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Henry Hübchen hat nicht nur Ostseemöwen im Visier

"The Investor“ ist eine abstruse, herzhaft alberne Actionkomödie in einem Surfcenter – mit einem glänzend aufgelegten Star in der Titelrolle.

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Mit dem ehemaligen Waffenhändler und Investor in einem Surfcenter auf dem Darß (Henry Hübchen) ist nicht zu spaßen – zum Spaß des Zuschauers.
Mit dem ehemaligen Waffenhändler und Investor in einem Surfcenter auf dem Darß (Henry Hübchen) ist nicht zu spaßen – zum Spaß des Zuschauers. © PR

Von Andreas Körner

Henry Hübchen ist am Telefon, seine Stimme allein genügt für die unmissverständliche Identifikation. Als „The Investor“ hat er mal eben drei Millionen Euro ins Surfcenter Wustrow gesteckt, ohne den Ort und die Firma je gesehen zu haben. Nach einiger Zeit aber wird ihm etwas mulmig im Portemonnaie und er kündigt seine Visite an. Ihm seien da so Geschichten zu Ohren gekommen und übrigens sind wir beim Sie. „Herr Investor, bitte!“ Das kann ja heiter werden! Was es wird.

Das Trendsportcenter Surfen läuft nicht

Als die graue Eminenz in weißer Stretchlimousine mit Fahrer und Gaby, einer sehr stämmig gewachsenen weiblichen Begleitung, sowie in schwarzem Anzug, lila Schlips, Ami-Hut und Adiletten am Fuß durch die Schranke auf dem Darß gleitet, ist eine Viertelstunde Handlung vergangen. Drei Typen sollten dem Betrachter bis dahin schon in einem klassischen Fall inszenierten Dokumentarfilms ans Herz gewachsen sein. Martini (Martin Bratz), Sveni (Sven Anton) und Oli (Oliver Kuschke) sind die Betreiber und zwar die echten, denn auch das Surfcenter oben im Osten des Nordens existiert.

Dort, wo „an der schmalsten Stelle des Fischlands auf der Seeseite“ auch Einsteigerkurse angeboten werden, „bei denen Sie innerhalb von wenigen Tagen Wasserratten werden, die es lieben, den Wind in den Händen zu halten und lautlos über das Wasser zu gleiten“, wie Wustrows Website zu frohlocken weiß. In Einzelinterviews haben sich Martini, Sveni und Oli vor der Kamera gegenseitig aufs Brett geladen, von „schleichender Depression“ gesprochen und davon, dass es bei ihnen sei „wie in einer zerrütteten Ehe“, in der man sein Ding nach „30 Jahren GbR einfach so weiterlebt“. Kurzum: Es läuft gar nicht gut mit dem Geschäft und der Ostseewelle.

Friedrich Liechtenstein spielt den Kapitän Hans.
Friedrich Liechtenstein spielt den Kapitän Hans. © PR

Auch Kapitän Hans mit den roten Kniestrümpfen (Friedrich Liechtenstein) wurde als küchenphilosophierender Erzähler bereits eingeführt. Einer seiner frühen gewichtigen Sätze taugt als Motto für „The Investor“: „Man muss vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht. Wünsche gehen immer in Erfüllung.“ Die drei von der Surfstelle werden es erfahren müssen und auch, dass Timing keine chinesische Bodenvase ist. Die Millionen haben sie gern genommen und verprasst, es gab sogar Kostenexplosionen im Baumarkt bei billigen Toilettenbecken und Wasserhähnen. Jetzt aber wird es richtig eng, denn der Investor war einst eine große Nummer in der Rüstung und hat, als er nach 14 Tagen ins Objekt voller „NVA-Beton“ wiederkommt, freilich eine Waffe dabei, mit der er zur Abschreckung gleich mal eine Möwe vom Darßer Himmel holt, bevor er auf die verantwortlichen Männer der „Freizeitanlage mit Trendsportmöglichkeit“ zielt. Es ist erst der Beginn einer zunehmend abenteuerlichen bis schwer abstrusen Begegnung, wilde Explosionen, südamerikanische Reiterinnen, ein blonder Racheengel und Spaghetti-Hawaii bei der Flucht in die Karibik über den Bodden inklusive.

Es soll ja eine Surf-Actionkomödie sein, die sich Regisseur Jarek Raczek (Jahrgang 1974) ausgedacht, mit dem künstlerischen Unikum Friedrich Liechtenstein als Co-Autor geschrieben und in Personalunion als Produzent, Kameramann, Editor sowie Chef für Szenografie und Kostüm umgesetzt hat. Wenn „independent“ wirklich noch „unabhängig“ heißt, so sind Raczeks Arbeiten im Spielfilmbereich illustre Beispiele dafür. Finanzielle Bodenständigkeit findet der Berliner vor allem im Werbe- und Imagefilm, zudem drehte er zahlreiche Musik- und Künstlervideos unter anderem für die Bands Bobo In White Wooden Houses und Prag sowie mehrere Spielfilm- und Kunstprojekte, die er dann öffentlich macht, ohne sich gängigen Marktstrategien unterwerfen zu wollen. Schön, dass auch das noch geht im deutschen Film!

90 Minuten als Abfallprodukt

Für „The Investor“ ist es nur auf den ersten Blick anders, denn die Aufnahme ins Portfolio eines etablierten Verleihs war eher streng personengebunden motiviert, brachte zwar eine ausverkaufte Premiere im Berliner Zoo-Palast, danach aber nur Leinwand-Aufführungen als buchbare Option für einzelne Kinos, deren Betreiber das Abgefahrene, Genreübergreifende, kaum Fassbare, aber herzhaft Alberne wirklich mögen. Ansonsten bleibt es eben die Perle im Netz.

Ist „The Investor“ als wild wucherndes Stil-Unikat wirklich, wonach es aussieht, so ein improvisationslastiges Kumpelding für alle Beteiligten? Henry Hübchen mit seiner Brettsegel-Vergangenheit in der DDR – die man im Gespräch mit ihm besser weglässt, um es nicht vorzeitig zu beenden – sagte gegenüber der Sächsischen Zeitung: „Wir sind alle befreundet. Da sind die Wege kurz, da wird schnell mal gefragt: Ach, kannst du nicht mal für zwei Stunden kommen. Am Ende waren es wohl vier oder acht. Im Grunde ist der Film das Abfallprodukt eines schrägen Werbetrailers. Oder anders gesagt, der Werbetrailer war der Anfang und der 90-Minuten-Film das Ende.“ Jarek Raczek, wie Hübchen längst Ureinwohner Pankows, allerdings mit Zweitwohnsitz auf Rügen, weiß genau, was sein Hauptdarsteller mit dem Wörtchen Abfallprodukt meint und muss es nicht relativieren: „Im Grunde waren doch die besten Erfindungen im Grunde Abfallprodukte, oder?“

Auch die achteinhalb Minuten Wustrow-Trailer von 2017 stehen – frei zugänglich – im Internet. Henry Hübchen fehlt dort noch, aber man bekommt einen feinen Vorgeschmack auf das, was folgen sollte, als er dabei war. Es ist nicht nur für ihn die Zuspitzung seiner völlig angstfreien Rollen in Leander Haußmanns Kultkomödie „Hai-Alarm am Müggelsee“ von 2013 oder der vergleichsweise jungen Miniserie „Ze Network“ vom Vorjahr mit David Hasselhoff und Görlitz als alternierende Hauptdarsteller, streambar auf RTL+. Seine Produktionsfirma hat Jarek Raczek übrigens Vergeltungsfilm genannt, weil auf dem Gelände von Berlins einst ältestem Kino, dem Tivoli in Pankow, die Abrissbirne kam und längst ein Lidl-Markt steht.

„The Investor“ ist digital bei gängigen Video-on- Demand-Anbietern zum Leihen und Kaufen erhältlich.