, wie es in der Verfassung hieß. Diese historische Erfahrung macht Kulturförderung in einer freiheitlichen Demokratie nicht falsch, ganz im Gegenteil. Sie sollte aber immer dann Skepsis wachrufen, wenn Ansprüche und Forderungen an eine gesellschaftliche Funktion der Künstler arg strapaziert werden, gerade in Krisenzeiten. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), hält Kultur für den „Kitt, der uns und unsere Gesellschaft zusammenhält“. Davon ist in Sachsen wenig zu spüren.

Das Beispiel führt es klar vor Augen: Kultur kann viel bewirken, aber sie kann nicht Probleme lösen, bei denen die Politik versagt. Für humanistische und demokratische Bildung sind zuerst die Schulen zuständig. Was eine verkorkste Bildungspolitik über viele Jahre vermasselt hat, können die besten Museen nicht retten. Ganz zu schweigen von konkreten Sachthemen wie fairen Löhnen, guten Krankenhäusern oder sicheren Grenzen. Hier hilft nur eins: die Kunst der Politik.