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Jimmy Kelly vor Konzert in Dresden: „Ich wusste nicht mehr, wer ich bin“

Vom Mega-Erfolg mit der Kelly Family zum Straßenmusiker und wieder zurück. Jimmy Kelly kommt am Wochenende mit eigener Band nach Dresden.

Von Tom Vörös
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Jimmy Kelly kommt mit dem Street Orchestra zum Konzert in den Alten Schlachthof nach Dresden.
Jimmy Kelly kommt mit dem Street Orchestra zum Konzert in den Alten Schlachthof nach Dresden. © PR

Lange galt Jimmy Kelly als schwarzes Schaf der berühmten Kelly Family – weil er nach dem Riesenerfolg in den 90ern lange Zeit als Straßenmusiker seinen Lebensunterhalt verdienen musste. Inzwischen feiert er mit seinem Street Orchestra auch auf großen Bühnen Erfolge. Im Interview erzählt der 52-jährige Musiker, wie er sich aus der Misere herauskämpfte, was er dabei über sich selbst lernte und was er als Vater dreier musikalischer Kinder anders macht als sein eigener Vater.

Herr Kelly, Sie sind nach dem Ende der Kelly Family 2005 zweifellos den schwierigsten Weg aller Kellys gegangen, also wieder direkt auf die Straße. Sie sagten mal: Die Straße hat mich gerufen. Wie muss man das verstehen?

Das stimmt. Der große Erfolg in den 90er-Jahren hat uns überrollt. Wir haben ihn zwar gesucht und auch gewollt und geplant. Mit den Medien, die uns begleitet haben wie Bravo, MTV und VIVA. Aber mach das mal zehn Jahre – irgendwann weißt du einfach nicht mehr, wer du wirklich bist. Zurück zur Straße zu gehen, das war für mich auch Identitätssuche. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich mich durch den Erfolg ein Stück weit verloren. Ich glaube, ich hatte keine wirkliche Identität mehr. Ich wollte wissen: Was ist eigentlich wirklich, was ist real?

Hätte es weniger steinige Wege gegeben für jemanden mit Ihrer Popularität?

Die Straße war ein harter Weg. Ich hätte natürlich auch über ein Management gehen können. Da drückt man einfach auf die bekannten Knöpfe, so, wie es auch viele andere Pop-Künstler machen. Und mit ein bisschen Glück hat man wieder Erfolg. Aber wissen Sie, für mich war das auch persönlich. Ich bin vielleicht einer der Kellys, die nicht so konform sind, Und ich muss leider ab und zu die Gefahr suchen.

Beim 10. Dresdner Stadtfest im Sommer 2008 stand der Auftritt von Jimmy Kelly in keinem Programmheft. Spontan hatte er sich an die Straße gesetzt und musiziert.
Beim 10. Dresdner Stadtfest im Sommer 2008 stand der Auftritt von Jimmy Kelly in keinem Programmheft. Spontan hatte er sich an die Straße gesetzt und musiziert. © SAE Sächsische Zeitung

Wie real war die Gefahr auf der Straße, als abgehalfterter Kelly entlarvt undabgestempelt zu werden?

Bei meinen ersten Erfahrungen auf der Straße dachte ich mir: Ach du Scheiße, so selbstverständlich ist das alles auch wieder nicht. Man denkt: Ach, ich kann ja locker ins Eiswasser reinspringen. Aber das Schwimmen musste ich von null wieder neu lernen. Aber letztendlich war es das größte Erlebnis für mich. Auch therapeutisch und rein menschlich gesehen war das extrem wichtig, die Nähe zu den Leuten und etwas über sich herauszufinden.

Was haben Sie herausgefunden?

Ich würde sagen, man findet am besten Dinge über sich heraus im Kontext zu anderen Menschen. Ich glaube, die wenigsten Menschen finden viel über sich heraus, wenn sie der Gesellschaft den Rücken kehren und in den Bergen alleine leben. Es gibt zwar Leute, die das können. Aber ich glaube, dass die meisten von uns auch andere Leute brauchen. Wir brauchen einander, um zu wachsen.

Umso anders erscheint Ihr Weg im Gegensatz zu Ihrem Bruder Michael Patrick Kelly. Der ging nach dem Ende des Kelly-Erfolges für ein paar Jahre ins Kloster. Und zehn Jahre später direkt wieder ins Pop-Business. Von außen ist das manchmal schwer zu begreifen ...

Ich glaube, beides ist extrem. Je älter wir werden, desto mehr offenbaren sich die verschiedenen Kelly-Persönlichkeiten. Vom Teenie-Star ins Kloster und dann wieder rein in die große Pop-Schiene, wie Michael Patrick oder Paddy, so wie ich ihn nenne. Oder wie bei mir, zurück auf die Straße für manchmal nur 30 Euro am Tag, das ist auch ein Extrem. Ich glaube, diese Extreme kommen von meinem Vater. Bei ihm galt der Satz: Entweder alles oder gar nichts. Das ist natürlich manchmal verrückt, weil man damit echt auf die Schnauze fliegen kann.

Wie genau spüren Sie die Unterschiede zu den anderen Kellys?

Früher konnte man sich auf das Frühstück einigen, auf eine Lebensphilosophie. Also, wir waren eins in allem. Aber mittlerweile gibt es fünf verschiedene Religionen, oder auch keine Religion. Die politischen Meinungen sind komplett verschieden, die Essgewohnheiten komplett anders. Der eine trinkt gerne Guinness-Bier zum Frühstück, der andere Wasser mit Zitrone. Wir sind wirklich unterschiedlich, das merkt man vor allem auf Tour. Privat auf den Familientreffen nicht ganz so sehr, mittlerweile habe ich knapp 30 Neffen und Nichten.

Und Sie haben selbst Kinder. Machen Sie alles anders oder gehen Sie den Weg Ihres Vater oder Angelo Kelly und gründen eine eigene Kelly Family?

Nein, meine Kinder halte ich von der Öffentlichkeit fern. Da bin ich anders als manch andere Geschwister. Ich weiß nicht, ob das der bessere Weg ist oder nicht, das wird erst das spätere Leben zeigen. Meine Kinder machen aber trotzdem Musik. Eine spielt Geige, eine spielt Piano, beide singen im Schulchor, und der Kleine spielt Flöte. Abends haben wir ein kleines Ritual, da spielen wir gemeinsam ein paar Lieder. Also Musik ist schon in unserem Haus, in unserem Leben. Aber was ich ihnen im Moment nicht weitergebe, ist das Business, die Karriere, das sollen sie später entscheiden. Sie sollen die Wahl haben zwischen einem anderen Beruf und Musik, ich hatte keine Wahl. Ich hatte nur die Musik und ich bin ja auch nie zur Schule gegangen.

Zurück zur Straße, dort liegt ja auch der Ursprung Ihrer aktuellen Band Jimmy Kelly & The Street Orchestra. Wie wird aus einem Mann ein ganzes Orchester?

Ich habe ungefähr acht Jahre lang auf der Straße gespielt, nur mit meiner Gitarre und Mundharmonika. Dort habe ich viele verschiedene Musiker kennengelernt, die auch Überlebenstiere sind, so wie ich. Mit einigen von denen habe ich eine Band gegründet, und wir haben im Winter in Kleinkunst-Theatern gespielt. Diese kleine Besetzung ist dann irgendwann bis auf zehn Musiker gewachsen, daher der Name Street Orchestra, weil es mehr war als eine Band. Mit der Gruppe auf Tour zu gehen bringt mich auch zu meiner Identität als Künstler zurück. Denn ich betrachte mich als Musiker des Volkes oder im Volk, also auf der Straße. Und Volks- oder Folk-Musik ist auch mein Ursprung, damit bin ich aufgewachsen. Denn bevor die Kelly Family richtig kommerziell wurde, waren wir vor allem als Folk-Musiker mit akustischen Instrumenten unterwegs.

Also kann man mit Ihnen live quasi die frühe Kelly Family erleben?

Ein Freund von mir sagte letztens: Jimmy, was du da machst, das ist eigentlich der wahre Ursprung der Kelly Family. So gesehen also ja: Wir haben zwei, drei Akkordeons, eine Brass-Sektion, also Trompete, Posaune und Saxofon, zwei Geigen, Mandoline, Banjo, Akustikgitarren, Drumset, Kontrabass, Gesang und zum ersten Mal auch eine Orgel. Und zusätzlich kommen zum ersten Mal auch Gospel-Sänger mit. Meine Frau singt auch und spielt Akkordeon und Mandoline, sie hatte früher mal eine Beatles-Coverband.

Jimmy Kelly
Jimmy Kelly © PR, Stefan Höderath

Was genau bekommen wir zu hören?

Im Kern ist das alles Folk-Musik, manchmal etwas energischer, manchmal auch besinnlich. Und ich werde Songs singen, die mich in meinem Leben begleitet haben. Die sind eher urig, teils auf Spanisch, Französisch, Irisch und Deutsch. Natürlich werden auch einige Kelly-Hits erklingen, die die Fans ja von mir erwarten. Wenn ich gar keine Kelly-Family-Songs singe, dann verlassen sie den Saal.

Also ist Ihr Publikum vielleicht auch ein bisschen extrem?

Vielleicht. Das kann auch an solchen Gegensätzen liegen: In den 90er-Jahren konnten wir übers Fernsehen viel erreichen. Im Radio werden wir aber bis heute kaum gespielt. Vielleicht auch, weil wir in den 90er-Jahren sehr viel polarisiert haben. Entweder hat man uns gemocht oder gehasst. Aber mittlerweile respektiert man eher die Leistung nach so vielen Jahren. Und wir hatten großes Glück, dass uns als Kelly Family ein Comeback gelungen ist.